So schlimm aber wie unter der Geißel, welche die frommen Pächter der Nächstenliebe über Fremdgläubige immerdar geschwungen haben, wurde es auch diesmal nicht für Israel . Wenn sich die Juden und mit ihnen die Christen im Maurenreiche nur äußerlich zu Allah und seinem Propheten bekanten, so fonten sie im Herzen bleiben, was sie wollten. Synagogen und Kirchen wurden freilich zerstört und wer nicht zum Islam übertreten wollte, mußte flüchten. Weitere Verfolgungen schlimmer Art gab es aber nicht.
Das Reich der Almohaden wurde gegen Ende des 13. Jarhunderts zertrümmert, die Mauren aus einem ihrer spanischen Königreiche nach dem andern verdrängt ,, das Christenthum löste den Mohamedanismus wieder ab und die Judenbedrückungen begannen sofort ärger als zuvor. Dem frommen Bettelorden der Dominikaner , der eigens zur Ausrottung aller Kezerei gegründet worden war, haben die Juden die erbarmungsloseste Verfolgung, die zalreichsten und grausamsten Blutbäder zu verdanken, die sie überhaupt betroffen haben.
Die dominikanischen Kezerrichter, unterstützt von Renegaten des Judentums, verfuren streng nach den Bestimmungen des im Jare 1229 abgehaltenen Konzils zu Toulouse , deren Wortlaut so bezeichnend für die christliche Wirtschaft jener Zeit ist, daß er hier wiedergegeben zu werden verdient. Das genannte Konzil verordnete:
" Jeder Bischof soll bei Strafe der Absezung järlich seine Diözes visitiren, in jeder Parochie drei oder mehrere Laien von gutem Rufe nebst dem Parochus eidlich verpflichten zur Denunziation aller Verdächtigen und zur Unterstüzung ihrer Bestrafung. Jeder Fürst, Bischof, Gutsherr oder Richter, welcher einen Kezer verschont, soll seines Landes, Amtes oder Gutes verlustig sein; jedes Haus, in welchem ein Kezer gefunden wird, soll niedergeriffen werden. Zu Kezern und Verdächtigen(!) wird auch in tötlicher Krankheit kein Arzt und kein Genosse ihres Ver brechens zugelassen. Aufrichtige Reuige werden, wenn ihre Heimat verdächtig ist, aus dieser entfernt, erhalten besondere Tracht und sind aller öffentlichen Rechte bis auf päpstliche Dispensation verlustig. Bußfertige aus Furcht werden eingeschlossen."
Mit der Ausfürung dieses nichtswürdigen Erlasses begnügten sich übrigens die Inquisitoren in Spanien , wie überall da, wo sie unbeschränte Macht gehabt, nicht. Bald kamen noch eine Menge Verschärfungen hinzu. Man sah schon die als verdächtig an, welche es wagten, Kezern und Verdächtigen irgendwelche Hülfe oder Unterstützung, selbst das geringste Almosen zuteil werden zu lassen. Verdächtig der Kezerei wurde auch, wer zufällig nur mit einem Kezer oder Verdächtigen in ein und demselben Wirtshause betroffen wurde, wer einem Kezer oder Verdächtigen den Bart rasirte, seine Wäsche wusch oder ihm Waschwasser reichte, wer ihm Narungsmittel verkaufte, wer einen Kezer grüßte, und so weiter in's haarsträubende hinein. Wer einen kezerischen oder verdächtigen Gatten nicht sofort verleugnete, Kinder, welche ihren tezerischen oder verdächtigen Eltern nur noch das geringste Zeichen der Liebe und Anhänglichkeit erwiesen, waren gleichfalls strafbar.
Freilich gingen alle diese tollen Bestimmungen die Juden nicht unmittelbar an; sie richteten sich direkt nur gegen die vom allein berechtigten, kirchlich anerkanten Glauben abweichenden Christen. Aber um die Juden als Kezer so recht nach Herzens lust malträtiren zu können, brauchte man sie ja blos vorher zu Christen zu machen.
Das wurde denn auch mit allen erdenklichen Mitteln besorgt. Anfänglich wendete man zu diesem angeblich gottgefälligen Zwede nur geistige Mittel an. Man gründete Schulen, welche die hebräische und arabische Sprache zu lehren hatten, damit Juden und Mohamedaner bekehrt werden könten. Auf daß die Juden von der Frrigkeit ihrer Glaubensanschauungen überzeugt würden, griff man wieder einmal zu dem amüsablen Mittel der Disputationen. Gleichviel ob die Juden wollten oder nicht, sie mußten ihren Glauben wider maulgewante Mönche, die nicht selten selbst nur getaufte Juden waren, verteidigen. Daß es sehr heiß herging bei solchen Redeschlachten und daß es mit diesen ungeheuer ernst genommen wurde, get u. a. daraus hervor, daß sie oft nicht nur Tage, sondern Wochen dauerten, ja, daß die uns bekante größte, in Tortosa vom 14. Februar 1443 bis zum 12. November des folgenden Jares, also ein ganzes Jar und neun Monate, gedauert und nicht weniger als achtundsechzig vielstündige Sizungen in Anspruch genommen hat, in deren jeder bis zur völligen Erschöpfung der Redenden geschwäzt worden ist.
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Wurden die jüdischen Rabbis besiegt in diesen Kämpfen, so ging es den jüdischen Gemeinden, die bei solchem frommen Vergnügen zuzuhören gewaltsam gepreßt wurden, schlecht, sofort schlecht, wenn sie sich weigerten, Christen zu werden, sehr bald schlecht, wenn sie sich dazu bereit finden ließen. Erst recht schlecht ging es ihnen aber, wenn ihre Rabbis über die Mönche den Sieg davontrugen, denn da hatten sie sich unfelbar vom Teufel unterstüzen lassen, und das forderte blutige Strafe- wie jeder fromme Christ leichtlich einsah.
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Ließ sich die weltliche Obrigkeit nicht ganz so bereitwillig zum blinden Werkzeug priesterlicher Verfolgungssucht gebrauchen, so wurde der christliche Pöbel fanatisirt, wozu die Disputationen selbst das beste Mittel hergaben. Dann wurde Volksjustiz" geübt, und so z. B. im Sommer 1391 nicht weniger als siebzig jüdische Gemeinden, insbesondere die zalreichen Judenschaften von Sevilla , Barcelona , Valencia , Burgos und Kordoba ge= martert, geplündert und gemordet. Viele tausende waren es, die in wenigen Tagen niedergemezelt wurden, andere tausende, hauptsächlich Kinder und Frauen, wurden in Sklaverei verkauft, sehr wenige vermochten zu fliehen, und die sich aus Furcht taufen ließen, kamen, wie bereits gemeldet, nur vom Regen in die Traufe.
Aenliche Judenmezeleien en gros wiederholten sich im Laufe der Jarhunderte öfter, und am 31. März 1492, im selben Jare, als durch die Eroberung Granadas der lezte Rest der maurischen Herrlichkeit in Spanien vertilgt wurde, erließ der König Ferdinand der Katolische ein Edikt, das allen Juden Spaniens anbefal, innerhalb vier Monaten Spanien zu verlassen, und zwar mit Zurücklassung all' ihres Besiztums an Geld und Gut. Alle Bemühungen, diese furchtbare Ausweisungsmaßregel nicht zur Ausfürung gelangen zu lassen, scheiterten, und über 300 000 Juden konten nichts besseres tun, als dem Lande ihrer Geburt auf immer den Rücken zu kehren, heimlich, wie der Dieb in der Nacht, mitschleppend, was von ihrem Eigentum beweglich und leicht zu verbergen war.
Später kam's noch besser. Allmälich waren wieder viele Juden nach Spanien zurückgekehrt, andere, die sich selbst oder deren Eltern sich aus Furcht zum Christentum bekant, hatten, als der schlimste Druck für kurze Zeit nachließ, wieder der alten, aus den Herzen und Köpfen auf brutale Weise nicht auszurottenden Religion sich zugewendet, furz, Spanien hatte wieder, zwei. Jarzehnte nach der großen Austreibung, viele hunderttausende von Juden aufzuweisen. So konte denn Ferdinand noch kurz vor seinem 1516 erfolgten Tode eine zweite Judenverfolgung ins Werk sezen, und hatte die Genugtuung, zu sehen, daß diese an Großartigkeit die vorangegangene noch übertraf. Diesmal teilten die Moriskos, die zum Christentum übergetretenen Nachkommen der in Spanien zurückgebliebenen Mauren , der Juden herbes Los, und das Land verlor auf einen Ruck über drei millionen seiner gewerbfleißigsten, tüchtigsten Bewoner.
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Dieser größten Judenvertreibung folgten im Laufe der nächsten Jarhunderte noch verschiedene kleinere. Daß immer wieder Juden in Spanien , diesem Lande der grauenhaftesten Rezerquälereien, vorzufinden waren, ist ein wares Wunder; sie völlig auszurotten, hat man nie vermocht. Noch bis in unser Jarhundert, das 19. nach Geburt des Christenheilands, dauern die Verfolgungen der Juden fort, und wenn die Juden heute sich offen zu ihrer Religion bekennen dürfen, wenn sie den übrigen Statsbürgern kaum seit ein par Jarzehnten gleichgestellt sind, nun, die frommen Christen können gewiß nichts dafür. Ist doch der bedauerliche„ Kulturkampf" gegen das Volk, aus dem den Christen ihr Heiland geboren ward, soeben erst in den Jaren 1880, 81 u. s. w. in schönster Blüte. Man verbrennt sie zwar nicht, aber man beschimpft und mißhandelt einzelne von ihnen gelegentlich bis aufs Blut, wo man es ungestraft tun kan, und Scherz war der in den„ Antisemiten" reihen der Gegenwart aufgetauchte Wunsch nicht, die deutschen Juden möchten aus Deutschland verjagt werden. Spaß war selbst der Ruf nicht, der vor wenigen Wochen in einer großen Versamlung in der Reichshauptstadt Berlin , der Metropole deutscher Intelligenz, erschallte: Die Juden müssen wieder verbrant werden!
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Der Verfasser dieser Skizze achtet das„ Kultur" gesindel zu wenig, welches solche Kämpfe fürt, und kent die Geschichte unsrer Kultur zu gut, um über diese Zeichen der Bestialität in den Menschen der Gegenwart erstaunt oder gar erbittert zu sein; er fült sich ferner ebensowenig zu den Juden hingezogen, als zu den Christen und zu len denen, deren Geist und Gemüt der