Die Viktor Hugo- Feier in Paris . Zunächst muß ich das Geständnis ablegen, daß ich Viktor Hugo nicht leiden kann. Der erste Blick auf einen Menschen bestimt, wie man weiß, häufig unser Urteil für's Leben. So ging mir's mit Viktor Hugo . Nur, daß dieser erste Blick nicht Viktor Hugo selbst traf, sondern nur seine Photographie. Indes von allen Portraitmalern ist die Sonne troz alledem und alledem bis dato noch der beste*), und hätten wir von den hervorragenden Menschen der Vergangenheit Photographien, statt meist sehr schlechter Portraits, so würden wir sie richtiger beurteilen, als es uns jezt möglich ist, auch unsere Geschichtskentnisse wären wesentlich korrekter.
Was würde ich zum Beispiel für Photographien Robespierre's , Danton's, Hebert's, Chaumette's , des Herzogs von Orleans( Egalité) und anderer mer oder weniger bestrittener und zweifelhafter Helden der französischen Revolution geben! Doch ich wollte ja von Viktor Hugo reden. Es war vor 30 Jaren. Ich hatte nur sein ,, Notre Dame de Paris " gelesen und im ganzen eine recht gute Meinung von ihm, ja so etwas wie Bewunderung. Da kam ich nach London , und bei einem Freunde ,, des großen Dichters" fand ich eine Photographie desselben mit einer Widmung. Der große Dichter", an einen Felsen gelehnt, das titanisch trozende Auge in den düsteren Wolkenhimmel hineinborend, der den platonischen Prometeus mit Blizen bombardirt natürlich one zu treffen. Und die Unterschrift ein par Verse, der Photographie entsprechend: schwulstig, eitel, Schauspielerei und Pose. Mein erstes Urteil war im Nu umgestoßen, und das zweite, welches mir diese Photographie gab, ist geblieben. Ein Besuch bei Viktor Hugo bestätigte es nur. Das Original glich der Photographie.
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Viktor Hugo ist immer in Pose**) ,, il pose toujours" und ich kann meine Antipatie gegen alle Sorten von Menschen zur Not überwinden nur nicht gegen die Menschen der Pose! Diese Mensind nie sie selbst, sie geben nie sich selbst; sie haben kein Gesicht, haben eine Maste, und so ein Maskenmensch ist der schrecklichste der Schrecken. Das ist auch der Grund, warum jene Schauspieler, die ihre Teatermaste nicht loswerden können und sie im Leben mit herumschleppen, so verrufen und gefürchtet sind.
Also ich kann Viktor Hugo nicht leiden, und doch will ich jezt einige Zeilen zu seinem Lob und seinem Ruhm schreiben. Man muß seine persönliche Antipatie überwinden können.
Sonntag den 27. Februar trat Viktor Hugo in sein 80. Jar, und zur Feier des Geburtstages zog Paris in feierlicher Prozession vor das Haus des großen Dichters und brachte ihm seine Huldigung dar. Man hat in deutschen Zeitungen über dieses Fest gespottet. Von den Blättern kirchlicher und chauvinistischer Richtung wundert mich das nicht, aber daß auch demokratische Blätter, wie z. B. die ,, Frankfurter Zeitung ", in den Spott einstimmen, das komt mir recht sonderbar vor.
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Viktor Hugo hat als Dichter wie als Mensch große und viele Schwächen und Feler. Der Kultus der Phrase ist bei ihm Manie. Er ist nicht blos die verkörperte Phrase, nein, er ist die verkörperte Monstre- Phrase selber ein Monstre der Phrase. Das weiß ich. Er hat in dieser Beziehung eine gewisse Aenlichkeit mit Carlyle, obgleich dieser teoretisch gegen die Phrase eifert. Zwischen beiden ist nur der Unterschied, daß die Viktor Hugo 'schen Perioden Schläuche gefüllt mit Luft sind, bei Carlyle Schläuche gefüllt mit Steinen. Das ist ein Unterschied, aber kein wesentlicher.
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Und die Luft in den Viktor Hugo'schen Wind- Phrasenschläuchen ist wenigstens gesunde Luft, nicht die giftig- mephitische Luft des Bürgerfönigtums, des zweiten Kaiserreichs oder der Gambetta 'schen Aera. Viktor Hugo hat schwer gesündigt, und ich kenne seine literarischen und anderen Sünden so gut wie einer allein ein großes Verdienst hat er, und das müssen wir ihm anrechnen: er hat stets auf der Seite des Rechts und der Freiheit gestanden. Er hat die Korruption unter Louis Philippe bekämpft, er hat den Statsstreich des Bonaparte bekämpft, er hat den Urheber des Statsstreiches in seinem Napoleon le Petit( Napoleon der Kleine) und in seinen Châtiments ( Büchtigungen) gegeißelt, auf's Blut gegeißelt; in seinen Miserables ist er eingetreten für die Armen, er hat sich redlich bemüt, wo immer Gelegenheit war, die Sache der Humanität und des Fortschritts zu fördern. Ich will nur noch an sein glänzendes, eindrucksvolles Plaidoyer gegen die Todesstrafe erinnern.
Mag die persönliche Eitelkeit dabei vielfach in den Vordergrund getreten sein, mag die Eitelkeit sogar den Beweggrund abgegeben haben so war sie doch der Beweggrund zu edlen Handlungen. Jedenfalls hat Viktor Hugo ein Recht, nach seinen Handlungen gerichtet zu werden. Und tun wir dies, verfolgen wir die Laufbahn des 80 järigen Mannes, der seit beinahe einem Jarhundert vor der Nation stet, in der ersten Reihe der Schriftsteller und Geistesvorkämpfer stet, dann müssen wir uns auch sagen, daß der Gedanke, diesem Mann zu seinem 80. Geburtstage in Person den Nationaldant abzustatten, ein schöner, ein großartig schöner gewesen ist.
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Und die Verwirklichung des Gedankens ist großartig ausgefallen. Die Frankfurter Zeitung " behauptet zwar, es seien keine 50 000 Mann gewesen, die an Viktor Hugo's Haus vorbeigezogen das wird aber durch die ganz unparteiischen Berichte der englischen Blätter widerlegt, nach denen die Teilname eine massenhafte und die ganze Festlichkeit eine imposante war. Auf die Einzelheiten will ich nicht eingehen, teils
*) Darüber läßt sich doch wol ser streiten. **) In gesuchter, gezwungener Haltung.
D. Red.
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weil ich für derlei Dinge kein Interesse habe, teils weil ich der Viktor Hugo 'schen Antwort auf die Adresse der Stadt Paris erwänen müßte, und damit den Eindruck verderben würde. Je älter Viktor Hugo wird, desto kolossaler werden die Luftschläuche, desto monströser die MonstrePhrasen.
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Wie dem immer sei: das Fest des 27. Februar 1881 war einzig in seiner Art. Daß eine Weltstadt, wie Paris , die Behörden des Lan- des, der Stadt voran die Einwonerschaft aller Klassen der Bürger im Ueberrock, die Arbeiter in der Bluse, in einer Prozession von Hundertausenden einen lebenden Dichter feiern, ihn feiern, weil er die Sache der Menschheit und der Freiheit verfochten hat und verficht- das ist ein glorreicher Triumph des Geistes, das ist ein herzerhebendes Schauspiel in dieser Zeit der materialistischen Erfolg- und Gewaltanbetung das ist ein Ereignis, dem meines Erachtens ein ehrenvoller Plaz in der Kulturgeschichte und folglich auch ein Pläzchen in der Neuen Welt" gebürt.
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X.
Leichardt. Dieser Tage ging durch die Zeitungen die aus Sydney telegraphirte Nachricht, ein australischer ,, Buschmann", d. h. Bewoner des ,, Buschs", des noch unangebauten Landes, Namens Stulthorpe habe nicht nur das Grab unseres seit 33 Jaren verschollenen Landsmanns Leichardt entdeckt, sondern auch das Tagebuch seiner lezten Reise gefunden. Die englischen und australischen Zeitungen, welche jezt vorliegen, scheinen diese Nachricht zu bestätigen. Es erhellt aus denselben, daß es sich nicht um die Erzälung irgend eines hergelaufenen Individuums handelt. Skulthorpe gilt für einen durchaus zuverlässigen Mann, und war von den Behörden ausgeschickt, um eine bestimte Spur zu verfolgen. Doch ehe wir in Einzelheiten eingehen, erst einige Worte über Ludwig Leichardt.
Der Son armer Eltern, widmete dieser sich dem Studium der Naturwissenschaften. Er besuchte Ende der 30er und Anfang der 40er Jare die Universität Berlin, wo er glänzend promovirte. Von Tatendrang und Unabhängigkeitsgefül beseelt, verzichtete er von vornherein auf eine Karriere im Vaterland und richtete sein Auge auf Afrika oder Australien . Er hatte die Bekantschaft einiger reichen Engländer gemacht, welche ihm eine Stellung in Süd- Wales verschafften und ihn der Regierung in Sydney empfalen. Kräftig, abgehärtet, ein ebenso leidenschaftlicher als tüchtiger Naturforscher, besonders Botaniker, hatte er ganz das Zeug zu einem großen Entdecker. Die Regierung in Sydney erkante dies und erteilte ihm 1844 den Auftrag, einen Landweg zwischen der neuerrichteten Militärstation in Port Viktoria, an der Küste von Arnham Land, und der Moreton Bucht zu finden. Leichardt löste die Aufgabe glänzend. In weniger als 15 Monaten legte er unter unsäglichen, jedoch von ihm leicht ertragenen Müseligkeiten einen Weg von 3000( englischen) Meilen zurück und leistete der Civilisation und der Wissenschaft einen unvergeßlichen Dienst. Man hatte ihn allgemein für tot gehalten. Das Land, welches er durchreiste, hatte bisher in dem Rufe völliger Unbewonbarkeit gestanden. In zalreichen Zeitungsartikeln und Elegien war der Tod des ,, braven und tapferen Deutschen " schon beklagt worden. Desto größer der Jubel, als er sonnengebräunt, aber gesund mit einem außerordentlichen Schaz der wertvollsten Entdeckungen zurückkehrte. Erst wollte man gar nicht glauben, daß er es sei. Man fülte ihn an mancher ehrliche Kolonist dachte, er sei ein Geiſt", das Gespenst des im Busch" und der Wüstenei Verschmachteten.
Am
In wenigen Wochen sammelten die Kolonisten für Leichardt eine Ehrengabe von 1700 Pfund Sterling( 34 000 Mark), der die Regierung noch 1000 Pfd. St.( 20 000 Mark) hinzufügte; er nam das Geld auch an, jedoch nur unter der Bedingung, daß es zu einer neuen Expedition verwant würde. Er rüstete eine solche aus und machte sich, vor Ablauf eines Jares, wieder auf den Weg. Diesmal verfolgte ihn jedoch das Unglück. Sein Zugvieh starb und die meisten seiner Leute wurden frank, sodaß er unverrichteter Sache umkehren mußte. Die Geldmittel für einen zweiten Versuch in größerem Maßstabe waren rasch gesammelt, und im Jare 1847 machte sich Leichardt abermals mit seinem Schwager Claßen und einer genügenden Anzal sorgfältig auserlesener Diener und Begleiter auf den Weg. Sein Zwed war, das Festland von Sydney bis zum Schwanenfluß quer zu durchschneiden. 3. April 1848 schickte er seine lezte Depesche vom Cogun. Seitdem hat man nichts von ihm gehört. Duzende von Expeditionen, großen und kleinen, wurden ausgeschickt, um den Verlornen, den Verschollenen aufzufinden, Sicherheit über sein Schicksal zu erlangen- alles vergebens. Jar um Jar verging, und auch die Hoffnungszähesten mußten zulezt an den Tod Leichardts glauben. Man nam an, er sei entweder von den Wilden ermordet worden oder in der Wüstenei verschmachtet, oder bei einer der in Australien häufigen, urplözlich eintretenden Ueberschwemmungen mit samt seinem Gefolge ertrunken. Erst vor 6 Jaren also nach Verlauf von 27 Jaren erlangte man eine Spur. Ein schottischer Abenteurer, Namens Andrew Hume, der auf seinen Farten weit herum und tief in das Innere des australischen Festlandes gekommen war und mit den Eingeborenen auf vertraulichem Fuße stand, hatte mit den Behörden in Paramatta ,, eine Rechnung zu begleichen" und erzälte bei dieser Gelegenheit dem ,, Magistrat"( Polizeirichter), er habe auf einer seiner lezten Wanderungen, tief im Innern, den Schwager Leichardts, Claßen, der die verhängnisvolle Expedition mitgemacht, unter den Wilden getroffen; derselbe sei mit einer Eingebornen verheiratet und habe ihm erzält, Leichardt sei von seinen eingebornen