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Cartefius und Spinoza  . Ihr Verhältnis zur modernen Weltanschauung.

Von Dr. Arthur Mülberger.

,, Das Wesen," sagt Cartesius  , ,, welches eine solche Existenz hat, daß es keines anderen Wesens bedarf, um zu existiren, nenne ich Substanz. Nur Gott   aber ist ein solches Wesen, das durchaus keine anderen bedarf. Alle anderen Substanzen können nicht one den Beistand Gottes existiren. Das Wort Substanz hat daher eine andere Bedeutung, wenn von Gott, eine andere, wenn von den übrigen Wesen die Rede ist. Die förperliche Substanz und der Geist oder die denkende Substanz können beide unter der gemeinschaftlichen Bestimmung begriffen werden, daß sie Gottes Mitwirkung oder Beistand zur Existenz bedürfen. Allein aus der bloßen Existenz kann die Substanz nicht erkannt werden, denn die Existenz bestimmt nicht; leicht wird sie dagegen aus jedem ihrer Attribute erkannt. Jede Sub­stanz hat jedoch nur eine Haupteigenschaft, die ihr Wesen aus­macht und auf die alle anderen Eigenschaften oder Attribute zu rückgefürt werden können. So konstituirt die Ausdehnung das Wesen der körperlichen Substanz, das Denken das Wesen der denkenden, alle übrigen Eigenschaften sind nur modi, bestimte Arten und Weisen des Denkens. Wir haben also zwei flare und deutliche Ideen oder Begriffe, den Begriff der erschaffenen, denkenden Substanz und den Begriff der körperlichen Substanz, vorausgesezt nämlich, daß wir alle Attribute des Denkens genau von den Attributen der Ausdehnung unterschieden. Ebenso haben wir auch eine klare und deutliche Idee von der unerschaffenen und unabhängigen denkenden Substanz, nämlich von Gott  ."- Diese Worte des Cartesius gewären einen außerordentlich tiefen Einblick in sein innerstes Denken. Er, der uns erklärt hat, daß zum Begriff der Materie einzig die Ausdehnung gehöre, daß also diese Ausdehnung das Wesen der Materie bilde, er faßt nun beide Momente unter dem Namen Substanzen zusammen. Er fült aber selbst im Innersten die Unvereinbarkeit, den Wider­spruch dieser Substanzen, die er begrifflich jede für sich erfaßt. Um diese Unvereinbarkeit aufzuheben, braucht er ein höheres, noch allgemeineres Prinzip Gott  . Dieser Gott ist bei ihm aber nur eine Vorstellung, die er nicht entbehren kann, die er absolut braucht, um die tatsächlich unvermittelten Grund­anschauungen seiner Philosophie zu versönen. Dieser Gott ist also nicht blos eine Substanz, sondern schlechtweg die Substanz, d. h. ,, ein Wesen, welches eine solche Existenz hat, daß es feines anderen Wesens bedarf, um zu existiren".

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Wir stehen an der Schwelle zu Spinoza  . Wol ist auch ihm der Geist eine Substanz, die Materie eine Substanz und jedes von beiden kann eben als Substanz für sich allein begriffen werden. Allein, was heißt das? Der Geist ist in Beziehung auf die Materie eine rein gegensäzliche, negative Bestimmung, eine bloße Negativität. Er faßt und erkennt sich, wie Carte­ sius   gezeigt, eben in seinem Gegensaz zur Materie. Und wie ist es mit der Materie? Nicht anders als mit dem Geiste: sie ist das dem Geiste Entgegengesezte, von ihm zurückgestoßene, auch sie ist bloße Negation des Geistes, Negativität. Beide aber, Geist und Materie, erhalten ihre positive Bestimmung im Be­griff der Substanz. Für sich allein ist keins von beiden etwas, vielmer jedes nur die Negation des andern, aber im Begriff der Substanz finden sie sich, in ihm lösen sie sich auf, in ihm werden sie gleichzeitig identisch. Die Abhängigkeit beider von Gott   ist bei Cartesius   eine schwankende, unsichere, blos in der Vorstellung seiende; tatsächlich sind sie ihm beide unabhängig, selbständig. Die Tätigkeit oder Einwirkung Gottes war nur eine ursprüng­liche, weit, weit zurückliegende, keine unmittelbar bestimmende. Ein anderes ist die Substanz des Spinoza  . Da Geist und Materie ihre positive Bestimtheit erst in der Substanz erhalten, so sind sie für sich nichts, bloße Abstraktionen, Negirungen; was in ihnen vielmer ist, ist allein die Substanz. Die Substanz ist also das einzige, schlechthin positive, wirklich reelle, bestimte Sein; Geist und Materie sind nur Formen der Substanz, für sich allein hat keines von beiden Existenz. Die Substanz ist daher jenes allgemeinste, unendliche Wesen, welches bei Cartesius  als Gott über den unvermittelten Gegensätzen schwebt; sie ist, mit einem Wort, Gott  . Wirklichkeit, Existenz, objektive War haftigkeit hat daher nur die Substanz. Der Begriff der Sub­stanz kann aber nic mer unterschieden werden vom Begriff Gottes. Keiner dieser beiden Begriffe hat mer eine besondere Existenz für sich, sie sind eins die absolute, reine, all­

( 1. Fortszung.)

einige Wirklichkeit. Die Substanz des Cartesius also, dieses exoterische( draußen seiende) Wesen, wird durch Spinoza   esoterisch ( drinnen seiend), rückt in den Mittelpunkt des Alls, wird mit ihm gleich und identisch. Die Einheit dieser spinozistischen Sub­stanz wird zum absolut reellen, unendlichen Wesen, das alle Wirklichkeit in sich faßt, wird das Wesen, dessen Existenz von seinem Wesen nicht unterschieden ist. Daraus folgt, daß die Substanz oder Gott keine von seinem Wesen unterschiedene, also persönliche Existenz haben kann; das absolut reale Wesen hat eine absolut reale Existenz. Es umfaßt die ganze Sphäre des Seins: sein Sein ist alles Sein und alles Sein sein Sein. ( Feuerbach) est omne esse et praeter quod nullum datur esse.

Hören wir Spinoza   selber: Gott  ," sagt er, existirt not­wendig. Denn Nichtexistirenkönnen ist ein Unvermögen, wie von sich selbst erhellt, dagegen Existirenkönnen ein Vermögen. Wenn daher das, was bereits notwendig existirt, nur endliche Wesen sind, so haben die endlichen Wesen mer Vermögen, mer Macht, als das absolut unendliche Wesen, was aber, wie durch sich selbst klar ist, ein Widerspruch ist. Also existirt entweder nichts oder das absolut unendliche Wesen existirt auch notwendig. Nun existiren aber wir, sei es nun in uns, oder in einem anderen, was notwendig eristirt. Also existirt das absolut unendliche Wesen, d. i. Gott  , notwendig." Gottes Existenz und Wesen sind identisch; seine Eristenz ist folglich nichts anderes als sein Wesen." ,, Außer Gott   kann keine Substanz sein, noch gedacht werden. Hieraus folgt, daß die körperliche und die denkende Substanz zu Gott gehören. Das Denken ist also ein Attribut Gottes oder Gott   ist ein denkendes Wesen. Ebenso ist aber auch die Ausdehnung ein Attribut Gottes oder Gott   ist ein ausge= dehntes Wesen.

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Ser schön erläutert nun Spinoza  , wie die Erkenntnis des Denkens und der Ausdehnung als Attribute Gottes jeden Ge­danken eines Erschaffenseins, Entstehens" überhaupt ausschließe. Alle," sagt er, die nur einigermaßen über das Wesen Gottes nachgedacht haben, behaupten, daß Gott   nichts Körperliches oder kein Körper sei. Dies ist auch ganz richtig; denn unter einem Körper verstet man eine bestimmte Ausdehnung von einer be­stimmten und begrenzten Gestalt und diese kann natürlich nicht dem absolut unendlichen Wesen zukommen. Aber sie gehen noch weiter, sie sprechen selbst die körperliche Substanz Gott   ab und nemen an, daß dieselbe erschaffen sei. Aus welchem Vermögen Gottes sie übrigens erschaffen werden konnte, wissen sie durchaus nicht und zeigen damit an, daß sie selbst nicht verstehen, was sie sagen. Sie verneinen aber die körperliche Substanz von Gott  aus diesen Gründen, nämlich, weil sie aus Teilen zusammenge­seit, also endlich, weil sie teilbar, also passiv und folglich eine Gottes, als des unendlichen und absolut reellen Wesens unwür­dige Bestimmung sei. Allein die Anname, daß die körperliche Substanz, die doch nur unteilbar, einzig und unendlich gedacht werden kann, aus endlichen Teilen zusammengesetzt, vielfach und teilbar sei, ist eben ganz falsch und nicht weniger ungereimt, als die Anname, daß der Körper aus Oberflächen, die Oberflächen aus Linien, die Linien aus Punkten zusammengesetzt sind und kommt nur daher, daß wir auf doppelte Art die Ausdehnung auffassen. Die eine ist die oberflächliche und abstrakte, nämlich die der sinnlichen Vorstellung, die andere die der Vernunft, die sie nicht abstrakt und oberflächlich, sondern allein als Substanz denkt. Wenn wir daher die Quantität betrachten, wie sie in der sinnlichen Vorstellung ist, und diese Betrachtung ist uns die ge­läufigste, so finden wir sie endlich, teilbar und zusammengesetzt; betrachten wir sie aber, wie sie in der Vernunft ist, und fassen sie als Substanz, was übrigens ser schwer ist, so finden wir, daß sie unendlich, einzig und unteilbar ist. Daß wird nun allen, die einen Unterschied zu machen wissen zwischen Vorstellung oder Einbildung und Vernunft, hinlänglich klar sein, zumal, wenn sie erwägen, daß die Materie überall dieselbe ist und Teile in ihr nur unterschieden werden, inwiefern wir sie auf verschiedene Weise bestimmt denken, ihre Teile daher nicht mit ihrem wirklichen Wesen, sondern nur der Art und Weise nach, wie dieses Eine Wesen bestimmt ist( nicht der Materie, nur Form nach) unter­schieden sind. Das Wasser z. B. als Wasser tann wol geteilt und seine Teile können von einander abgesondert werden, aber

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