Domenika richtete sich ein wenig in die Höhe, aber als sie durch das Aufgeben ihrer Stellung sogleich die auf sie eindrin­gende Kälte verspürte, zog sie ihre Knie wieder bis an den Mund hinauf. Es ist so falt," wimmerte sie mit einer war haft kläglichen Stimme, dabei mit den Zänen klappernd.

Marie sah mit einem Blick des Mitleids auf sie herüber. " Sie ist halb tot vor Kälte," murmelte sie, aber dann fur sie verweisend fort: Warum hast du kein Holz nachgelegt? Du weißt es wol, wir dürfen das Feuer nicht ausgehen lassen." Domenika machte unter ihrem Tuche eine Geberde des Ab­scheues. Die Ofenwärme ist nicht viel wert, sie macht krank, oimè ich bin schon krant, Patrona, ach so frank, soviel frank!"

" Du bist faul, Domenika, ach soviel faul," sagte Frau De­pauli mit einem fast gutmütigen Ton, aber ich will nicht, daß mein Kind darunter leide," fügte sie in ernster Zurechtweisung hinzu ,,, und deshalb wirst du tun, was ich dir befele."

O ja, Patrona, alles, alles will ich tun, zanken Sie nur nicht."

,, Du wirst einheizen, auch wenn es dich verdrießt." ,, D, ich tue alles für Sie, padroncina mia, ich opfere Ihnen mein Leben!"

Domenika versuchte sich aufzuraffen, es ging schwer, es schien ihr ungeheure Anstrengung zu kosten; man hätte glauben können, ihre Glieder seien wirklich gelämt.

Marie hatte indes selbst einige Stücke Holz aus dem Kamin hervorgezogen und sie in den Ofen geschoben.

Domenika stellte sofort ihre Auferstehungsversuche ein, sie legte lachend die Hände in den Schoß und zeigte die weißen Zähne. " Eccola, jezt hat es die Patrona selber schon gemacht, und wie rasch, und wie gut, santa santissima! Muß ich da auch noch aufstehen?" Marie gab der Trägen keine Antwort, ihr Kind nam ihre ganze Aufmerksamkeit in Anspruch. Sie brachte Tücher nach dem Ofen, um sie zu wärmen. Dann hüllte sie die Kleine fester in die Flaumendecken, und sich über sie beugend, drückte sie ihr Ge­sicht an das des Kindes, um es vor jedem Luftzug von außen zu bewaren. Es fülte sich im Arm der Mutter bald behaglich, und als die Tücher erwärmt und es damit umwickelt war, schlief es wieder ein. Marie blieb noch immer auf dem kalten Boden, vor dem Bettchen hingestreckt, rute doch der Kopf des Kindes auf ihrem Arm und sie fürchtete, es zu wecken; unverwant blickte sie in das kleine Gesichtchen, das so frisch, so gesund, so lieblich aussah. Ihre Marietta wird ihr nicht sterben, wie ihr Erstge­geborener, der schwach und kränklich war, o nein, nein, Marietta versprach ein großes, kräftiges Mädchen zu werden; und leise, sie kaum berürend und doch mit aller Herzinnigkeit füßte sie sie auf die sich rötenden Bäckchen und auf den kleinen Mund. Sie fülte sich so glücklich. Aber dann überfur auch sie ein Schauer, sie durfte nicht länger so unbeweglich bleiben, sie mußte auf stehen, sie fülte sich fast erstarrt. Langsam legte sie das Kind in die Kissen zurück und erhob sich. Sie rieb sich die armen roten Hände, welche in diesem Winter Frostbeulen erhalten hatten und nachdem sie einigemal im Zimmer auf und nieder gegangen, trat sie an das Fenster.

Wallender Nebel lag über dem Kanal und ließ die Gegen­stände am andern Ufer nicht mer erkennen. Das Wasser kam vom Meer, es stieg; der Wind war heftiger geworden und er zeugte kleine springende Wellen, die die Quaimauern und Treppen, die über das Niveau des Wassers sich erhoben, überschlugen und bis in die Vestibule der Häuser drangen. Man vernam nichts als das klagende Gestön des Windes, der vom Lido herüber­wehte und das sonore Geräusch des an die Mauern anschlagen­den Wassers. Hie und da nur ertönte der schrille Avertissements­ruf eines Gondoliers, der einem Zusammenstoß vorbeugen wollte, welcher bei dem eintretenden Nebel auch auf der graden Wasser­straße des Kanal Grande erfolgen konnte.

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Marie blickte hinaus; sie legte die Hand an's Herz, sie fülte es sonderbar gepreßt. Wie schaurig öde, wie naßkalt, wie trau­rig einsam war es da draußen und auch hier innen. Sie warf einen Blick in den großen, sie umgebenden Raum, der in der Dämmerung sich noch zu weiten schien. Die dunklen Mauern traten ganz zurüc; nur hier und va löste sich eine hellere Figur von der Tapete, und sie schien sich zu bewegen; es war, als schwebe sie ihr entgegen. Mit einem leien Grausen wendete sie den Kopf wieder dem Fenster zu und legte ihn an die kalten Scheiben; unwillkürlich mußte sie der Heimat gedenken, und der lichten netten, gutdurchwärmten Stuben, die dort Sitte und Brauch sind. Sie erinnerte sich, wie sie mit ihren Lieben an den langen Winterabenden im traulichen Geplauder beisammen­gesessen, und wie es ihnen in dem warmen Nestchen nur um so behaglicher wurde, je mer es draußen stürmte und schneite. Ach, wie war das nun alles anders in dem fremden Lande, in dieser sonderbaren Stadt, in die sie sich nicht eingewönen konnte! Und mit der Erinnerung an die Heimat kam auch die Erinnerung an die teure Mutter, die nicht mer auf Erden weilte. Frau Weiß hatte in den angenemsten Verhältnissen, wie sie selbst geschrieben, zwei Jare mit ihrer Tochter Elvira, der sie ihre Flucht und ihre Teaterleidenschaft längst verziehen hatte, in Paris und teilweise in Trouville verlebt. Sie schien sich wol und heiter zu fülen, ja sie erwänte mit einem gewissen Stolz der Ehre und Aus­zeichnungen, mit denen man jezt schon ihre Tochter überhäufte, der man eine glänzende Zukunft prophezeite. Sie selbst war von den Herrlichkeiten der Weltstadt entzückt und geblendet und pries zugleich die wunderbare Billigkeit, mit der man sich daselbst ein­richten und für seine Bedürfnisse sorgen könne. Die gute Frau glaubte an das Wunder, daß sie und ihre Tochter mit der kleinen Bension ganz prächtig auskommen und alle ihre Bedürfnisse be­streiten konten, wenn auch großmütige Landsleute dafür Sorge trugen, daß ihre Tochter jeden Unterricht umsonst erhielt. Sie wachte über Elvira, die sich übrigens ungemein zurückhaltend und spröde gab, und somit war ihr mütterliches Gewissen völlig be= ruhigt und zugleich war jene abergläubische Furcht für ihre Verantwortlichkeit im Jenseits von ihr gewichen. Mit Unge­duld erwartete sie das erste Auftreten ihrer Tochter, das dem­nächst erfolgen sollte, als ein typhöses Fieber nach kurzem Krankenlager ihr Ende herbeifürte. Die arme Marie hatte da­mals ihr erstes Kind an der Brust und befand sich samt ihrem Kleinen selbst nicht am besten. Alfred verschwieg ihr den Tod der Mutter so lange es ging, und so war es gekommen, daß sie diejenige, die sie so zärtlich geliebt, nicht wieder gesehen hatte. Als sie in diesem Augenblick daran denken mußte, stürzten ihr die Tränen in die Augen, aber sie wendete sich dem Kinde zu und ihre Züge erhellten sich rasch, sie lächelte.

Kann ich mich vereinsamt fülen bei meinem Kinde, und bin ich nicht so ganz glücklich an der Seite meines Alfred? Und muß es mir nicht am besten gefallen, muß ich's nicht am schönsten finden, dort, wo er ist? Ach, was wär' mir auch die ganze Welt one ihn!

Sie sah sich in dem düstern Gemache um. Freilich, er ist nicht bei mir, und wenn er an der Akademie kopirt, sehe ich ihn den ganzen Tag nicht, und Abends treibt es ihn auch bald wie­der hinaus. Aber er ist ein Künstler, er gehört in die Welt, sagen sie, und ich- ihre sanften Augen sentten sich in demü­tiger Ergebung ich bin so wenig, ich habe nicht den Geist, den er bei andern findet, ich kann ihm nicht ersezen, was er da­bei verlieren würde.

Der helle Ton einer Klingel schreckte sie aus diesen Betrach­tungen. Sie warf noch einen Blick nach Domenika,- die schnarchte laut; es hätte wol lange gedauert, bis sie diese zum Bewußt­sein aufgerüttelt, so lange durfte sie den auf der Straße Harren­den nicht warten lassen. Sie warf ein Tuch über die Schulter und trat in die Sala hinaus. ( Fortsezung folgt.)

Die Spinn- und Webindustrie.

Stizze von Dr. Max Vogler.

Nachdem die Neue Welt" jüngst den im schlesischen Eulen­und sächsischen Erzgebirge herschenden Notständen eine ausfür­lichere Betrachtung gewidmet hat, dürfte es unseren Lesern nicht unwillkommen sein, im folgenden eine kurze Geschichte der in

jenen Bezirken vertretenen Spinn- und Webindustrie zu erhalten. Wir wissen bestimt, daß schon von den alten Aegyptern Leinwand gewebt wurde und noch die Römer dieselbe aus dieser ältesten uns bekanten Quelle bezogen. Der Anbau des Flachses( Linum),