Gymnastik und Turnen.

Wir Deutsche  , die wir uns daran gewönt haben, das Turnen als das Non plus ultra der Gymnastik, wo nicht als die einzige, ware Gymnastik zu betrachten, urteilen im ganzen sehr geringschäzig über die gymnastische Erziehung der übrigen Völker. Und doch kann es für den vorurteilsfreien Beobachter keinem Zweifel unterliegen, daß Gymnastik und Turnen durchaus nicht dasselbe sind, daß andere Kulturvölker in puncto der Gymnastik ganz respektables leisten, obgleich das Turnen ihnen fast oder ganz unbekant ist, und daß ein fremdes Volk uns auf dem Gebiete der Gymnastik sogar den Rang abgelaufen. Dieses eine Volk sind die Engländer. Das Turnen ist freilich bei ihnen eingefürt, ist und bleibt aber eine erotische Pflanze was die Engländer gym­nastisch zum ersten Volk der Erde gemacht hat, das sind die ,, atletischen Spiele"( athletic sports), die von allen Klassen der Bevölkerungs geübt werden und zu nationalen Spielen geworden sind. Von dem Reiten ganz abgesehen, welches den häßlichen Auswuchs der Wettrennen und des Wettens erzeugt hat, werden in England alle Arten atletischer Spiele und förperkräftigender Sports mit gleichem Eifer gepflegt: Schwimmen, Schlittschulaufen, Gehen, Laufen, Springen, Rudern, Boxen, Cricket und andere Ballspiele u. s. w. der einzige Sport, der ver­nachlässigt wird, ist das Fechten, dessen gymnastische Bedeutung für die Ausbildung des Körpers und für die Körperhaltung weiland von Goethe gebürend hervorgehoben worden ist. Indes, das hängt zum Teil mit der Abneigung der Engländer gegen alles militärische zusam­men, und sie treiben die sonstigen Arten der Gymnastik so gründlich und so vielseitig, daß der Mangel so ziemlich ausgeglichen wird.

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Es kann hier nicht die Rede davon sein, die einzelnen Sports ein­gehend zu behandeln. Genug, die erwänten atletischen Spiele und Sports haben sich so eingebürgert, werden so allgemein geübt, sind so in das Leben der Nation übergegangen, daß sie ein wesentlicher Teil des englischen Volkslebens geworden sind. Alle Gesellschaftsklassen Eng­lands pflegen atletische Spiele, ja sogar die Damen betreiben mit großem Eifer einige derselben, die sich dazu eignen, z. B. das Bogenschießen, Schlittschulaufen, Schwimmen welche zwei Künste übrigens auch bei Reiten und der deutschen Frauenwelt mer und mer Pflege finden namentlich Gehen. Man wird wenige, den gebildeten Ständen ange­hörige, Engländerinnen finden, die nicht gute und ausdauernde Fuß­gängerinnen sind, und das bei schlechten Wetter wie bei gutem. Doch von den Damen vielleicht ein andermal.

Jezt haben wir es mit der männlichen Körpererziehung zu tun. Der Vorteil, den die gymnastischen Spiele der Engländer vor dem orto­doyen deutschen Turnen voraus haben, bestet in ihrer größeren An­ziehungskraft das Vergnügen, welches sie bereiten, reizt zur Wiederholung- es wird ihnen eine relativ weit beträchtlichere Zeit gewidmet, und die Folge ist, daß sie den vielfach unbewußten Zweck der Körperausbildung und-Kräftigung viel besser erfüllen, als unser Turnen den bewußten.

Das Turnen ist heutzutage zwar in den meisten deutschen Schulen obligatorisch, allein die Zeit, welche darauf verwant wird, ist viel zu gering, als daß die woltätigen Wirkungen zu genügender Geltung kommen fönten. Gerade bei der Gymnastik, wenn anders sie ihren Zweck erfüllen und nicht in sinlose Spielerei ausarten soll, bedarf es fortgesezter, anhaltender, häufig wiederholter Uebungen.

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Weil es aber dem Turnen infolge seiner- ich möchte sagen dog­matischen Monotonie und Langweiligkeit an Anziehungskraft felt, wird außerhalb der Schule sehr wenig geturnt; und, von verschwin­denden Ausnamen abgesehen, kann man getrost behaupten, daß der größere Teil der deutschen Jugend gar keinen, oder so gut wie gar feinen und der Rest erst in dem Kasernenhof einen einigermaßen gründ­lichen Turnunterricht erhält einen Unterricht, der leider den doppel­ten Feler hat, sehr einseitig zu sein und viel zu spät zu kommen. Der gymnastische Unterricht muß sehr früh anfangen, wann der Körper noch bildsam und elastisch ist. Seiltänzer, Gymnastiker von Profession u. 1. w. beginnen ihre Erziehung schon mit dem 3. und 4. Jare. Das soll selbstverständlich nicht als Muster hingestellt werden, ist aber ein Fingerzeig. Was könte geleistet werden, wenn dem gym­nastischen Unterricht schon von zartester Jugend an gebürende Sorgfalt zugewant würde! Welche Resultate würden erzielt, wie viel höher, als jezt der Fall ist, könte die körperliche Tüchtigkeit unseres Geschlechts gebracht werden!

Wärend wir in England, wie schon gesagt, alle Klassen der Be­völkerung, in erster Reihe die gebildeten, vornemen" Klassen, sich mit Eifer den atletischen Spielen widmen sehen, bemerken wir in Deutsch  land eine fast allgemeine Gleichgiltigkeit wider das Turnen, und zwar ganz besonders unter den ,, gebildeten und vornemen Klassen". Vergleichen wir z. B. einmal die deutschen und die englischen Studenten. Der deutsche Studio, falls er nicht als Einjäriger" tom­mandomäßig zu turnen hat, treibt durchschnittlich sehr wenig oder gar feine Gymnastik; er teilt sein Leben( in zwei allerdings sehr ungleiche Hälften) zwischen dem Colleg" und der Kneipe. Nur, wenn er einem " Corps" angehört, bringt er auch einige nennenswerte Zeit auf dem Fechtboden zu, wo übrigens, der Regel nach, nur höchst primitives, dem Goethe'schen Ideal feineswegs entsprechendes Fechten gelehrt und und das dürfte typisch sein turnen gelernt wird. In Leipzig  nach der im ,, Leipziger Tageblatt  " vom 13. Juli 1880 veröffentlichten Turnstatistik von über 3000 Studenten 90! Das heißt von je

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hundert jungen Männern im kräftigsten, lebensmutigsten Alter genau drei! Das ist eine Ziffer, die zum Nachdenken zwingt.

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Anders in England. Der englische   Student stet zwar im Kneipen, richtiger im Trinken denn das chronische, in Permanenz erklärte Trinken, welches man Kneipen nent, ist etwas spezifisch deutsches-, also der englische   Student ist auch kein Kostverächter und stet nach ger­manischer Art beim Trinken seinen Mann, aber seinen Hauptehrgeiz sezt er nicht in die Vertilgung von Schoppen, sondern in möglichst ausgezeichnete Leistungen bei den atletischen Sports", welche an den Universitäten im Schwange sind: Boxen, Rudern und Cricket.

Die alljärlichen Ruderwettkämpfe zwischen den Universitäten Cam­ bridge   und Oxford   haben die Bedeutung eines englischen Nationalfestes erlangt.

Dem Schreiber dieses fällt es nun keineswegs ein, das Kind mit dem Bad ausschütten und das Turnen völlig verwerfen zu wollen. Für den Jugendunterricht wird es sicherlich mit Nuzen, als Grundlage der Gymnastik, beizubehalten sein, womit freilich das Wünschenswerte einer Reform nicht bestritten sein soll. Das Turnen in seiner gegen­wärtigen Gestalt ist so entsezlich langweilig und geisttötend! Und darin liegt, was schon angedeutet ward, der Grund, daß es den Zweck gym­nastischer Nationalerziehung nie und nimmermer erfüllen kann.

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Vor einigen Monaten machte Dr. Guido Weiß manchem un serer Leser gewiß bekant anläßlich eines Vortrags über ,, Das Kin­derspiel und seine Geschichte"( S. Frankfurter 8tg." vom 16. Novbr. 1880) auf diesen Uebelstand aufmerksam. Er sagte- nach dem Be­richt der Frankfurter Beitung":

,, In ihrem Spiel haben die Kinder zu allen Zeiten das nachgeahmt, was sie an den Großen gesehen. So stellten die Kinder im alten Hellas die Ueberwindung eines Gegners, dessen Gefangennemung und Forttragung in die Sklaverei dar. Darum finden wir in solchen Spielen List, Gewantheit, kurz, alle Tugenden, wie sie die Notwer in den Zeiten eines beginnenden Kulturlebens erforderte. Wenn wir die Entwicklung des Spiels von den primitiven Kulturzuständen bis auf die Gegenwart verfolgen, so ergibt sich, daß auch hier Veredlung möglich und not­wendig ist. Fröbel ist diesem Gedanken nahe getreten und hat ihn für die erste Lebensstufe durch die von ihm eingefürten Spiele zu er­reichen gesucht.

,, Aber welchen Ersaz soll man den Erwachsenen bieten? Für diese hat man das Turnen nüzlich gefunden. An sich ist ja gegen das Turnen nichts zu sagen; aber es ist doch durch und durch geistlos und erziet die Jugend zu einer Autoritätsbedürftigkeit, welche sich später durch nichts mer herausbringen läßt."

So weit der treffliche Vortragende.

Er hat recht: das Turnen paßt nicht zum Spiel, paßt nicht zum Ersaz des Spiels. Und eine Gymnastik, welche ein Teil der nationalen Erziehung, ja ein Fundament nationaler Erziehung sein soll, muß un­bedingt den Charakter des Spiels tragen, in dem Sinn nicht in sflavischer Nachahmung der griechischen Wettspiele und der englischen atletischen Sports.

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lb.

Ein Prairiebrand.( Bild S. 297.) ,, Woltätig ist des Feuers Macht, wenn sie der Mensch bezämt, bewacht"- doch ,, wehe, wenn sie losgelassen!" Das mächtigste Großfeuer, welches je auf unserm Erdball entstet, ein Feuer, das sich selbst mit dem gefürchteten unermeßlichen Glühofen des Satans messen tönte, ist ein Prairiebrand, wie er zur Herbstzeit in den großen Grasebenen Nordamerikas  , die sich auf beiden Seiten des Missouri  , des größten Nebenflusses des Mississippi  , in einem Flächenraum, der noch bedeutend größer ist, als unser Deutsch­ land  , nicht eben selten vorkomt. Da hilft feine Rettungskompagnie und keine Berufsfeuerwehr, ja sämtliche Dampfsprizen der Welt dürften wol aufgefaren werden, one dem Brande Einhalt tun zu können. In neuerer Zeit sind größtenteils die Lokomotiven der Eisenbahnen, welche die Savannen durchziehen, die Brandstifter, obgleich den Dampfrossen höchst sinnreiche Maulförbe angelegt worden sind, welche das Beißen das Funkensprühen verhindern sollen. Aber zeitweilig sezen auch die Indianer die Prairien in Brand, um sich die Jagd zu erleichtern, namentlich, wenn sie sich für den nahen Winter mit Fleisch versehen wollen. Sie brennen eine Strede von mereren Meilen ab und lassen inmitten derselben eine kleine Fläche stehen, wohin das Wild zur Füt­terung fomt, wobei es leicht umzingelt und getötet werden kann. Mit­unter ziehen sich die Prairiebrände über hunderte von Meilen hin und richten dann natürlich Schaden an. Die Ansiedler suchen sich dadurch gegen die Brände zu schüzen, daß sie ein Gegenfeuer anlegen, welches die Grasflächen um ihre Gebäude herum absengt. Hierdurch wird dem Prairiebrande die Narung entzogen. Manche ziehen auch um ihre Felder mit dem Aderpfluge tiefe Furchen, und es wird durch die feuchte Erde dem rasch um sich greifenden Feuer ein Hindernis entgegengesezt, wenn hiese Vorkehrungen rechtzeitig genug getroffen werden können. Denn mit ,, Windeseile" verbreitet sich der Brand manchmal zehn und mer Meilen in der Stunde über die weiten Flächen der Steppe. Es verstet sich von selbst, daß der Brand nichts zurückläßt, als den ver­folten, mit Asche bedeckten Erdboden, auf welchem im nächsten Frühjar wieder das üppigste Gras wächst. Prairienbrände sind das groß­artigste Naturschauspiel, das man je in jenen breiten Steppen sehen kann", sagt Ernst von Hesse- Wartegg   in seinen Prairiefarten".