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Der Fremde stuzte bei der Nennung des Namens seines Gegenüber er erhob sich rasch und trat höflich auf den Dichter zu, der in zorniger Aufregung hin und her eilte und dabei mer als ihm gut war, dem Kruge zusprach.
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Verzeit meine leichtfertigen Worte, Mr. Greene, ich konte ja nicht ahnen, daß ich den Mann in Person vor mir hatte, über welchen ich mir ein flüchtiges Urteil erlaubte flüchtig, Sir, aber, wie ich wiederholen muß, nach dem, was ich von Euch gehört und in Erfarung gebracht, kann ich's leider nicht besser machen. Ich spreche Euch keineswegs das Talent ab, ebensowenig wie Shakespeare , den ich so genau wie mich selbst kenne, aber es schmerzt mich tief, wenn ich sehe, wo Ihr stet und bedenke, wo Ihr stehen köntet, ja wo Ihr stehen müßtet mit Eurer seltenen, schönen Gottesgabe!" Damit jezte er sich wieder auf seinen Blaz. Greene aber, der mit beständig wechselndem Ausdrucke der Züge den herben Worten gelauscht, auch mereremal heftig aufgesprungen war, schlug sich an die Stirn und murmelte:" Er hat recht ich bin ein erbärmlicher Wicht aber-", er wendete sich plözlich dem Fremden wieder zu:" He, und dieser Shakespeare, der in aller Munde ist und der Euer bester Freund sein soll, er war daheim in Stratford doch auch kein Heiliger, wie man sich erzält?"
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Eine dunkle Röte stieg im Gesichte des Unbekanten empor: " Ich kann's nicht leugnen," sagte er mit lauttönender Stimme, wieder vor den verkommenen Dichter hintretend, aber ich bin der festen Zuversicht, daß einst die Nachwelt einen Unterschied machen wird, wie es alle gutgesinten und einsichtsvollen Zeit genossen tun: William Shakespeare hat nur Jugendstreiche und Narrenspossen auf dem Gewissen und hofft in einem langen, an Arbeit und Mühen reichen Leben sowol den Seinigen allen früheren Kummer vergüten zu können, als auch die Welt zu zwingen, über der Anerkennung und dem Beifall seiner Mannestaten die Jugendtorheiten zu vergessen, Ihr aber, Robert Greene, habt
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ein reich angelegtes Leben vergeudet, habt Eure brave Frau und die ehrenvolle Pfarre von Tollesbury leichtsinnig verlassen und ein schönes Talent im Schmuz der Lüderlichkeit, im Schlampfule entnervender Laster zugrunde gerichtet, um, erst dreißigjärig, bereits mit einem Fuße im Grabe zu stehen, wie wollt Ihr solches Vergehen, fast möcht' ich's Verbrechen nennen, sühnen? Get, Ihr seid rettungslos dem Tode verfallen, get, und macht besseren Leuten Plaz, die Männer sind und ihrer Zeit als Männer die Hände zu leihen gedenken, die sich drängen, mitzukämpfen in der gewaltigen Geisterschlacht des Fortschritts, des Lichts, der Warheit und Freiheit, und die mit Hand und Feder säubern wollen den Jarmarkt des Lebens von faulen Schmarozern, von Glücksrittern, Lumpen und Feiglingen. Lebt wol und denkt an meine Worte, Mr. Robert Greene, ich heiße William Shakespeare !" Mit weit aufgerissenen Augen starrte der biedere Wirt dem Forteilenden nach, welcher ein Goldstück auf den Tisch geworfen und noch in der Tür auf Sir John und den Friedensrichter stieß, one indes besondere Notiz von den beiden zu nemen. Greene war auf die Bank im Winkel gesunken, das Gesicht hinter den zuckenden Händen verborgen, und ließ sich troz der Sticheleien, ja selbst der Bitten Oldcastles nicht bewegen, an den Tisch heranzurücken, an welchem sich allmälich die gewonte Tafelrunde zujammenfand.
„ Er hat recht, Bob, geh' ins Kloster," murmelte er einigemal vor sich hin, und als Mrs. Speedy mit Licht hereintrat, war er aus seiner Ecke und aus dem Zimmer verschwunden. In später Nachtstunde fand ihn sein Wirt, der ehrliche Schuflicker Sam Case, von einem Besuche bei seinem Freunde, dem Feldhüter Butcher, heimkehrend, sinlos betrunken an dem Halseisen des Marktes von Dowgate lehnend und verhöhnt von drei lüderlichen Dirnen, deren Büffe und zotigen Späße er ihnen lallend mit gleich unflätigen Titulaturen zu vergelten suchte.... | ( Schluß folgt.)
Wie soll man für das Volk
Eine Erörterung pro domo*).
schreiben?
nären Durchschnittsmenschen einer bestimten Zeit.
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,, Lebe mit deinem Jarhundert, aber sei nicht sein Geschöpf;| oder, um mich nicht besser, aber moderner auszudrücken, die ordileiste deinen Zeitgenossen, aber, was sie bedürfen, nicht, was sie loben. Denke sie dir, wie sie sein sollten, wenn du auf sie zu wirken hast, aber denke sie dir, wie sie sind, wenn du für sie zu handeln versucht wirst. Wo du sie findest, umgib sie mit edeln, mit großen, mit geistreichen Formen, schließe sie ringsum mit den Symbolen des Vortrefflichen ein, bis der Schein die Wirklichkeit und die Kunst die Natur überwindet."
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Also formulirt Schiller im neunten seiner Brife über die ästhetische Erziehung des Menschen" die obersten Grundsäze, wonach der Freund der Schönheit und Warheit" auf seine Mitmenschen zu wirken sich bemühen soll.
Diese Grundsäze enthalten sicherlich für ser viele, auch für verständige Menschen mancherlei Befremdliches, Schwerverständliches, wenn nicht gar vermeintlich Falsches."
Für's erste: Ueberhebt sich nicht ein Mensch, der sich einbildet, überhaupt etwas andres sein zu können, als das Geschöpf seiner Zeit?
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Der Mensch ist doch das Produkt seiner Verhältnisse, und diese Verhältnisse sind die Verhältnisse seiner Zeit, folglich ist und muß doch wol jeder sein das Geschöpf seiner Zeit. Mit Verlaub! Zugegeben- der Saz: der Mensch ist das Produkt seiner Verhältnisse sei richtig, umschließt nicht das Treiben jeder Zeit tausenderlei verschiedne Verhältnisse? Nicht Verhältnisse, welche gute und böse, edle und niedrige, gescheite und dumme, hochideal und grobmateriell angelegte Menschen, in nebliger Gefülsdämmerung dahinvegetirende und energisch handelnde, fieberhaft tätige Naturen schaffen? Welche dieser Menschengruppen würde Schiller nun Geschöpfe ihrer Zeit, ihres Jarhunderts nennen? Ich denke, diejenigen, deren Verstand und Gemüt, deren Denken und Handeln in ihrer Hauptrichtung dem Allgemeinverständnis, den herrschenden Gefülsbetätigungen, der Denk- und Handlungsweise der großen Masse der Menschen ihrer Zeit völlig entsprechen, das sind die Geschöpfe ihres Jarhunderts,
Aha da streckt der Aristokrat im Denken die verhaßten Glacéhandschuhe hervor! Er beleidigt die große Masse, d. h. das Volk" oder, ganz bescheiden gesprochen, die große Merheit des Volkes. Deren Denken und Handeln nent er mit vornemunverschämtem Achselzucken das Denken und Handeln des ordinären Durchschnittsmenschen.
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Gewiß, ihr Herren: das Volk- jenes Volk, das vor der Anangke, ins allgemeinverständlich Lateinische übersezt, vor dem Fatum, oder, gut deutsch, vor dem unerbittlichen Schicksal, den brutalen Tatsachen des Historisch- Gewordenen immer noch ehrfurchtsvoll und demütig den Rücken beugt, jenes Volk, das dem Könige der die Welt regierenden Götter, dem Erfolg, immer neue Altäre baut, jenes Volk, das um das goldne Kalb tanzt überall da, wo das vergötterte Tier nur gerut, sich blicken zu lassen, jenes Volk ferner, welches noch so intolerant ist, daß es Leute, welche von den herrschenden Meinungen und Marotten nichts wissen wollen, verkezert und verfolgt oder duldet, daß sie verfolgt werden, jenes Volt, das immer noch nicht Ehre genug im Leibe hat, um im Freunde und Arbeits- oder Strebensgenossen den selbständigen, geistesfreien Mann zu ehren und im Feinde den Menschen zu achten, jenes Volt, an dem noch soviel mer auszusezen ist, daß ich dicke Bände schreiben müßte, um seine Torheit zu erschöpfen, bildet es nicht auch heute noch, im lezten Fünftel des 19. Jarhunderts, die„ imposante" Merheit aller Kulturvölker? Und tut man den Bestandteilen dieses Volkes" etwa unrecht, wenn man sie unter dem Titel ordinäre„ Durchschnittsmenschen" in einen einzigen, großen, grobirdenen Topf wirft? Ich denke: nein!
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Es ist also keine Ueberhebung, etwas besseres sein zu wollen, als das Geschöpf seiner Zeit, solange die Zeit nicht besser ist, als sie heutzutage ist, und als sie war, seit es Menschen gibt, die sich in unsäglich langwierigem Ringen loswinden aus den Ketten und Banden der Tierheit, der sie entsprossen sind.
*) Pro domo: wörtlich für's Haus", soviel als: im eigenen Interesse.