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hindern. Man fülte doch, daß es ihm nicht grade darum zu tun gewesen, durch dieses kühne Brandopfer die genfer Dogmatik wieder in einen guten Geruch zu bringen;" denn nach der Anklage­schrift untergrub Rousseau   mit seinen Schriften nicht nur die Religion, sondern er griff auch das andere Fundament der Re­gierung" an, weil er für das Volk das Recht in Anspruch nam, allen Behörden die ihnen anvertraute Macht wieder abzunemen, wenn es der Ansicht ist, daß sie nicht mehr nach seinem Sinne regieren." Von der unzufriedenen Demokratie wurde Rousseau  , dieser unglücklicherweise berühmte Mann", wie sich der Rat aus­drückte, als geistiges Haupt verehrt; durfte er in Genf   leben, so hatte die herschende Aristokratie wie sie glaubte- für ihre Stellung alles von ihm zu fürchten. Aus änlichen Gründen scheint der im nahen Ferney residirende Voltaire seine Hand in dem bösen Spiele gehabt zu haben; wenigstens sagte Oberst Pictet  jedem, der es hören wollte:" Dieses Urteil ist ungerecht; die ganze Sache ist in Ferney   geplant worden, und Herr von Voltaire   hat seinen Haß gegen unsern Jean- Jacques   befriedigen können." Endlich ließ sich der genfer Rat zum Teil durch Rücksichten auf den Herzog von Choiseul  , den damals allmächtigen Minister in Frankreich  , leiten, als er sich zum Büttel eines fremden Gerichts­hofes hergab und mit unanständiger Eile an der Verfolgung eines Bürgers sich beteiligte, den er zu beschüzen verpflichtet war. Es konte für die Regierung einer Republik, für die stolze und hochmütige Aristokratie nicht sehr angenem sein, den Mitbürgern zu gestehen, sie habe ihren Geschäftsträger bei der französischen  Regierung beauftragt," Seiner Exzellenz dem Herrn Grafen von Choiseul zu bezeugen, wie unliebsam es der Nat gesehen habe, daß ein Mensch, der sich einen Bürger von Genf   nent und der im Zeitraume von vierzig Jaren nur durch einige Wochen dort seinen Wonsiz gehabt habe, verwegen genug gewesen sei, so gefär liche Werke zu schreiben."

Als Rousseau   von den Vorgängen in seiner Vaterstadt Kunde erhielt, erschienen sie ihm anfangs faum glaublich. Aber er mußte den Zweifel bald aufgeben, und die ihm angetane Schmach ver­lezte ihn tief und schmerzlich. Unter solchen Umständen konte auch von einer Uebersiedlung nach Genf   nicht mehr die Rede sein. Glücklicherweise fülte er sich in Yverdon   recht behaglich. Herr de Moiry, Bailli der Stadt, ermunterte ihn durch die vielfachen Beweise seines Wolwollens, sich auch fernerhin seinem amtlichen Schuze anzuvertrauen. Eine geeignete Wonung fand sich bald, Eine geeignete Wonung fand sich bald, und die Freunde beeilten sich, sie mit allem auszustatten, was zu der kleinen Haushaltung erforderlich schien. Schon war der Tag des Einzuges festgestellt, als plözlich die Nachricht einlief, daß von Bern   her ein Unwetter drohe. Der dortige Senat, hieß es, scheine nicht geneigt, dem Flüchtlinge einen längeren Aufent­halt auf dem von ihm beherschten Gebiete zu gestatten. Rousseau  war im höchsten Grade überrascht. Um den etwa drohenden Sturm abzuwenden, wante sich der Bailli an merere Mitglieder der Regierung, warf ihnen ihre blinde Intoleranz vor und erin­nerte sie an die Schmach, welche sie treffen würde, wenn sie einem Manne von Verdienst verweigern wollten, was so vielen Banditen" unbedenklich zugestanden werde. Rousseau   selbst schrieb an einen der Senatoren. Es gibt, heißt es in dem Brife, in der ganzen Schweiz   kein einziges Exemplar meines Werkes; niemand weiß, was es enthält, was es lobt oder tadelt*), und man denkt daran, mich zu verurteilen! Es ist unmöglich, ich kann es nicht glauben, daß der Senat eines so verständigen Kantons leichthin Beschlüsse sich aneignet, deren Gründe er nicht würdigen fann. Ich fann nicht glauben, daß er sich zum Mitschuldigen eines Libells( der pariser Anklageschrift) machen werde. Wenn indes alle Welt vom Schwindel ergriffen wird, so werde ich mich entfernen; es bedarf weder eines Dekrets, noch der Verhaftung. Ich will nicht, daß Ihr Rat sich meinetwegen zum Gespötte aller rechtschaffenen Leute macht. Alles vergebens! Die gnädigen Herren von Bern  " ließen dem in ihr Land geflüchteten Autor" des mit höchst irrigen und gefärlichen Lehrsäzen angefüllten Buches"

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*) Das war freilich nicht richtig, was aber Rousseau   nicht wußte. In einem Brife Osterwalds in Neuenburg an den Senator V. B. von Tscharner in Bern   vom 27. Juni 1762, welcher erst im vorigen Jare durch den Bund" bekant geworden ist, heißt es:... Ich hatte wol vermutet, daß H. Serini(?) nicht genug Exemplare des Emil" für alle Neugierigen Ihrer Stadt mitbringen werde; ich habe deshalb merere Exemplare nachkommen lassen, die Ihnen zur Verfügung stehen. Es ist ein ungewönliches( étrange) Buch; in der Tat kann sein Verfasser fein anderes verfaffen. Man weiß nicht nachdem man es gelesen hat ob daran mehr zu loben oder zu tadeln ist."

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über die Erziehung das Consilium abeundi erteilen", und er sollte sich ,, in Zeit von par Tagen aus dero Städte und Landen wegbegeben, gestalten Er darinn nicht länger geduldet werden könne". Ferner beschlossen die gnädigen Herren" auf Bericht des Schulrats, daß sowol der Verkauf als der Ankauf des Emil" jedermann bei ohnausbleibender straffe von Fünffzig Thalern gänzlichen Ein und alle mahl verbotten seye". Bei diesem Beschlusse blieb es, auch als dem Rate bemerkt wurde, daß derselbe über eine ältere Ordnung" hinausginge und die Buß sich nicht wohl auf parti­fularen verstehen könne, die dieses Buch zu ihrem besondern Gebrauch ankaufen, sondern es solle sich allein auf die Buchführer verstehen, in maßen solches sonsten die Freiheit der Litteratur allzu fast einschränken würde".

Rousseau   wartete die Befele der gnädigen Herren nicht ab. Ein Verwanter der Familie Roguin besaß in dem nahegelegenen Motiers, einem Dorfe im Val de Travers   der Grafschaft Neuf­chatel, ein vollständig möblirtes Haus, welches dem Verfolgten zur Verfügung gestellt wurde, und dieser zögerte nicht, von dem freundlichen Anerbieten Gebrauch zu machen, obwol er guten Grund hatte, zu fürchten, daß auch der Herscher von Neufchatel, der König von Preußen, ihm zürne.

Nach seiner Ankunft in Motiers schrieb Rousseau   an Milord Keith, den damaligen Gouverneur von Neufchatel: Ein armer Schriftsteller, aus Frankreich  , aus seiner Vaterstadt, aus dem Kanton Bern   verbant, weil er gesagt hat, was er für gut und nüzlich hielt, sucht in den Staaten des Königs eine Zuflucht. Mylord, bewilligen Sie mir dieselbe nicht, wenn ich schuldig bin, denn ich bitte keineswegs um Gnade und glaube ihrer durchaus nicht zu bedürfen. Bin ich aber nur unterdrückt, so ist es Ihrer und Sr. Majestät würdig, mir das Feuer und Wasser nicht zu verweigern, welches man mir überall nehmen will. Ich habe geglaubt, Ihnen meine Ankunft melden und meinen, durch die Widerwärtigkeiten, welche mich betroffen, nur zu bekant gewor denen Namen nennen zu müssen. Verfügen Sie über mein Schick­sal, ich unterwerfe mich Ihren Befelen. Wenn aber auch Sie mir gebieten, in meinem gegenwärtigen Zustande abzureisen, so ist es mir unmöglich, zu gehorchen; ich wüßte dann nicht mehr, wohin ich fliehen sollte."- Milord war weit entfernt, ihn dieser Verlegenheit auszusezen; er antwortete sofort, daß er ruhig bleiben könne, bis er die Befele des Königs eingeholt habe. Zugleich lud er ihn freundlichst ein, ihn in seinem Schlosse Colombier zu besuchen. Rousseau   beeilte sich, seiner Aufforderung Folge zu leisten. Er durfte mit seiner Aufname zufrieden und über die nächste Zukunft ziemlich beruhigt sein; denn Milord versprach, sein Gesuch bei dem Könige zu befürworten.

König Friedrich   möchte wol lächeln, als er in seinem schle­sischen Feldlager die Zeilen las, mit welchen sich der Flüchtling bei ihm einfürte. Ich habe," so lautete diese seltsame Bitt schrift, von Ew. Majestät viel Schlimmes gesagt und werde dessen vielleicht noch mehr sagen. Dennoch komme ich, aus Frankreich  , Genf   und Bern   verjagt, um in Ihren Staaten ein Asyl zu suchen. Vielleicht war es ein Feler von mir, daß ich es mit Ihnen nicht zuerst versucht habe. Dieses Lob ist eines von denjenigen, dessen Sie würdig sind. Sire, ich habe von Ihnen keine Gnade verdient, und ich verlange auch keine. Ich habe es aber für meine Pflicht gehalten, Ew. Majestät zu er= klären, daß ich in Ihrer Gewalt bin und sein wollte. Sie können über mich verfügen, wie es Ihnen beliebt." Diese frei­mütige und zugleich achtungsvolle Sprache verfelte ihre Wirkung nicht. Der König, der eben Daun   gegenüberstand und Schweid­niz belagern wollte, schrieb sofort( aus Dietmannsdorf, 29. Juli 1762):" Kommen Sie, mein lieber Rousseau  , ich biete Ihnen Haus, Jargeld, Freiheit." Und an Milord: Gewären Sie dem Unglücklichen das gewünschte Asyl. Dieser Jean- Jacques   ist ein wunderlicher Kauz, so ein Cynifer, dessen ganzes Vermögen in seinem Bettelsacke bestet. Man muß ihn aber so viel als mög­lich verhindern zu schriftstellern, denn er behandelt verfängliche Dinge, die in den neufchateler Köpfen lebhafte Bewegungen her­vorrufen und von Seiten Ihrer Geistlichen, die onehin zum Zanken geneigt und voll fanatischen Eifers sind, ein gar zu lautes Geschrei veranlassen könnten." Natürlich sezte Milord seinen Schüzling von dem Wunsche Friedrich's in Kentnis. Rousseau   antwortete:" Was meine Absicht betrifft, nicht mehr zu schreiben, so hoffe ich nicht, daß dies eine Bedingung ist, an welche Seine Majestät das mir gewärte Asyl zu knüpfen gedenkt. Ich verpflichte mich nur, und zwar sehr gerne, in Schrift und Benemen, wie ich es stets getan, die Geseze, die Fürsten  , die