der sie bisher kaum eine Ahnung gehabt. Aber zugleich steigerte sich auch in ihr der Durst nach Reichtum und das Verlangen nach jenen Huldigungen, mit denen die Männer der guten Ge­sellschaft" das Weib, dem sie die Gleichberechtigung versagen, zu ihrer launenhaften Göttin erheben. Ihre Kleidung, ihre Wonung, die ganzen Verhältnisse, in denen sie lebte, erschienen ihr arm­selig, verlezend in ihrer Häßlichkeit, unerträglich. Sie fonte es kaum noch erwarten, in eine ihrer würdigere Sphäre einzutreten. In der ersten Zeit von Mariens Erkrankung, die weit hef tiger als bei Malchen auftrat, und deren langwieriger Verlauf diesmal allen Scharlach- Traditionen entsprach, hatte die Besorg­nis um die Schwester, der Elvira von Herzen zugetan war, ihre Gedanken teilweise absorbirt, jezt, als Marie in der Rekon­valeszenz sich befand, gab sie sich völlig ihren ehrgeizigen, hoch fliegenden Plänen hin. Nur hie und da verschleierten sich ihre Züge wie unter einem Schatten von Melancholie, ihr Auge nam dann einen sanfteren Ausdruck an, ihre Haltung erschien weniger stolz und zuversichtlich, und sie sah alsdann ihrer Schwester zum Verwechseln änlich.

Vielleicht war es der Sonnenstral eines waren Gefüls, das in solchen Augenblicken in ihr Herz fiel, aber es sollte und durfte sich ihm nicht erschließen.....

Es war ein heiterer Julimorgen, als Elvira abermals durch den Wald kam und den Weg nach der Villa einschlug. Als sie durch das Gittertürchen in den Park trat, gewarte sie in einiger Entfernung einen Mann, der sich an dem Stacket, das denselben umgrenzte, etwas zu schaffen machte. Es frappirte sie, daß dies in so früher Morgenstunde geschah; als sie aber jezt Eugen auf sich zufliegen sah, der ihr einen Strauß der herrlichsten Blumen entgegenbrachte und ihr von der Ungeduld sprach, mit der er sie schon erwartet hatte, da dachte sie nicht weiter an den Arbeiter, denn das schien er ihr, und sie nam Eugens Arm. Eine Weile schritten sie die Kieswege des blumigen Parterres, das vor der Villa sich ausbreitete, auf und nieder, dann traten sie zusammen ins Haus.

Als sie gegen sieben Uhr die Villa wieder verließ, glaubte sie hinter dem vieldurchbrochenen Bosquet   die hohe Gestalt des Arbeiters abermals zu bemerken, die aber bei ihrem Näher­kommen verschwand.

Weshalb wird mit den Arbeiten so früh begonnen?" fragte sie in sichtlichem Unmut den sie begleitenden Baron. Sie ver­sicherten mich doch, daß bis sieben Uhr alles ruhig bleiben und ich keiner Menschenseele begegnen würde."

,, Es sollte auch nicht sein," entgegnete Eugen ,,, und ich werde den Gärtner darüber zur Rechenschaft ziehen. Nichts in meinem Hause soll Sie irritiren, Elvira, nichts soll geschehen, das Ihre Unzufriedenheit hervorrufen könte, ich wäre zu unglücklich! Und ich wäre es noch mer, wenn ich selbst Ihre Unzufriedenheit ver­ursacht. Ich fürchte, es ist heute der Fall gewesen, Sie zürnen mir, weil ich Sie gedrängt, doch endlich in Ihrer Sache einen entscheidenden Schritt zu tun, sich doch endlich diesen kleinbürger lichen Verhältnissen zu entziehen und diejenigen zu acceptiren, unter denen allein sich Ihr Talent zur vollen Künstlerschaft ent­wickeln kann. Aber Sie haben unrecht, mein Fräulein."

Elvira sah noch ungeduldiger aus, und eine kleine Röte des Verdrusses stieg in ihre Wangen.

Ich kann jezt nicht nach Paris  , ich sagte es Ihnen schon, ich werde die Hochzeit meiner Schwester abwarten." Aber Ihre Schwester ist krank, die Hochzeit kann sich ver­zögern."

Ich glaube es nicht."

Und Sie haben den Brif Faurets gelesen; er will Sie hören, ehe er seine Gastspieltournée begint, um Sie einstweilen einem Meister zu vorbereitenden Studien zu übergeben. Sie sehen, alles drängt

"

,, Nicht so ser, Fauret wird erst in sechs Wochen verreisen, und bis dahin werde ich Zeit haben, mir die Sache zu überlegen." Ihr Ton war scharf und abweisend.

Stumm gingen sie eine Weile nebeneinander her, dem Aus­gange zuschreitend. Dort, ehe sie schieden, versuchte Eugen mit allen Schmeichelkünsten eine Versönung herbeizufüren, und es gelang ihm.

306

Er schien überglücklich; nachdem sie ihn aber verlassen und er jezt allein in seine Villa zurückkehrte, änderte sich rasch der Ausdruck seines Gesichts. Falten des Verdrusses zeigten sich auf seiner Stirne, und die Lippen preßten sich im Unmut fest zu sammen. Er hielt den Strauß, den Elvira nicht mitzunemen

gewagt, in der Hand, und er schlug in nervöser Gereiztheit damit gegen die Büsche, daß die frischen Blüten unbarmherzig zerfezt nach allen Seiten flogen. Sie büßten für seine getäuschten Er­wartungen.

-

An diesem Nachmittage hatte sich's Elvira in dem tiefen, weichgepolsterten Sessel der Tante, den sie so nahe wie möglich an das Fenster gerückt, bequem gemacht. Sie war allein, aber sie erwartete die Tante, die ihr hatte sagen lassen, sie werde sie zu einem kleinen Spazirgang abholen. Luise war in den lezten Tagen schon wiederholt in ihre Wonung gekommen, um nach Elvira zu sehen und ihr Gesellschaft zu leisten. Marie war zu aller Freude wieder vollständig hergestellt; die Zeit der Kontumaz war vorüber und Elvira sollte morgen schon zu ihrer Mutter zurückkehren.

Es war ein schwüler Sommernachmittag, und gähnend legte sich das junge Mädchen in den Lehnsessel zurück. Sie war müde, schläfrig, war sie doch so früh am Morgen aufgestanden, und jezt war es so heiß. Die warme Luft wehte durch das weit­geöffnete Fenster, strich liebkosend über ihr Angesicht und spielte mit dem leichten Gefräusel an ihrer Stirne. Die schwere Masse des zusammengedrehten Hares hatte sich etwas gelöst und schmiegte sich an das gerötete Or und den schlanken Hals. Es betäubte sie durch seine zarte Berürung, die das Atemholen zu einer vibrirenden machte, und durch jenen feinen, undefinirbaren Duft, der diesem üppigen Geflecht entströmte. Sie schloß die Augen, und alsbald kam ein süßes, traumhaftes Gefül über sie ein allmäliches Verdämmern der Außenwelt. Die Geräusche, die von der Straße hereindrangen, wurden immer unbestimter, immer leiser, wie aus weiter, weiter Ferne klangen sie zu ihr herüber, und jede Warnemung war endlich versiegt; die Eindrücke von außen tamen ihr nicht mer zum Bewußtsein: sie war entschlum­mert. Und sogleich ging in ihr jene, uns noch unbekante Ver­änderung vor sich, die den Traum bewirkt. Die anschauende Tätigkeit des Gehirns, die im wachen Zustande von außen erregt wird, ging nun vom Innern des Organismus aus; aber so fest schlief sie doch nicht, als daß nicht die Empfindung der Sinnes nerven noch durch äußere Einflüsse hätte affizirt werden können. Wie machtlos sind wir unsern Träumen gegenüber, wir können. uns nicht den Gegenstand auswälen, von dem wir träumen wollen, und so überkomt uns denn ein Traum als etwas Fremdes das sich one unser Zutun uns aufdrängt, ja selbst gegen unsern Willen. Was Elvira im wachen Zustande von sich bannen konte und was sie selbst ihrer Phantasie nicht gestatten wollte, im Traum erschien es ihr ungerufen und in all' der Lebendigkeit, die niemals unsre Phantasie, die nur die Wirklichkeit besizt. D, es gibt nichts Heimtückischeres, als einen solchen Traum!

-

Sie wußte sich im Lehnsessel ausgestreckt; sie fülte, wie die Lider sich geschlossen hatten, im Traume hatte sie die Empfin dung, daß sie träume; aber sie sah alles um sich herum, sie sah mit geschlossenen Augen. Und jezt stand plözlich die hohe Gestalt eines Jünglings vor ihr, und seine braunen, ausdrucksvollen Augen blickten so zärtlich auf sie nieder, wie sie es noch nie vor­her getan. D, wie sie das befriedigte! Sie hielt sich ganz ruhig, sie atmete kaum, um ihn nicht zu verscheuchen. Ich schlafe, sagte sie sich, er weiß es nicht, daß ich ihn sehe, und da offenbart fich's denn: ich bin ihm nicht ganz gleichgiltig. Und jezt- er beugt sich über sie sie fült seinen Atem ihre Wangen streifen, und einen heißen, würzigen Atem, wie damals im Ballsal, jezt fült sie, wie er leicht die Locken von ihrer Stirne streicht, Sie seine Lippen brennen auf den ihrigen. erbebt unter diesem Kusse, dem ersten und einzigen, den sie gegeben und empfangen und der ihr ganzes Sein mit einer noch nicht gekanten Seligkeit durchströmt. Sie fült ihr tiefes da tönt ein Erröten, die heiße Glut, die in ihr aufsteigt, dumpfes Dröhnen in ihr Dr, ein Klopfen ist's, es erweckt sie, sie färt in die Höhe. Da klopft es wieder. Sie greift sich an die Stirn, sie kann sich noch nicht fassen, noch zittert die Wonne dieses Traumes in ihrem Herzen nach, die Wirklichkeit vermengt sich mit demselben, und sie siet sich um, wo Friz geblieben ist.

und nun

-

-

-

-

-

Da öffnet sich die Tür er stet vor ihr. Nur mühsam unterdrückt sie einen Schrei. Friz verweilt unentschlossen einen Augenblick an der Tür, dann get er auf sie zu. Er sagt ihr einige Worte der Entschuldigung für sein plözliches Eindringen, sie antwortet ihm nicht. Unbeweglich bleibt sie vor ihm, mit klopfendem Herzen, die Augen gesenkt, die Lippen fest geschlossen. Friz stet erstaunt über diese sonderbare Art des Empfanges, aber er bemerkt jezt die wechselnde Farbe ihrer Wangen und er empfindet,