Wärend der ganzen Unterredung hatte die Herrin von Dar­Dschun Armand nicht eines Blickes gewürdigt, sie sprach in seiner Gegenwart von ihm wie von einer Sache. Auch jezt befal sie ihrem Sklaven nur kurz, ihn fortzufüren, sie selbst blieb noch bei dem Pascha, um sich über die Statsgeschäfte mit ihm zu besprechen.

Armands Innerstes empörte sich über die Art, in der man mit ihm verfur. Lieber hätte er sich zehnmal von den Henkern erdrosseln lassen, als Lady Hester zu gehören. Tränen der Wut traten ihm in die Augen, wenn er an das grausame Schicksal dachte, das ihm bevorstand. Wenn er noch hätte hoffen dürfen, daß sie ihn, wie jenes Pferd, im Zorn erschießen werde! Aber das wäre mitleidig gewesen, das war nicht zu erwarten. Unter tausend physischen und moralischen Qualen sah er sich zu Tode gepeinigt, und Ellis, das gute, unschuldige Mädchen mußte vielleicht zusehen, wie er in dieser Weise endete.

Unter solchen und änlichen Gedanken brachte man in später Abendstunde den Gefangenen auf daß Schloß im Libanon. Lady Hester war noch nicht aus Saida zurückgekehrt. Man sperrte ihn vorläufig in ein festes Verließ des Turmes, bis die Herrin Zeit finden würde, uach Gutdünken über ihn zu verfügen. Armand verbrachte eine qualvolle Nacht. Als der Morgen graute, spähte er ängstlich hinaus; er hoffte, irgendwo die Geliebte zu entdecken und sich durch Zeichen mit ihr zu verständigen. Aber er spähte vergebens; sein Fenster ging auf kale Felsenwände, die wol noch nie ein menschlicher Fuß betrat. Verzweifelnd warf er sich zur Erde und versant in gedankenloses Brüten, aus dem ihn nach mereren Stunden zwei Sklaven weckten, die ihn vor ihre und jezt auch seine Gebieterin fürten.

Auf das äußerste gefaßt, folgte er denselben. Hester empfing ihn in ihrem kleinen eleganten Salon. Sie war diesmal in französischer Toilette, von den Seidenwellen eines hellblauen Schlafrockes umwogt, und hatte das Har nach der damaligen Mode hoch aufgesteckt. Sie lag auf einer Ottomane, den Kopf anmutig zurückgelehnt. Armand," sagte sie nachlässig," Sie wissen wol, daß Sie in meiner Macht sind, und daß ich über Sie verfügen kann, wie ich will?"

" Ich weiß es," erwiderte der junge Mann dumpf, und ganz zu ihr hintretend, warf er sich auf die Knie und bat: Was Sie auch mit mir beginnen wollen, Lady, ich bin vollkommen in mein Schicksal ergeben, nur um eins bitte ich Sie, geben Sie Ellis frei, lassen Sie sie nicht um meinetwillen leiden, sie hat warlich nichts verschuldet."

,, Ob Ellis Jhretwegen noch leiden wird, hängt ganz von Ihnen

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ab," erwiderte Hester ruhig, stand auf und öffnete die Tür des Nebenzimmers, durch welche Ellis errötend eintrat.

Hester nam sie an der Hand und fürte sie Armand zu; dann zog sie ein Packet Schriften hervor.

,, Hier," sagte sie, haben Sie Ihre Braut und hier ihre Aus­steuer und die Papiere, die Sie nötig haben, um unbelästigt den Orient zu verlassen. Ich werde Sie heute Nacht auf einem ver­borgenen Pfade bis an das Meer füren, wo Sie eine Barke er­warten wird. Der Besizer der Barke ist vollkommen verläßlich, er wird Sie an Bord eines französischen Schiffes bringen." Sie wollte rasch das Zimmer verlassen, aber Armand und Ellis er­griffen ihre Hände und zogen sie dankbar an ihre Lippen. " Danten Sie nicht," sagte Lady Hester mit einem bitteren Lächeln, sonst könte ich vielleicht noch meine Schwäche bereuen." Was Hester versprochen, hielt sie auch. Sie selbst brachte die Liebenden bis an das Meer und sah sie noch die Barke besteigen und fortsegeln. Gesunkenen Hauptes, in tiefes Sinnen verloren, schritt sie den Weg zurück, den sie gekommen war.

Nach einiger Zeit verbreitete sich in Saida das Gerücht, daß Lady Hester Stanhope einen jungen Franzosen nach grausamen Qualen zulezt in einen Turm gesperrt habe und dort habe ver­hungern lassen.

Abdallah Pascha lächelte zufrieden, und um sich der schönen Lady dankbar zu zeigen, sante er ihr zwei der schönsten Pferde aus seinem Marstall.

Seit dieser Zeit kam Hester nicht mer nach Saida . Immer mer wich sie dem Verkehr mit der Welt aus. Nur wenigen ge= lang es noch, bis zu ihr zu dringen, und nur dann, wenn sie vorher in wichtigen Angelegenheiten um den Rat der weisen Frau nachsuchten. In die Geheimnisse der Sternenwelt einzudringen, war ihr einziges Trachten; sie verbrachte ihre Nächte damit, den Lauf der Gestirne zu verfolgen.

Bald hatte sie im ganzen Lande den Ruf einer Prophetin erlangt, und mit heiliger Andacht wallfarteten Moslims wie Christen zu dem Felsenschloß im Libanon und warfen sich an­betend mit dem Gesicht zur Erde nieder, wenn es ihnen gelang, in das Antliz der Heiligen " zu schauen.

Als Hester älter wurde, entließ sie den größten Teil ihrer Sklaven, nur die notwendigsten behielt sie; ihr selbst durfte sich nur eine alte Negerin nahen, und selbst mit dieser sprach sie nur durch Zeichen. Kein Fremder hatte mer Zutritt, die Tore ihres Schlosses blieben verschlossen, und erst nach ihrem Tode wurden sie wieder geöffnet. Mit allen Ehren einer Königin wurde sie be­erdigt, und ihr Andenken lebt heute noch im Munde des Volkes.

Tose Blätter aus der Geschichte zweier Kulturkämpfe.

Wir haben im vorigen Artikel gesehen, wie die Juden in Spanien den fanatischen Bekehrungsversuchen und den Verfol­gungen seitens der Christen des westgotischen Reiches hartnäckigen passiven Widerstand entgegensezten, der sich unter dem Deckmantel weitestgehender Nachgiebigkeit verbarg.

So tat im allgemeinen das jüdische Volk. Die jüdischen Schriftgelehrten dagegen verteidigten vielfach den Glauben ihrer Väter öffentlich tapfer mit den Waffen der ihnen zu Gebote stehenden Wissenschaft. Ob Jesus der vom alten Testament ge­weissagte Messias sei oder nicht, darum drehte sich zwischen ihnen und den christlichen Teologen der Streit.

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Jesus sei der Messias nicht behaupteten die Juden. Die 6000 Jare des Bestandes der Welt, nach deren Verlauf der Messias erscheinen und eine neue Weltordnung herauffüren werde, wie die Bibel verkündete, diese 6000 Jare seien noch nicht verflossen gewesen, als die nazarenische Zimmermannsbraut ihren Erstgebornen zur Welt gebracht. Der Segen Jakobs weise auf Jesus als den Messias hin, behaupteten dagegen die Christen, indem er sage: Nicht weichen wird das Szepter von Juda und der Herrscherstab zwischen seinen Füßen, bis da komt, der u. s. w. Demnach müsse der Messias schon erschienen sein, denn die Macht sei längst von Juda gewichen. Dementgegen ließen sich die Juden nicht ausreden, daß fern im Osten immer noch jüdische Könige regierten, und daß sie damit nicht so ganz unrecht hatten, werden wir im Verfolg unsres Temas noch erfaren.

Indessen brach über das Reich der Westgoten am Anfang des achten Jarhunderts das Ende mit Schrecken herein. Ein Heer

( Schluß.)

von Mauren , jenem an der nordafrikanischen Küste aus den Resten der mauritanischen Eingebornen und den verschiedenen Eroberern, von den Vandalen bis zu den Arabern, entstandenen Mischvolke, landete in Spanien und unterwarf innerhalb kurzer Zeit die ganze Halbinsel der maurischen Herrschaft und dem Islam .

In der Stunde der Vernichtung für die Christenherrschaft schlug die Glocke der Befreiung für die Juden. Und wie sie den arianischen Westgoten den Dank für die Duldung ihres Glaubens und für die Freiheit ihres Wandels und Wirkens redlich heimgezalt hatten, so statteten sie ihn auch ein halbes Jartausend hindurch den Mauren ab, indem sie bedeutungsvollen Anteil namen an deren Kulturarbeit. Nicht nur durch Handels­gewantheit und industrielle Betriebsamkeit zeichneten sie sich aus, nicht nur durch Anhäufung materiellen, insbesondere Geldreichtums, worin sie überall und zu allen Zeiten Meister waren, sondern auch als tüchtige Schriftsteller und eifrige Gelehrte, selbst als Politiker und Statsmänner namen viele von ihnen einen hohen Rang ein.

Diese ihre Erfolge erregten natürlich, gradeso wie die jüngsten Gründerprofite und der parlamentarische Einfluß vieler deutscher Juden in der Milliardenära des neudeutschen Kaiserreichs, den Neid und Haß des Pöbels aller Gesellschaftsklassen. Es be­gannen allmälich Anfeindungen und Chikanen aller Art, bis in dem durch seine leppigkeit verfallenden Maurenreiche die fanatische Sekte der Almohaden zur Herrschaft kam, und damit nach viel­hundertjäriger bürgerlicher Ruhe wieder eine Zeit der Verfolgung für die Juden anbrach.