redlichen Leute und alle Pflichten der Gastfreundschaft zu achten. Im allgemeinen halte ich nur wenig von den Königen und ich liebe die monarchische Regierung nicht. Ich habe es aber immer gemacht wie die Zigeuner, welche auf ihren Streifzügen stets das Haus ehren, in dem sie wonen. So lange ich in Frankreich lebte, hat Ludwig XV. feinen besseren Untertanen gehabt, als mich, und gewiß werde ich einem Fürsten aus anderem Stoffe feine geringere Treue beweisen. Was aber meine Denkweise an get, so gehört diese mir, dem freigeborenem Republikaner . So lange ich sie in dem Staate, wo ich wone, nicht verbreite, bin ich dem Souverain keine Rechenschaft schuldig, denn er ist kein kompetenter Richter über das, was außerhalb seines Gebietes von jemanden geschiet, der nicht von Geburt sein Untertan ist. Das sind, Milord, meine Ansichten und meine Verhaltungsmaß­regeln. Ich habe sie nie verleugnet und werde das auch künftig nicht. Und, wie ich schon sagte, ich habe mir das Versprechen gegeben und verspreche es auch jezt, nicht mehr zu schreiben. Doch noch einmal: ich habe es nur mir selber versprochen." Milord war so verständig, sich mit dieser Erklärung zu begnügen.

Es konte nicht überraschen, daß man Rousseau auch in Neuf­chatel unfreundlich empfing. Kaum war er angelangt, als der in der Hauptstadt erscheinende Merkur " durch die Veröffent­lichung der pariser Anklageschrift das Zeichen zum Angriff gab. Alsbald trat die Klasse, d. h. das Kollegium der dortigen Pfarrer zusammen, um die anstößigen Schriften der Behörde zu dennnziren. Der städtische Magister erließ sofort ein Verbot, und gab deutlich zu verstehen, daß er den Verfasser innerhalb seines Gebietes nicht dulden werde. Der Staatsrat, schien es, dachte nicht anders, doch wagte er nicht, den Befelen Milords und dem ausdrücklichen Willen des Königs zu trozen. Freilich hörte man deshalb fürs erste nicht auf, sich in den Journalen wie von den Kanzeln in mehr oder minder heftigen Ausfällen zu ergehen, welche zwar Aufregung in der Bevölkerung hervorriefen, aber Rousseau doch nicht hinderten, sich in seiner neuen Wonung einzurichten und in der Umgegend nach Belieben umzusehen. Von gemütlicher Ruhe konnte indes keine Rede sein. Die Gegner hörten nicht auf, den Gebanten in Broschüren und Zei­tungsartikeln, in Zensuren und Erlassen mit Anklagen und Be­schimpfungen zu verfolgen. Wol hatte er sich selbst und halb­wegs auch andern gelobt, fortan zu schweigen; dazu konnte er sich jedoch so lange verstehen, als nicht seine Ehre, sein guter Ruf in Gefar fam. Freilich bestand auch die große Mehrzal der Gegenschriften aus unbedeutenden Machwerken namenloser Skribler, deren Bekämpfung die Mühe nicht lonte. Nur eine fand er des Inhalts, mehr noch ihres Verfassers wegen, einer Entgegnung würdig. Gleich nach Veröffentlichung des" Emil" hatte de Beaumont, Erzbischof von Paris , sich veranlaßt gesehen, das Werk in einem besondern Hirtenbriefe in den schärfsten Aus­drücken zu verdammen und seinen Diözesanen das Lesen der selben entschieden zu untersagen. Ihm antwortete Rousseau in einem offenen Brife vom 18. November 1762, einem Brife, welchen unser J. C. Schlosser den kleinen Schriften Lessing's gegen den Pastor Goeze als ebenbürtig zur Seite stellt. Auch erregte die Schrift überall das größte Aufsehen und fand selbst in solchen Kreisen Beifall, in welchen man ihrem Verfasser nicht gerade wol wollte. Der Betroffene und seine Freunde waren natürlich weniger erbaut; auch boten sie allen Einfluß auf, um die Verbreitung des unbequemen Briefes möglichst zu hindern, so daß Voltaire klagte: Der Brief an de Beaumont hat überall Lärm und Unruhe erregt. Man nimt auf der Post alle Druck­sachen weg; es ist unmöglich, etwas der Art zu verschicken." Am meisten lag Rousseau eine Wiederherstellung seiner Ehre und seines Rechts in der Vaterstadt am Herzen, und es kränkte ihn tief, daß auch die Freunde daselbst sich seiner nicht annamen. Er hoffte, der Brif an den Erzbischof von Paris auf dem er sich noch als Bürger von Genf " genannt hatte, werde sie an ihre Pflicht manen, sie zu kräftigem Vorgehen anregen und er­mutigen. Aber er täuschte sich; in Genf blieb alles ruhig wie zuvor. Da glaubte er, es sei endlich an der Zeit, eine Gemein­schaft, die keinen innern Wert mehr hatte, auch äußerlich aufzu­geben. Am 12. Mai 1763 erklärte er dem hochpreislichen Rate in einem Briefe an den Syndikus Favre, daß er für ewige Zeiten auf sein Bürger- und Burgerrecht in Stadt und Republik Genf verzichte. Diese Erklärung widerhallte in ganz Europa ; in Genf rief sie eine tiefe und nachhaltige Bewegung hervor.

Vierzig Bürger, an ihrer Spize Delüc, der Vater des be­rühmten Physikers, richteten am 18. Juni 1763 eine ehrerbietige,

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aber sehr entschiedene Eingabe an den Rat, in welcher sie den Widerruf der one Beachtung der gesezlichen Formen und Vor­schriften gegen Rousseau und dessen Werk erlassenen Verfügungen verlangten. Der Rat erteilte auch auf ein zweites Gesuch eine ablenende Antwort. Es entstand darüber eine nicht geringe Aufregung in der kleinen Republik, so daß Rousseau sich veran­laßt sah, die Freunde dringend zu bitten, um des Friedens willen die Sache fallen zu lassen. Das geschah aber nicht, und da noch andere, sogar gewichtigere Beschwerden hinzu kamen, so entwickelte sich allmälig ein heftiger Parteikampf.

Da veröffentlichte plözlich der Generalprokurator Tronchin, welcher den Bericht gegen Rousseau und dessen Schriften verfaßt hatte, Brife vom Lande", in denen er nachzuweisen versuchte, daß die Geseze des Staates selber den Rat gezwungen hätten, so gegen Rousseau zu verfaren, wie er getan. Auch alle andern Beschwerden der demokratischen Partei wurden als nichtig hinge­stellt, so daß diese sich geschlagen, ja vernichtet fülte. Selbst Rousseau erkante an, daß die Arbeit mit ungewönlichem Ge­schick durchgefürt und ein bleibendes Denkmal für das seltene Talent ihres Verfassers sei." Aber diese Anerkenung hinderte ihn nicht, dem Advokaten des genfer Rates mit den Brisen vom Berge" entgegen zu treten. Hätte es sich," sagt Rousseau in der Vorrede, nur um mich gehandelt, so würde ich diese Brife unterdrückt oder vielmehr gar nicht geschrieben haben. Aber mein Vaterland ist mir nicht so fremd geworden, daß ich es ruhig ansehen könte, wie seine Bürger unterdrückt werden, zumal sie ihre Rechte in der Verteidigung meiner Sache aufs Spiel gesezt haben. Wie geringfügig auch die faktischen Ver­hältnisse, die hier in Frage kommen, sein mögen, die Fragen, um welche es sich handelt, sind groß und der Beachtung wert. Lassen wir Genf an seiner Stelle und Rousseau in seiner be­engten Lage; aber Religion, Freiheit, Gerechtigkeit, das sind Dinge, die niemand unter seiner Würde finden darf."

Die französische Regierung, die gnädigen Herren von Bern , die geistlichen und weltlichen Behörden in Genf beeilten sich, die " Brife vom Berge" zu verbieten. Auch viele der sogenanten Philosophen namen gegen Rousseau und für die Machthaber Partei; one zu untersuchen, auf welcher Seite das Recht oder Unrecht lag, verdamten sie den Mann, der es gewagt, den Aristokraten entgegen zu treten und mit seiner persönlichen An­gelegenheit die Sache des Volks zu verteidigen. Voltaire war sehr erfreut, als ihm ein Bekanter die Schrift brachte. Sie leisten mir einen großen Dienst," sagte er zu demselben. Ich werde die Schrift verschlingen. Ich beschwöre Sie, Sorge zu tragen, daß ich mit Rousseau Frieden schließen kann." Jeden­falls hat er sie mit Vergnügen gelesen, bis dahin, wo sich Rousseau den Scherz erlaubt hatte, ihn zu den Aristokraten in Genf über Duldung sprechen zu lassen. Als Voltaire diese Stelle las," erzälte einer seiner Freunde, der grade anwesend war, sprüte sein Blick Flammen, seine Augen funkelten vor Wut, er zitterte am ganzen Körper und rief mit donnernder Stimme:, Der Böse­wicht! Das Ungeheuer! Ich muß ihn auf seinem Berge in den Armen seiner Gouvernante umbringen lassen.""

Und mit diesem Ausrufe war es Voltaire vollständiger Ernst; wenigstens gab er sich alle Mühe, Rousseau moralisch umzu­bringen. Denn auf die Brife vom Berge" ließ er, warschein­lich in Verbindung mit einem Geistlichen, in Genf unter dem Titel Ansichten der Bürger" anonym eine Flugschrift erscheinen, die Rousseau in einer so boshaften und gemeinen Weise angriff, daß dieser mit Recht sagen durfte, sie scheine ihm nicht mit Dinte, sondern mit dem Wasser des Phlegethon geschrieben zu sein". Der Verräter, ein Wansinniger, ein Verrückter wurde er genant, der desselben Arztes bedarf, welcher mit seinen skanda­lösen Schriften so kurzen Prozeß gemacht hat d. h. des Hen­kers, der sie den Flammen überliefert. Die standalösesten Dinge wurden von dem Verfasser des Emil" und des Contrat social " erzält, und ein Lump dieser Art", hieß es dann, nimt sich her­aus, ehrsamen Bürgern gute Lehren zu geben. Man würde ihm aber begreiflich machen, daß, wenn man sich einem scham­losen Romanschreiber gegenüber mit einer leichten Züchtigung begnüge, man über einen gemeinen Aufrürer die Kapitalstrafe zu verhängen pflege."- 3war wagte es niemand, diese nieder­trächtige Schmähschrift in Schuz zu nemen, und die anständigen Gegner Rousseaus hüteten sich wol, diesen Bundesgenossen als einen der ihrigen anzuerkennen; aber es gab doch manche, die sich nicht schämten, sie zu benuzen, und der heimtückische Angriff hat dem Verfolgten manche heiße Träne ausgepreßt.( Shluß folgt.)