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Die Herrin von Dar- Dschun.

Von Wanda v. Dunajew*).

Unmittelbar nach dem zweiten Sturze Napoleons begann die bourbonische Monarchie ihre alten Intriguen. Unter den politi­schen Agenten, die man in den Orient sante, damit sie dort unter der christlichen Bevölkerung agitirten, befand sich ein junger Fran­zose, namens Armand Lucnay, der Son einer alten, ehrwürdigen Familie. Die Regierung hatte ihn beauftragt, sein Augenmerk besonders auf den Libanon zu richten und dort die christlichen Maroniten für Frankreich zu gewinnen.

Lucnay landete in Saida . Von hier aus begann er seine Tätigkeit. Um der furchtbaren Glut, die bei Tage herrschte, zu entgehen, zog er gewönlich die frischen, fast külen Nächte zu seinen Streifzügen vor. Mit wenigen Begleitern von einem Anfürer der Maroniten zu den andern ziehend, kam er auf diese Weise einmal Nachts in ein herrliches, kleines, rings von großen Felsen­wänden eingeschlossenes Tal des Libanon . Es war eine wunder­bare, von süßen Düften durchwogte Mondnacht, deren fremd­artigem Zauber sich der junge Manu mit ganzer Seele hingab. In liebliche Träume versunken, bog er mit seinen Leuten aus dem mondhellen Grasland in die dunklen Schatten eines Cedern­

waldes ein.

Kaum hatten sie darin nur wenige Schritte gemacht, wurden fie von Drusen überfallen, und ehe sie sich noch zur Were sezen konnten, wurden sie von denselben zu Gefangenen gemacht.

Armand Lucnay verfluchte seine und seiner Leute Sorglosig­keit, er wünschte sich lieber auf dem Grunde des Meeres, als in den Händen der Moslims zu sein, von denen er sich bereits auf den nächsten Markt geschleppt und als Sklave verkauft sah. Die Gefangenen mußten den Weg zurück, den sie gekommen waren. Als sie wieder in dem klaren Licht des Mondes dahinritten, sprengte plötzlich ein junger Türke auf feurigem Pferde heran. Armand erkannte an der reichen Kleidung desselben, daß er von vornemem Stande sein müsse, und rief ihn in seiner Mutter­sprache an. Der Türke brachte überrascht sein Pferd zum Stehen, und die Drusen namen sofort eine ehrerbietige, ja demütige Hal­tung an. Lucnay schilderte ihm den Ueberfall und bat um seine Hülfe, und dieser antwortete ihm im reinsten, elegantesten Fran­zösisch, wie es damals nur die höchsten Kreise in Paris sprachen. Mit einer stolzen Handbewegung rief er den Anfürer der Drusen, Emir Beschy, zu sich. Armand verstand nicht, was er ihm sagte, aber der Ton seiner Worte Klang befelend und verweisend. Der Emir neigte sein Haupt bis zur Erde und ließ sofort den Ge­fangenen die Fesseln abnemen.

Armand dankte dem Retter in warmen Worten, die dieser mit huldvollem Lächeln entgegennam. Das Auge des Franzosen hing wie gebannt an der von Reichtum und Schönheit stralen­den Erscheinung des jungen Türken. Wer konnte das sein? Die Frage beschäftigte ihn unaufhörlich. Der rätselhafte Fremde forschte nun, wohin er sich zu wenden gedenke und bot ihm, falls er für diese Nacht nichts mehr zu unternemen habe, seine Gast­freundschaft an. So artig auch diese Einladung klang, so war doch das ganze Wesen des jungen Mannes von jener befelenden Weise, wie sie nur Königen und Herrschern eigen ist. Lucnay, dessen Neugierde auf das höchste gespannt war, nam das Ge­

botene dankbar an.

Sie ritten einen steilen Felsenpfad hinan und kamen nach etwa einer Stunde an eine hohe starke Mauer. Der Türke ließ ein kleines silbernes Horn, das auf seiner Schulter hing, er­tönen, und wie mit einem Zauberschlage öffnete sich das Tor. Durch dasselbe kamen sie in einen Vorhof, der ein riesiges Felsen­schloß umgab, das mer einer Festung, als einem friedlichen Wohnsize glich. In dem Hofe lagerten neben kleinen Zelten weiße und schwarze Sklaven, die bei dem Anblicke ihres Herrn sich mit dem Gesichte zur Erde warfen. Der schöne Türke er teilte mit lauter Stimme Befele, Armand verstand kein Wort, es war offenbar arabisch, aber er begriff es vollkommen, daß seine Untergebenen mit Blizesschnelle seinen Wünschen nach tamen, denn er selbst fülte sich niedrig und klein der dämonischen Gewalt dieses seltsamen Mannes gegenüber.

,, Ich hoffe, Sie werden gut schlafen," sagte der Türke, leicht vom Pferde springend und sich mit vornemem Anstand vor dem Franzosen verneigend, ich habe bereits für Ihre und Ihrer Leute Unterkunft gesorgt."

Lucnay dankte und folgte dem Wink eines Mannes, der ein. Aufseher zu sein schien und der ihn samt seinem Gefolge in eines der Nebengebäude fürte, wo sie ein gutes und angenemes Nachtquartier fanden.

Früh am nächsten Morgen, noch ehe die Hize das Verweilen im Freien unangenem machte, verließ Armand mit seinen Leuten das Schloß, um seinen durch das Abenteuer unterbrochenen Weg fortzusezen. Er konnte seinem gastfreundlichen Retter, den er zu so früher Stunde nicht zu stören wagte, nicht mehr danken, und ebenso hatte er vergebens versucht, durch die Dienerschaft des Schlosses zu erfaren, wer der Besizer desselben sei. Ein seltsames | Geheimnis schien das schöne Felsenschloß zu umgeben. Lucnay sollte indes für diesmal den beabsichtigten Weg nicht machen. Kaum war die kleine Karawane einige Stunden geritten, als sie von einem reitenden Boten eingeholt wurde, der Armand eine Depesche überbrachte, die ihn sofort nach Saida zurückzukeren bestimmte.

Dringende Geschäfte namen ihn dort durch einige Tage un­unterbrochen in Anspruch, so daß er nahe daran war, die Ein­ladung einer vornehmen griechischen Familie, deren Bekanntschaft er in Saida gemacht hatte, zu einer Soirée zu refusiren, wenn derselben nicht die lockenden Worte beigefügt gewesen wären: fommen Sie, Sie werden bei uns die interessanteste Frau des Jarhunderts kennen lernen.

Der junge Diplomat arbeitete nun doppelt fleißig, um die wenigen Abendstunden für sein Vergnügen zu gewinnen, was ihm auch gelang.

,, Wer ist in Ihren Augen die interessanteste Frau des Jar­hunderts?" war seine erste Frage, als er bei seinen Freunden eintrat.

,, Lady Hester Stanhope , die Königin von Palmyra ," ant­worteten diese lächelnd.

,, Von welcher Lady Stanhope sprechen Sie?" fragte der Franzose wieder.

"

Von welcher sonst, als von der Nichte des großen Pitt!" " Sie nannten Sie doch die Königin von Palmyra ?"" " Wissen Sie denn nicht, daß die Bewoner jener Gegend sie zu ihrer Königin ausgerufen haben?"

Lucnay wußte es nicht. Er kannte wol den Ruf der Nichte des berühmten englischen Staatsmannes, als den der geistreichsten und schönsten Frau Englands, er wußte, daß sie zu Lebzeiten Pitts eine große Rolle gespielt hatte, daß sie die Vertraute ihres Onkels war, der sie in alle seine Pläne und Unternemungen ein­weite, daß sie mit ihrem durchdringenden Verstande selbst dem apatischen Könige imponirt hatte, der sie seinen treuesten und besten Minister genannt, aber seit dem Tode Pitts wußte er nichts mer von Lady Hester Stanhope . Er wußte nicht, daß sie den Orient bereist hatte, daß ihr Moslims wie Christen überall Triumphe bereiteten, daß ihr Geist und ihre Schönheit merere syrische Stämme bewog, sie zu ihrer Königin auszurufen und ihr wie einer solchen zu huldigen. Alles das und noch mer erzälte ihm die Hausfrau und reizte damit seine Neugier so ser, daß er die Ankunft der berühmten Engländerin kaum erwarten konnte.

Man war noch mitten im Gespräch, als die Türe aufging und eine hochgewachsene Frau in kostbarer türkischer Kleidung, aber unverhüllten Hauptes, eintrat. Gang und Haltung der Dame waren von offenbar ungekünstelter Majestät, aber alles überstralte ihr Gesicht, das von einer warhaft blendenden Schön­heit war.

,, Lady Hester Stanhope ," sprach die Hausfrau, die Fremde vorstellend. Armand Lucnay wagte nicht, ihr ins Gesicht zu sehen, es schien ihm wie ein Märchen ans Tausend und eine Nacht. Denn Lady Hester und der schöne Türke, der ihn ge­rettet, waren eine und dieselbe Person.

* Dieser kleinen Erzälung der unter dem oben angegebenen Schriftstellernamen schreibenden Frau von Sacher- Masoch liegt historische Warheit zugrunde; die Herrin von Dar- Dschun hat gelebt und ist in ihrer geschichtlich äußerst merkwürdigen Individualität von der geehrten Verfasserin sehr treffend gezeichnet.

D. Red.