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Und grade die deutsche   Einwanderung hat sich in Brasilien  als die tüchtigste erwiesen und als diejenige, welcher die meiste Aussicht auf Erfolg zur Seite steht.

Die Provinzen des südlichen Brasiliens   sind gegenwärtig schon zu einem, für die Bevölkerungszal überhaupt, nicht un­erheblichen Teile mit deutschen Ansiedlern besezt.

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Schon im Jare 1875 belief sich die Zal der eingewanderten Deutschen   nach einem Bericht des brasilianischen Ackerbauministers auf 130 000 Seelen, von denen weitaus der größte Teil im süd­lichen Brasilien  , wenigstens 70 000 Deutsche   wonen allein in der südlichsten Provinz Rio grande do Sul  , eine neue Heimat gefunden hat, und die inzwischen durch beständigen Zuzug verstärkt worden sind. neben Rio grande do Sul  Die drei südlichsten Provinzen neben Rio grande do Sul  noch Santa Catharina und Parana  - hatten 1879 zusammen einen Flächeninhalt von 9458 Quadratmeilen, also nahezu soviel als das ganze deutsche   Kaiserreich mit 9812% Quadratmeilen, aber nur 717 402 Einwoner, d. s. noch nicht halb soviel als das Großherzogtum Baden  . Auf Rio grande allein kommen 4205 Quadratmeilen, also über 15 mal mer als das Königreich Sachsen aufzuweisen hat, und 430 878 Einwoner, d. i. etwa ein Siebentel von Sachsens Bevölkerungszal; auf Santa Catharina 1318 Quadratmeilen mit 159 802, auf Parana 3935 Quadrat meilen mit gar nur 126 722 Bewonern.

Daß unsre Landsleute sich in einer von diesen drei brasiliani­schen Provinzen angesiedelt haben, war, wie wir oben bereits angedeutet haben, das gescheiteste, was sie in Brasilien   nur tun fonnten.

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Grade dieser Teil des Landes ist es, den der Brasilianer O paraiso do Brasil   das Paradies Brasiliens   nennt, und wenn er auch damit ein wenig überschwenglich urteilt, so lügt er doch nach allen uns vorliegenden Berichten nicht eben: Südbrasilien ist nicht zum kleinsten Teile ein ebenso schönes als reiches Land.

Die Südprovinzen erstrecken sich vom Wendekreise des Stein­bocks, d. i. ungefär vom 23. Grade südlicher Breite bis zum 33. Die Serra Geral, ein bis zur Höhe von beinahe 4000 Fuß ( 1300 Meter) emporsteigendes Gebirge, scheidet sie in ein schmales Küstenland, das nach dem Meere hin zum Teil in kurzen und steilen Abhängen niederget, und in ein Hochplateau, welches sich nach Westen und Südwesten bis zu den beiden Strömen Parana  und Uruguay   in mäßig geneigter Ebene senkt. Das Küstenland im Norden hat feuchtwarmes Klima mit starken Sommer- und Winterregen, erstere vom Januar bis März, leztere vom Sep­tember bis Oktober. Dabei sind die Sommer heiß, wenn auch nicht bis zur Unleidlichkeit, und in der Temperatur gemäßigt durch den Regen und periodisch wiederkehrende Seewinde. Im ganzen weist der nördliche Küstensaum ein Klima auf, wie der Norden Afrikas   oder der Süden Spaniens  .

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Weit günstiger noch ist die Hochebene des Nordens gestellt, die wärend des ganzen Jares nur geringe Temperaturunterschiede zu verzeichnen hat, und sich, änlich wie die begünstigtsten Gegenden Südfrankreichs eines beinahe beständigen Frülings erfreut.

Küstenland und Hochland im Süden haben ein dem tropischen ziemlich nahe kommendes Klima, etwa wie die Inseln des Mittel­meeres, welches erhebliche Temperaturgegensätze und das gelegent­liche Auftauchen der Sehnsucht nach einem guten Stubenofen nicht ausschließt. An der Küste finden sich vorzugsweise Frühjars­und Herbstregen, wärend das Hochland besonders im Winter von Regengüssen heimgesucht wird. Nur in den höheren Gebirgs­regionen gefriert zuweilen das Wasser, und auch der Schnee ist überall in den brasilischen Südprovinzen nicht häufig; daß er auf einzelnen Stellen der Hochebene drei Tage lang erhalten geblieben ist, bildet die höchste Leistung des südbrasilischen Winters, deren sich die Bewoner erinnern.

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Von der Küste aus ziet sich fast one Unterbrechung der Ur­wald bis zur höchsten Gebirgshöhe hinauf; etwa ein drittel des Gesammtflächeninhalts der drei Provinzen ist vom Walde bedeckt. Die westlichen Gebirgsabhänge sind von dem üppigen Gras­wuchse der Campos  ( der südamerikanischen Prairien") über­wuchert, die nur spärlich von Waldflächen unterbrochen werden. Erzeugt und genärt von den häufigen und starken Regen, gepflegt und geschützt von dem Urwalde, finden sich im Süden Brasiliens   eine große Menge von Flüssen und Strömen, von denen sich die nach Westen fließenden in den La- Platastrom

ergießen, der durch die Vereinigung des an Größe der Wolga  gleichkommenden Parana   mit dem unserm Rhein   an Länge über­treffenden Uruguay   entstet. Die nach Osten fließenden sind kürzere, aber meist gleichfalls bedeutende und schiffbare Küstenströme des Atlantischen Ozeans  . Der größte der Küstenflüsse ist der Yacuy oder Güayba, der sich jedoch in die Lagoa dos Patos ergießt.

Unter der geringen Zal der brasilischen Landseen ist die Lagoa dos Patos( zu deutsch  : Entensee) der größte. Dieselbe wird nur durch eine, auch an breitester Stelle wenige Meilen breite Land­zunge, die Praça do Estreito, von dem Ozean getrennt. Die Lagoa ist 150 Seemeilen, also etwas über 37 deutsche Meilen, lang und 45 Seemeilen oder 11% deutsche breit. Mit dem Ozean ist sie nur durch eine einzige schmale und seichte Mündung, die Barra vom Rio Grande, verbunden.

Die Praça do Estreito wie die Umgegend von Rio grande, der Hauptstadt der Provinz Rio grande do Sul  , ist mit feinem und jedem Windstoße nachgebenden Sande bedeckt, der oft bis zu gewaltiger Höhe aufgeschichtet ist und allein am Ufer der Lagoa   nur mit vieler Mühe zu erhaltende schmale Grassäume aufkommen läßt. In diese Sandwüste sich one ortskundige Fürung hinauszuwagen, soll ein Unternemen sein, dessen Kühnheit, oder besser, dessen Unbesonnenheit schon mancher mit dem Tode gebüßt haben soll, infolge von Untersinken im Sande, der Roß und Reiter, ja selbst Wagen mit Bespannung und Insassen, zu ver­schlingen mächtig genug sei.

Soweit die Küstenländereien vom Urwalde befreit und nicht, wie die Lagoa dos Patos entlang, vom Flugsande kultur­unempfänglich gemacht sind, ist der Ackerbau verbreitet. Dagegen sind die Campos des Hochlandes für die Viehzucht ein bequemes Feld, die leider nur infolge der mangelhaften Pflege zwar un­geheuer zalreich, aber in der Qualität schlecht genug gediehen ist.

Von Körnerfrüchten werden am meisten angebaut Mais, Reis und Hafer, von Hülsenfüchten die Bonen und, vor allen andern Nuzpflanzen der Kassava- oder Mandioccastrauch, dessen knollige Wurzel die Farinha gewärt, d. i. jenes Mehl, aus dem überall in Brasilien   das Narungsmittel gemacht wird, welches unser Brot ersetzt.

Die Mandioccakultur ist für Brasilien   so wichtig, daß hier der Gewinnung der Farinha einige Worte gewidmet sein mögen. Die armsdicke und nicht selten bis 30 Pfund schwere Wurzel des Kassavastrauches wird zunächst von der lederartigen Schale befreit und gereinigt, dann wird ihr Inhalt zu einem Brei zer­rieben, den man darauf in Säcke füllt und aufhängt, damit der Blausäure enthaltende Saft abläuft. Ist das geschehen, so wird der Brei noch ausgepreßt, getrocknet und zu einem groben Pulver zerrieben, das eben die Farinha bildet, etwa wie Hafer­grüße schmeckt und entweder in dieser Sägemehlform oder auch durch Wasserzusaz wieder in einen Närbrei verwandelt genossen wird. Auch Kuchen und eine Art von Zwieback werden daraus gemacht. Von jener Art des Kassavastrauches, dessen Wurzeln süß und von Blausäure frei sind, werden diese auch unzerrieben gekocht und gleich unsern Kartoffeln gegessen.

Die aus der Farinha   bereiteten Narungsmittel sind nicht nur sehr narhaft, sondern auch sehr dauerhaft und eignen sich, da sie weder von Würmern noch Insekten angegriffen werden, besonders gut zu Proviant für längere Reisen.

Im größten Teile Brasiliens  , auch in den deutschen Kolonien liefert die Farinha   das tägliche Mittagsmal, insbesondere der arbeitenden Bevölkerung.

Neben Reis und Hafer, die beide vortrefflich gedeihen, kommt auch der Weizen fort, gleichwie alle übrigen Getreidearten. Indessen werden sie allesamt nur in geringem Maße angebaut, einerseits weil in Brasilien   selbst nicht viel Nachfrage nach Feld­produkten dieser Art ist und dem Export große Schwierigkeiten im Wege stehen, und dann weil der Ackerbau, der schon den Vorgängern der gegenwärtigen Ansiedler in manchen Gegenden des Gebirges reichlichen Ertrag geboten hat, von jenen äußerst unverständig betrieben worden ist und den zur Getreidekultur, wie z. B. zu der des Weizens, nötigen Bodengehalt an Mergel und Kalt erschöpft hat. Nicht gar schwer könnte es sein, diese Gebiete eines dereinſt üppigen Weizenbaus für denselben wieder­zuerobern. Wie mangelhaft auch heute noch der Ackerbau, von dem deutschen Ansiedler so gut, wie von dem Brasilianer, be= trieben wird, werden wir im weiteren Verlaufe unsrer Darstellung sehen. ( Schluß folgt.)