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plözlich am Literaturhimmel aufgegangen", und konte taum Worte| finden, um das Staunen über die ungewönliche Erscheinung auszudrücken.
Ein bis dahin fast unbekanter Fremdling, Jean Jacques Rousseau aus Genf , hatte es gewagt, über den„ Einfluß des Fortschritts der Künste und Wissenschaften auf die Sitten" seine Ansichten auszusprechen, und die Akademie zu Dijon hatte die Abhandlung mit ihrem Preise gekrönt. In überraschendem Gedankengange, in glänzender Sprache klagte er über eine tiefgehende Verderbnis der Gesellschaft, und bemüte sich, nachzuweisen, es sei diese Verderbnis in demselben Maße gestiegen, in welchem die Künste und Wissenschaften sich vervollkomnet hätten. Das war nicht nur neu, das war unerhört. Man drängte sich von allen Seiten zu dem Verfasser; zallos waren die Einladungen, die er erhielt; jedermann wollte ihn sehen, mit ihm sprechen, ihm durch Wort oder Tat seine Anerkennung ausdrücken. Der unbekante Fremdling war mit einemmale ein gesuchter Mann. Selbst die Gegner vermehrten nur sein Ansehen und seinen Ruhm. Die Vertreter der Wissenschaft und geistigen Bildung, namentlich die Mitglieder von Akademien und gelehrten Gesellschaften, sogar der Titularkönig von Polen und die stolze französische Akademie beeilten sich, gegen den ehemaligen Uhrmacherlehrling, gegen den armen, ungelehrten Schreiber die Wissenschaft und die Künste zu verteidigen. Aber es wurde Rousseau nicht schwer, die von allen Seiten auf ihn eindringenden Angreifer siegreich zurückzuweisen; denn nicht die Wissenschaften und die Künste, nicht die Civilisation hatte er angegriffen, sondern die Tugend vor tugendhaften Männern verteidigt," oder wie unser Lessing sich anerkennend ausdrückte der Tugend gegen die Vorurteile das Wort geredet", wobei er nur zu weit" gegangen war.
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Nicht das gleiche verblüffende und lärmende Aufsehen erregte die Abhandlung über den Ursprung der Ungleichheit unter den Menschen", welche 1755 erschien. Auch sie war durch eine Preisaufgabe der Akademie zu Dijon veranlaßt; aber die gelehrte Gesellschaft, einmal gewizigt, zog es diesmal vor, die merkwürdige Arbeit ganz ungeeignet zu finden und Abhandlungen zu krönen, die nie veröffentlicht worden und ebenso unbekant geblieben sind, wie ihre Verfasser. Rousseau's Schrift fand, wie er selber sagt, ,, nur wenige Leser, die sie verstanden, und diese wenigen hielten es für angemessen, zu schweigen." Gleichwol enthielt bereits diese Schrift jene Meinungen, Lehren und Schlußsäze, welche als die anregenden und unaufhaltsam forttreibenden Ideen in der großen Revolution erschienen.
Der Verfasser widmete die Schrift seiner Vaterstadt. Die Republik Genf erschien ihm damals, wie er in der Widmung sagte, als ein Staat, welchen er sich zur Geburtsstätte ausersehen haben würde, wenn er diese hätte wälen können. Zu Rousseau's unaussprechlicher Freude" wurde die Widmung angenommen und der Rat bezeugte unterm 18. Juni 1755, daß er in ihm mit Wolgefallen einen Bürger erkenne, welcher durch Werke, aus denen Geist und ausgezeichnete Fähigkeiten sprechen, sich unsterblich macht."
Sechs Jare später, am Anfange des Karnevals 1761, erschien " Die neue Heloise ". Mit größter Ungeduld hatte ganz Paris den Roman erwartet, und als die Ausgabe erfolgte, reichten die bei den Buchhändlern vorhandenen Exemplare für die Menge der Kauflustigen nicht aus. Man lieh sich das Buch für einen bestimten Preis auf den Tag oder gar die Stunde; in der ersten Zeit verlangten die Ausleiher 12 Sous für den Band und bewilligten nur eine Stunde zum Lesen. Auch wurden die großen Erwartungen, mit welchen man dem Romane entgegengesehen hatte, feineswegs getäuscht. Die unbefangenen Leser waren voll des Lobes und der Bewunderung. Die gesamte vorneme Welt zollte ihm lauten, ja vielfach begeisterten Beifall; den größten Erfolg aber hatte er am Hofe, wo ihn selbst die Dauphine Mutter Ludwig XVI. ) als ein„ hinreißendes Werk" bezeichnete. Es soll vorgekommen sein, daß eine Dame, welche in Erwartung des Wagens, der sie zum Balle bringen sollte, den Roman auf einen Augenblick in die Hand genommen hatte, von der Lektüre so gefesselt wurde, daß sie ihren Kutscher stundenlang warten und schließlich die Pferde wieder ausspannen ließ. Von den tonangebenden Schriftstellern hielt d'Alembert , welcher den Roman einer freimütigen und scharfsinnigen Kritik unterzog, mit seiner Anerkennung nicht zurück, und namentlich war Duclos des Lobes voll. Aber es stellte sich auch bereits heraus, daß vielen die philosophischen Ansichten Rousseau's höchst zuwider waren, und andern persönlicher Groll nicht gestattete, sich zu einem unbefan
genen Urteil zu erheben. Selbst Voltaire machte in vertrauten Kreisen seinem Aerger über den großen Erfolg des vermeintlichen Nebenbulers Luft, und man zweifelte nicht, daß er an den gehässigen Briefen über die Heloise " beteiligt sei.
Weit füler als in Frankreich war die Aufname, welche dem Romane in Genf , der Heimat Rousseau's , zuteil wurde. Mehr als anderwärts rief hier der Inhalt Bedenken hervor, und zwar in den einflußreichsten Kreisen. Die strengsten Kalvinisten in Genf verurteilten die im Roman entwickelten religiösen Ansichten ebenso entschieden, ja noch entschiedener, als die strengen Kalvinisten in Paris . Und sie ließen es bei der privaten Meinung nicht bewenden. Das Konsistorium, welches über die Reinheit der Lehre wie der Sitten zu wachen hatte, war zu dieser Zeit zwar nicht mehr von dem heiligen Eifer erfüllt, welcher es in früheren Tagen beselt hatte, jezt glaubte es aber, ein Urteil abgeben zu müssen. Nachdem die strengen Glaubens- und Sittenrichter den Roman einer näheren Prüfung unterzogen, fürten sie dem Magistrat zu Gemüte, der Name des Verfassers, sein großer Ruf, vor allem der Umstand, daß er genfer Bürger sei, mache es zur Pflicht, dem in Rede stehenden Werke eine besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden. One Zweifel wünschte das Konsistorium ein Verbot des Romans; so weit zu gehen, schien dem Rate bedenklich, aber er untersagte den Besizern öffentlicher Biblioteken das Ausleihen der„ Neuen Heloise".
Man kann sich denken, daß Rousseau durch dieses in seiner Heimat gefällte Urteil tief gekränkt wurde. Er irrte nicht, wenn er annam, daß es zum größeren Teile auf persönlicher Feindschaft gegen ihn berute. Im Klerus wie im Rate hatte er zalreiche Gegner; die aristokratischen Leiter des States grollten ihm ebenso, wie die Häupter der ortodoxen Kirche. Zugleich bot Voltaire , der im nahen Ferney , residirte", seinen ganzen, beständig wachsenden Einfluß auf, um den verhaßten Rivalen der Achtung seiner Mitbürger zu berauben.
Die Verfolgung hatte begonnen.
Noch war der laute Beifall, welcher dem Romane Rousseau's zuteil geworden, nicht verklungen, als der„ Emil" und der " Contrat social " die staunende Aufmerksamkeit der gebildeten Welt erregten.
Der Contrat social ", eine Untersuchung über die Frage, ob es innerhalb der bürgerlichen Ordnung irgendwelche Norm einer rechtmäßigen und gesicherten Verfassung gibt, wenn man die Menschen nimt, wie sie sind und die Geseze wie sie sein können", erschien im Frühjar 1762, aber nicht in Frankreich , sondern in Holland ( Amsterdam ). Der Verleger, welcher um die Erlaubnis bat, die Schrift in Frankreich einfüren zu dürfen, erhielt lange keine Antwort. Da er an einem günstigen Bescheid nicht zweifelte, schickte er die nach Frankreich bestimten Exemplare auf dem Seewege ab. Aber der Ballen wurde in Rouen konfiszirt, nach einigen Monaten dem Verleger zwar wieder herausgegeben, jedoch die Verbreitung des Werkes in Frankreich nicht gestattet, und Ende Mai erfolgte ein förmliches Verbot dieſes Evange liums der reinen Demokratie". Natürlich felte es nicht an Neugierigen, die sich das Buch troz des Verbotes zu verschaffen wußten. Doch ist wol selten eine für die Geschichte so bedeutungsvolle Schrift bei ihrem Erscheinen so wenig besprochen worden, wie Rousseau's Gesellschafts- Vertrag.
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,, Emil, oder über die Erziehung" erschien gleichzeitig in Paris ( unter Censur der Regierung) und in Amsterdam . Auch dieses Werk wurde anfangs fül aufgenommen und nur wenig besprochen. Freilich waren einige Außerungen wol geeignet, den Verfasser hierüber zu trösten. Die geistreiche Gräfin de Boufflers, eine Freundin des Prinzen Conti, versicherte, der Verfasser dieses Buches verdiene Statuen und habe Anspruch auf die Huldigung der ganzen Menschheit. Wenn dieser Ausspruch damals auch etwas überschwenglich erschien, so war schon mehr Gewicht auf das Urteil d'Alemberts zu legen, der keinen Anstand nam, zu erklären, daß diese Schrift die Ueberlegenheit des Verfassers außer Frage und ihn an die Spize aller Autoren stelle. Gleich lobend äußerten sich Duclos, La Condamine und andere; Clairant, der berühmte Matematiker, gestand offen, die Lektüre des„ Emil" habe sein altes Herz von neuem erwärmt. Die anfängliche Gleichgiltigkeit des großen Publikums hielt denn auch nicht lange Stand. Dieses Buch," sagte ein Gegner Rousseau's, obgleich voll tötlichen Giftes, wird mit dem größten Eifer gesucht. Jedermann will es bei sich haben, in der Nacht, wie am Tage, auf dem Spaziergange, wie in seinem Kabinet, auf dem Lande, wie in der Stadt; es gibt keine besuchtere Schule, als die des Philosophen von Genf , und