allenthalben, und insbesondere die des Markusplazes, überfüllt waren; waren es doch die einzigen Lokalitäten in der ganzen Stadt, wo durch die Ansamlung tierischer Wärme eine angeneme Temperatur erzielt wurde, wo man nicht fror.
An diesem Nachmittage finden wir in einem jener alten, ganz vernachlässigten und nur zum Teil bewonten Paläste Marie Depauli wieder. Vier Jare sind es nun, daß sie Alfreds Gattin geworden, und ein Jar, seit sie mit ihrem Manne hierher gekommen. Alfreds Rathausbild und einige darauf folgende Gemälde wurden als sehr gelungen anerkant und sie hatten in erhöhtem Maße die Aufmerksamkeit auf den jungen Künstler gelenkt, der nach einiger Zeit den Auftrag erhielt, das berümte Gemälde Titians: L'Assunta", das sich in der Akademie der schönen Künste in Venedig befindet, zu kopiren. Mit Freuden, ja mit einer gewissen Begeisterung ward dieser Antrag von ihm angenommen. Er gedachte die alten italienischen Meister zu studiren, er hoffte auf Anregung aller Art in dieser Stadt des malerisch Schönen, die ihn zu großen selbständigen Schöpfungen ermuntern sollte. Er stellte an Venedig und an sich selbst die höchsten Anforderungen und fand seine Erwartungen nicht ganz erfüllt.
Er trat gleich im Anfange in kein behagliches Verhältnis zu den dortigen Künstlern, und verschiedene Zufälle und Vorkomnisse verleideten dem Empfindlichen das Zusammentreffen mit seinen Kollegen immer mer. Seine Assunta gelang ihm indes vortrefflich; das Kolorit, die kräftige und korrekte Wiedergabe dieses herrlichen Kunstwerkes wurde vielfach belobt, und er durfte hoffen, noch weitere Aufträge zu erhalten. Aber sein ungeduldiger Ehrgeiz, seine künstlerische Empfindlichkeit wollte sich an der Wiedergabe der großen Meister nicht länger genügen lassen, er wollte selbst produziren. Er entwarf ein historisches Gemälde, fürte es sorgfältig aus und schickte es nach Deutschland . Es hatte kein Glück. Man tadelte die Komposition in unnachsichtlicher Weise, wenn man auch der hübschen Behandlung und Farbe einige Gerechtigkeit widerfaren ließ. Dieser Miserfolg drückte ihn tiefer herab, als er sich selbst eingestehen wollte; er raubte ihm alle Freude und das Vertrauen zu sich selbst; fürchtete er doch, daß er nimmer erreichen werde, was er erreichen wollte, weil seine schöpferischen Kräfte unzureichend seien.
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Aber kein Mensch ist so strenge gegen sich selbst, um alle Schuld seines Unglücks sich allein zuzumessen, er klagt auch seine Beurteiler an, er macht auch die Verhältnisse, in denen er zu leben gezwungen ist, er macht seine Umgebung mit dafür verantwortlich, und gewönlich nicht mit Unrecht. Kraftmenschen, die allen niedrigen Einflüssen zum Troz sich entwickeln können, die das Ungemach stält, ausdauernder und selbstvertrauender, aber auch rücksichtsloser macht, gibt es wol, aber sie sind selten genug. Alfred gehörte nicht zu ihnen. Seine zarte Empfindlichkeit, seine leicht erregte Einbildungskraft, die unter günstigen Umständen ihm ein Segen wurden, das Misgeschick verwandelte sie in peinigende Furien. Er bedurfte einer Freundeshand und verständiger Ermutigung, er brauchte, wie die meisten Künstler, den Sonnenschein des Glücks, um sich frei entfalten zu können und sich wol zu fülen. Er hatte mit fieberhafter Haft daran gearbeitet, fich einiges Renommé zu erwerben; nun glaubte er das Vertrauen in seine künstlerischen Leistungen erschüttert, er mußte es wieder befestigen. Aber wie? Er sollte neues, besseres schaffen, aber er hatte nicht allein für seinen verlezten Ehrgeiz, er hatte auch um seine Existenz zu kämpfen. Er hatte für eine Familie zu sorgen. Das getadelte Bild hatte ihm ein halbes Jar Arbeit gekostet, nun hatte er es noch nicht verkauft; er mußte zunächst doch wieder Kopien anfertigen und sich noch glücklich preisen, in den sich verschlechternden Zeitverhältnissen wirtschaftlichen Niederganges überhaupt noch etwas zu verdienen...... Er hatte das zweite Stockwerk dieses in großartigen Verhältnissen angelegten, aber gänzlich unbewonten Palastes in Miete genommen, welche nur den bescheidenen Preis von monatlich 50 Francs betrug. Aus einer Flucht von größeren und kleineren Gemächern hatte er zwei ausgewält, die nach dem Canal Grande gingen, und sie möbliren lassen. Das eine war sein Atelier. Freilich, mit den Werkstuben anderer Künstler verglichen, in denen der reichste künstlerische Luxus sich entfaltete, war es von beschämender Einfachheit und Dürftigkeit, keine Inspirationen weckend. Das große Gemach nebenan und zunächst der Sala war zur Won- und Schlafftube Mariens und ihres Kindes ausersehen. Es mochte wol einst ein Brunfzimmer gewesen sein. Zwischen seinen mächtigen Fenstern befand sich, wie man dies in Italien so häufig findet, wo man die Rauchfänge außen an den Fassaden anbringt,
ein ungeheurer Kamin von Marmor, in reicher, stilvoller Arbeit Derselbe sah imponirend aus, aber er fonte feine Feuerung vertragen, er spie sie mit entsezlichem Qualm wieder zurück. Um ihn dafür zu strafen, hatte man daher einen kleinen, wie eine Siste aussehenden Ofen vor ihn hingepflanzt, dessen Röre in den Kamin ging. Auch mußte der Unheizbare es dulden, daß alles Feuerungsmaterial in seinem weiten Bauche aufgehäuft wurde, und so fand sich dies Meisterstück der Frührenaissance, das mit dem stolzen Wappen eines Nobile geziert war, zum Holz- und Kolendepot erniedrigt. Der Plafond in Stuckarbeit, die zum Teil abgefallen war, zeigte große und weite Sprünge; ein Deckenbild, das einst schön gewesen sein konte, war vollständig schwarz geworden und die Tapete, eine mytologische Szene darstellend, war verschossen und zum Teil abgerissen, welche Schäden mit dunklem Papier wieder ausgebessert und verklebt waren, so daß die überlebensgroßen Figuren derselben nur in undeutlichen Umrissen, abenteuerlichen Sputgestalten gleich, darauf erschienen. Der Fußboden, von gesprenkeltem Stein( Terrazzo), war fast durchweg mit Strohmatten bedeckt. Das Mobiliar war das einfachste und bestand nur aus dem notwendigsten; man bemerkte es faum in dem übergroßen Gemache. In einer tiefen, dunklen Ecke befand sich Mariens Bett, mit Vorhängen umgeben; ein zierliches Wägelchen, aus Stroh geflochten, war in diesem Augenblick in die Nähe des Dfens gerückt, und in den weißen Kissen lag ein hübsches, pausbäckiges Kindchen. Es war der zweite Sprößling dieser Ehe, die kleine Marietta; sie schlief.
Die Mutter befand sich nicht in dem Zimmer, in welchem eine lautlose Stille herrschte, und in dem allgemach die immer dunkleren Schatten der Dämmerung sich lagerten. Das Feuer im Ofen war ausgebrannt und die Temperatur fiel rasch. Durch die einfachen, immens hohen Fenster drang eine feuchte Luft, alle Gegenstände mit ihrem unangenemen Hauch durchdringend.
Das Kindchen mochte seine Einwirkung verspüren, unruhig wendete es sich hin und her und fing endlich im Schlaf zu weinen an.
Jezt ließ sich aus der dem Kamin entferntesten Ecke ein langgezogener Seufzer vernemen. Domenika, das Dienstmädchen, die von ihrer Herrin beauftragt war, auf das Kind wol acht zu haben, hatte ihn ausgestoßen. Sie hatte merere Strohmatten aufeinandergelegt und, in ihr schwarzes Tuch gewickelt, auf diesem improvisirten Lager sich wie ein gel zusammengerollt. Man fonte unter dieser Kugelgestalt in der Tat kaum ein menschliches Wesen vermuten.
Das Kind begann lauter zu weinen. Domenika lüftete ein wenig das Tuch; zwei blizende Augensterne kamen zum Vorschein. ,, Ecco mi, da bin ich, mein Kindchen, da bin ich, schlafe, schlafe!" rief sie beschwichtigend, one sich nur im geringsten zu rüren. Die Kleine ward dadurch keineswegs beruhigt; da begann die Pagotte, so nent man die Mädchen aus Alpago, die nach Venedig kommen um dort in Dienst zu treten, eines ihrer Villotte. Sie sang mit tiefer, heiserer Stimme, immer in derselben Stellung verharrend. Aber sie kam in ihrer Arietta, zu der die kleine Marietta das kreischendste Akkompagnement lieferte, nicht weit. Die große Flügeltür, die nach der Sala fürte, ward rasch aufgestoßen und die junge Mutter stürzte herein.
Welch ein zartes Frauenbild! Die dunkle eng anschließende Kleidung ließ die feine nur allzuschlanke Contour ihres Körpers gar wol erkennen, und das dunkle, einfach gescheitelte Har schmiegte sich an sanftgerundete und etwas bläßliche Wangen.
Das Herzleiden Mariens hatte in den lezten Jaren Fortschritte gemacht, one daß sie es ahnte; sie verspürte wol hie und da die beängstigenden Symptome desselben, aber sie war nicht genug aufmerksam auf sich selbst, um sie zu beachten.
Der Ausdruck ihres schönen Gesichtes schien jezt noch veredelt, es lag eine unendliche Güte in den sammetartigen Augen und in diesem Augenblick offenbarte sich darin die zärtlichste Muttersorge. Sie war an das Bettchen geeilt und ließ sich davor auf die Kniee nieder.
" Sie weint, die Kleine, weshalb?" rief sie, und angstvoll beugte sie sich neben sie, nach der Ursache ihres Unbehagens forschend.„ Das arme Herzchen, wie falt es ist, freilich, dieser abscheuliche Wind, er dringt durch jede Rize ; da, die Kissen fülen sich ganz feucht an; ach, du mein liebes armes Schäzchen und das Feuer im Ofen ist auch ausgegangen! Domenika" wante sie sich an diese, die sich noch immer nicht aufgerollt weshalb kamst du nicht in die Küche, um mir zu sagen, daß die Kleine erwacht sei?"