rötlichen Reflexen und unbestimtem bläulichen Helldunkel, die die Gemüter so mysteriös anmuten und so wol präpariren. Die Brautleute traten vor den Altar, die Zeugen und übrigen Mit­wirkenden stellten sich im Halbkreise herum; alle in möglichst im­posanter Haltung, wie sich's denn auch geziemt, wenn man vor ein großes Publikum tritt und aller Augen auf sich gerichtet fült. Der Herr Pfarrer, der auf das Brautpar bereits gewartet hatte und onehin darüber indignirt war, daß man ihn nicht zu Tische geladen, war entschlossen, die kürzeste Brautrede zu halten, die sein Vorrat an dergleichen schönen Dingen enthielt. Aber selbst diese kürzeste Traurede erschien dem Bräutigam noch viel zu lang. Dafür waren die Damen außerordentlich davon gerürt und suchten dieser Rürung den deutlichsten Ausdruck zu geben. Marie, die bisher mit ruhigem Ernst der Ceremonie gefolgt war, fand sich durch das heftige Schneuzen rund um sich herum irritirt; es wurde ihr plözlich bange vor einem Geschehnis, das alle mit heißen Tränen einweiten, und sie brach nun selbst in Schluchzen aus. Unter den Anwesenden entstand eine Bewegung; man schien auf dieses Weinen gewartet zu haben.

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Sie weint, sie weint!" flüsterte es ringsum. ,, Da bleiben ihr die Tränen im Ehestand erspart," wimmerte Frau Germanet unter ihrem Taschentuch.

,, Traurige Braut, lustige Frau," erwiderte die Bürgermeisterin. Der Segen war gesprochen, Alfred und Marie waren Mann und Weib. Man begab sich in die Sakristei zurück. Alfred fürte seine Frau ihrer Mutter zu und umarmte die leztere selbst, wie zum Abschiede. Aber bald waren sie von allen Bekanten um drängt, die das junge Bar bekomplimentirten und beglückwünschten. Das Umarmen und Küssen ging nun aufs neue los, und auch die Sacktücher wurden wieder in Bewegung gesezt. Alfred hatte Friz einen Wink gegeben, dann näherte er sich Luisen und sprach leise mit ihr. Luise wußte Marie für einen Augenblick von all den sie Umdrängenden freizumachen, diesen benuzte nun Alfred ser geschickt; er nam seine junge Frau fest bei der Hand, Friz bahnte ihnen eine Gasse, und ehe man sich's versah, waren die beiden aus der Tür und in einem Wagen. Alfred rief dem Kutscher etwas zu, dieser nickte, und rasch hinflogen die Rosse." Jm Sale des goldnen Löwen" war indes die Tafel für die Hochzeitsgäste hergerichtet und Couverts für 24 Personen waren aufgelegt. Alle Hochzeiter verfügten sich sogleich hierher, und man war ser erstaunt, Braut und Bräutigam nicht vorzufinden.

Sie sind nachhause gefaren," erklärte Luise. Alfred hatte gewünscht, daß seine Frau ihre Brauttoilette gegen eine andre vertausche." Diese Mitteilung wurde mit sichtbarem Kopfschütteln und heimlicher Entrüstung aufgenommen. Das Benemen des Bräutigam erschien in der Tat höchst sonderbar. Erst kam er zu spät, dann fur er wieder zu früh und entfürte ihnen seine Frau, ehe sie noch alle umarmt und beglückwünscht hatten. Es bildeten sich Gruppen, die diesen Fall diskutirten. Die arme Frau Weiß stand auf Kolen; sie beschloß, sogleich einen Boten abzusenden; aber es sollte auch nicht länger gewartet werden, und sie bat, daß man an der Tafel Plaz neme. Dies geschah. Ehe indes der Bote abgefertigt wurde, überbrachte das Dienstmädchen, zum allgemeinſten Erstaunen, ihrer Herrin einen Brief. Man sah sich an; was sollte denn das bedeuten? Frau Weiß hatte den Brif geöffnet und überflog rasch die wenigen Zeilen. Sie wurde rot und gab ihn mit ziemlich verlegener Miene an ihre Schwägerin. Die neugierige Spannung der übrigen war auf das höchste ge­stiegen, man blickte in lautloser Erwartung auf Luise, die den Brif durchlas und deren Gesicht sich merklich erheiterte.

Verehrte Anwesende," sagte sie, ich habe Ihnen die Flucht eines verliebten Ehepares zu melden, das sich hiermit höflichst für all die ihm gewordene Teilname bedankt und sich allen Freunden und Bekanten auf das beste empfielt."

Die Nachricht wirkte sensationell. Im ersten Augenblick waren sie fassungslos und starrten sich gegenseitig mit offenem Munde an, es schien ihnen fast, als müsse die Welt ins Schwanken kom­men, dann aber machte sich das zornige Erstaunen Luft. ,, Sie sind fort?- Wirklich? Ganz fort? Es ist nicht möglich! Vor dem Hochzeitsmale! Wo werden sie denn essen?-Was werden sie essen? Und ganz allein! An ihrem Ehrentage?! Es ist unerhört! Die arme Marie!" Erst nach geraumer Zeit beruhigte man sich soweit, um one das junge Ehepar ans Essen zu gehen. Man machte Versuche, heiter zu sein, die gute Laune wollte aber nicht so recht wieder­fehren, nur Minna und Friz zeigten sich ausgelassen lustig und tauschten öfter verstolene Blicke mit Luisen. Am grimmigsten war

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der Bürgermeister, der dies bemerkte und eine förmliche Ver schwörung gegen die Gäste witterte. Selbst Germanek, der Alle­weilfidele", zeigte sich verstimt. Grade er hatte mannichfaltiges präparirt. Einige lascive Anspielungen, einige lustige Bonmots, einige Gedichtchen; er hatte sich davon eine kolossale Wirkung versprochen, und nun war ihm dies alles verdorben, gründlich verdorben, und nicht einmal Knallkügelchen und Hochzeitsbonbons fonte er mit Effekt anbringen.- Frau Weiß verschwand zuerst und unvermerkt aus dem Kreise, sie hatte keine Freude an diesem Abend, und es war ihr wol nicht zu verdenken. Die älteren Damen und Herren griffen zu den Karten, wärend die jungen Leute ein Tänzchen arrangirten. Damit kam Lust und Leben in den tanzluſtigen Teil der Gesellschaft; nur Elvira, die sonst die Seele solcher Improvisationen war, erschien sonderbar gleich­giltig. Sie lachte freilich hie und da auf, aber es schien, als antworte sie damit auf heimliche Gedanken, die sie zeitweilig so ganz zu beschäftigen schienen, daß sie nichts von dem verstand, was man zu ihr sprach. Am nächsten Morgen hatte keiner der Hochzeitsgäste einen Kazenjammer, und sie schüttelten die Köpfe und wiederholten, wie am Abend vorher, daß dies doch die sonderbarste und ungehörigste Hochzeit gewesen sei, die sie jemals noch erlebt hatten. Die einzige Hofrätin fülte sich un­wol, fie mußte das Bett hüten und eine Leibbinde anlegen. Sie behauptete, daß ihre zarten Nerven durch die groben Rücksichts­losigkeiten und hauptsächlich durch die Skandale, die auf dieser Hochzeit vorgefallen, zu ser affizirt worden seien. Glücklicherweise brachte sie ein neuhinzugekommener Skandal wieder auf die Beine. Das Gerücht war ihr zu Oren gekommen, Elvira sei verschwunden. Das war viel zu pikant, als daß sie das nicht sogleich näher untersuchen sollte. Sie rappelte sich auf und stürzte zu Frau Weiß. Sie fand die Tür verschlossen. Die Hausleute sagten, auch sie sei abgereist. Die gute Hofrätin bekam Zuckungen. Da war etwas vorgefallen. Sie mußte es erfaren. Sie rante zu Germaneks, zu Kerzendochts, zum Bürgermeister. Sie alle wußten keine Auskunft zu geben; die arme Hofrätin war ganz desperat, sie fülte sich ernstlich unwol, aber sie konte unmöglich so gänzlich unbefriedigt nachhause und in ihr Bett zurückkehren. Sie schleppte sich mühsam, beide Hände gegen ihre Leibbinde gepreßt, zu den Depaulis. Gegen ihre Erwartung traf sie Luise dort und zwar allein. Diese empfing sie ser fühl, mit einem unhöflichen Er­staunen. Sie bot ihr nicht einmal einen Sessel an, und erklärte auf alle Fragen, sie wisse nichts weiter, als daß Frau Weiß und ihre Tochter eine Vergnügungsreise unternommen hätten. Die Hofrätin knirte höhnisch und ging wieder. Luise schloß hinter ihr die Tür und sezte sich an das Fenster. Ihr hübsches Gesicht nam einen ernsten, bekümmerten Ausdruck an; mit einem Seufzer nam sie einen Brif, den sie beim Eintritt der Hofrätin beiseite gelegt hatte, wieder vor und ihre Augen überflogen wieder und wieder den Brif, den ihre Schwägerin in dem Zimmer ihrer Tochter, statt dieser selbst, vorgefunden hatte. Er lautete:

,, Liebe teure Mama! Ich bin heute früh Morgens nach Paris gefaren. Ich werde mich hier einem berümten Meister vorstellen und unter seiner Leitung meine Gesangsstudien vollenden. Ich bitte Dich, liebe Mama, zürne mir nicht und komme mir sogleich nach, es ist das beste, was Du tun kanst. Ich habe diesen Schritt allein getan und will ihn allein verantworten; Dich kann und wird also kein Vorwurf treffen und auch Tante Luise nicht und nie­manden. Ihr habt alles getan, um mich zurückzuhalten, es war vergebens. Ich folge hier einem unbezwinglichen, allmächtigen Trieb, der mich in andere Bahnen weist, als sie gewönlich uns Mädchen vorgezeichnet sind. Mit der Offenbarung meines Talents ist mir auch der feste Wille erstanden, es auszuüben, es zur Gel­tung zu bringen. Der Anfang ist gemacht, Du stehst vor einem Geschehnis. Fürchte deshalb nichts für mich, ich bin stark und flug. Du findest mich im, Grand Hotel. Den Aufenthalt daselbst werde ich durch den Verkauf des Schmucks bestreiten, Du weißt, des alten der Großmutter, der mir als Erbteil zugefallen ist. Er wird auch für die ersten Anschaffungen noch reichen; bald bist Du wieder bei mir, ich rechne darauf, und dann werden wir hier, wie in Waidingen von Deiner Pension leben, bis zu dem Zeit­punkt, und er wird nicht fern sein, wo man mir das glänzende Honorar einer Künstlerin bezalen wird. Ich küsse Tante Luise und danke ihr noch vielmals für all' ihre Liebe. Auf Wiedersehen also, liebe Mama! Ich küsse. Dir die Hände. Deine Elvira."

Zwei Tage später hatte auch Friz Berger Waidingen ver lassen. Er war nach der Residenz gegangen, um durch einen Agenten ein Engagement an einer Provinzbüne zu erhalten.