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Alfons komt. Der Zug in die Kirche ein warer Bummelzug­fann nun wol fortgehen? Halt, noch nicht! Alfons muß erst seine Gewissensbisse aussingen, sonst tönte der Kessel plazen, der schon vor einer Stunde geheizt worden ist. Es ist geschehen, vorwärts marsch! Die Trauung kann endlich beginnen.

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Was wir hier sahen, geschah zu Neapel  , von dem es heißt: Sieh Neapel und stirb!" Dies wollen wir jedoch nicht tun, sondern uns nach Spanien   in die Gefängnisse begeben, wo der Gouverneur unge­rechter Weise einen braven Mann als Statsgefangenen zurückhält.

Wir meinen Fidelio", one im geringsten dem göttlichen Werte jenes erhabenen Tonwerkes zu nahe zu treten.

Leonorens aufopfernde Treue erschüttert uns, und wir mäkeln nicht daran, daß die Frau aus hoher Aristokratie, als Knecht verkleidet, sich bei dem Kerkerwärter eingefürt und daselbst Dienste genommen hat. Monatelang get sie hier umher, one erkant zu werden, entweder im Leinwandkittel oder, wie es von vielen Sängerinnen geschiet, in feinem kurzen Röckchen, hübschem Gürtel, einem modisch gefalteten Halskräuschen und Lackstiefelchen; zuweilen noch ein hübsches Hütchen und auf den Fingern ein par Brillantringe, an deren Entfernung man nicht gedacht hat.

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Leonore singt, redet lange Zeit mit ihrem Gatten und fent sie nicht. Man fragt: warum entdeckt sie sich ihm nicht gleich nach dem ersten Erscheinen? Ja, warum diese Verkleidung, da doch der allmächtige Minister im Lande ein Freund des Eingekerkerten ist.

Schon die Sopranstimme des Knechtes, die sich ja beinahe bis ins zweigestrichene B versteigt, müßte dem Kerkermeister sagen: merkst du denn nicht, daß dein Knecht kein Maskulinum, sondern ein Femini­num ist?

Hinweg mit solchen Fragen. Das Opernschicksal will vorher keine Erkennung, denn wo bliebe da die Pistolen- Effektstelle: Ich bin sein Weib!"

Verfügen wir uns jezt von Spanien   nach Costnih am Bodensee  . Hier spielt die gefeierte Oper: Die Jüdin", Text von Scribe, Musik von Halévy  . Zeit: das Jar 1414. Jene Zeit, wo in Constanz wärend des Conciliums Pabst Johann der dreizehnte abgesezt und Hieronimus und Huß von Prag   verbrant wurden.

Von alledem ist nicht die Rede in dieser Oper, sondern von einer unbekanten, armen Jüdin, die durch Liebe unglücklich wird.

Auch hier felt es nicht an Widersinnigkeiten, indem Scribe im Jare 1414 einen Sieg über die Hussiten feiern läßt. Dieser Krieg brach erst einige Jare später los.

Auch weiß die Geschichte nichts von einem österreichischen Herzog Leopold, der auf diesem Conzil vorgekommen und ein Neffe des Kaisers gewesen sein soll.

Trozdem und alledem hat dieser Prinz die Liebe Recha's gewonnen und sich unter dem Namen Samuel als israelitischer Maler in die Fa­milie des Juden Eleazar eingeschmuggelt, sich bei ihm in die Lehre be­geben, wo er Manuskripte mit Gemälden verziert, um dann verkauft zu werden.

Recha ist die Pflegetochter des Juden, welche eigentlich die Tochter eines Kardinals ist. ,, Mein Leopold" will sie entfüren, obgleich er mit der Prinzessin Eudoxia verlobt oder gar vermält ist.

Wunderbar ist es, daß der langbärtige Jude Eleazar, troz seiner Argusaugen, so gar nichts von dem Stand und der Religion seines Lehrlings entdeckt. Selbst da nicht, wo derselbe bei einer religiösen Feierlichkeit den Mazzekuchen zerknaupelt und, statt ihn zu essen, unter den Tisch verkrümelt.

Der föniglich faiserliche Maler läßt sich sogar herbei, seiner Ge­liebten auf öffentlichem Markte und bei helllichtem Tage ein Ständchen mit Saitenspiel auf der Laute zu bringen. Ein Rendezvous auf dem­selben Plaze bleibt nicht aus. Alles bei Tageslicht, wo es heißt: ,, O Sonnenschein, wie dringst du mir ins Herz hinein!"

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Das schönste komt aber noch. Die Prinzessin Eudoria nicht Bumpfia begibt sich zur Nachtzeit selbst in die Wonung des Juden, begleitet von Fackeltänzern, um von Eleazar einen Schmuck zu erhan­deln, der nur 30 000 Dukaten kostet. Jedenfalls nach dem Grundsaz: die Menge muß es bringen.

Der Handel ist abgeschlossen und Eleazar, der vom Volfe Ver­lästerte, muß den Schmuck in die festlich- christliche Versamlung bringen, wo die Prinzessin keinen Anstand nimt, solchen aus den Händen eines jüdischen Paria ihrem christlichen Bräutigam zu überreichen.

Nicht minder auffällig und ebenso wunderbar ist es, daß der Kar­dinal Morny in der Recha nicht sein eigenes Kind ahnt. Fünf volle Afte hindurch spielt der Jude darauf an, er tippt sozusagen mit dem Zaunspfal darauf hin, one daß der Patriarch sagt: Ich verstehe, jezt get mir ein Seifensieder auf!

Das aber muß ja so sein, damit der drastische Effekt mit dem geheizten Totenkessel zulezt noch seine Wirkung tut.

Vier Stunden Träumerei, im Teater verbracht, gibt man nicht so leichten Kaufes hin ,,, es ras't der See und will sein Opfer haben!" Verstopfen wir unser Or den Totensängen und gehen wir direkt von Constanz nach England, auf den Markt von Richmond  , wo die Mädchen singen: Ich kann nähen, ich kann stricken, ich kann alte Kleider flicken."

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Es wäre gut, wenn sie auch auf das alte Opernkleid einen neuen Fleck sezen könten, wobei nur die Frage ins Spiel käme, ob das alte Narrenjäckchen nicht darunter leiden würde.

Betrachten wir die unverwüstliche komische Oper: ,, Martha", von Flotow  . Eine stolze reiche Lady, Hofdame der Königin, verliebt sich in einen ländlichen Pachter, den sie auf einem bisher nicht gewönlichen Wege hat kennen lernen, indem sie sich in Gemeinschaft mit einer Freundin in einen ländlichen Anzug geworfen und auf dem ,, Dienstmädchenmarkt" zu Richmond eingefunden.

Unbekant mit den Gesezen, haben beide hier an der Großknecht­und Großmagd- Börse von zwei Gutspächtern, Lyonel und Plumfet, Handgeld angenommen.

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Trozdem der Kurszettel an dieser Börse an jenem Tage lautete: Hausmädchen: stark angeboten Kuhmägde: viel auf Lager, werden die Ladies gewält, welche nicht einmal, wie die andern Dorfschönen, ein Bündelchen mit Wäsche bei sich füren.

Die Gutspächter merken dies nicht; sie halten die Damen für Mägde, selbst dann noch, als sie später in kostbarer Jagdkleidung, durch­gängig lyoner Sammet, nebst Gefolge vor ihnen erscheinen.

Lord Tristan, der Damen   Hausfreund, will solche aus der länd­lichen Gefangenschaft befreien. Es ist Mitternacht  , die Türen verschlossen. Der Lord muß Lokalkentnis haben; er komt durch das Fenster in die Stube.

Jezt werden doch alle drei schnell entfliehen? Vorwärts, es ist Gefar im Verzug. Nein! Es muß ein Terzett gesungen werden, wozu Tristan nötig ist.

Erst wenn dies geschehen, begint der Rückzug durch das Fenster. Plumket muß dies bemerkt haben, er stürzt herein und ziet eine Glocke zum Herbeieilen seines Gesindes.

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Die Knechte müssen den Braten schon gerochen haben, denn noch ehe geklingelt wird, siet man durch die Türspalten einige angezündete Laternen. An zwanzig Mann das Gut muß eine königliche Do­mäne sein stürzen nach dem ersten Glockenschall herein, durchaus Es ist zu nicht verfchlafen, im Gegenteil, höchst aufgeweckte Kerle. verwundern, daß bei der Eile nicht einige in Unterbeinkleidern kommen und erst auf der Scene in die Lederhosen faren.- Ein ,, denkender" Schauspieler würde sich diesen anziehenden Moment gewiß nicht ent= gehen lassen.

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Am Schluß der Oper wird der junge Pachter Lyonel zum Lord gemacht, vielleicht als Belonung, daß er mit Schlempe gefüttert, oder auf seinem Pachtgute die Stallfütterung eingefürt hat.

Er ,, kriegt" die Lady, welche er im dritten Akt beim Duettgesang noch förmlich von sich geschleudert. Auch ihre Freundin, die Nancy  , get nicht leer aus, sie heiratet Blumket, den ländlichen, in Schlapp­stiefeln einher gehenden Wittwer.

Hiergegen ist nichts einzuwenden, das ist Geschmackssache. Das Publikum hat hiergegen nichts einzuwenden, es fordert sogar im stillen, daß nach so vielen Hindernissen zulezt alles unter die Haube gebracht wird.

So ist denn bei einer Operndichtung alles auf den Effekt be­rechnet und niemand darf den Kopf schütteln, wenn das Unwarschein­liche auftaucht und selbst in dem alten Sauerteig etwas Unsinn mit eingefnetet wird, wie z. B. in Wagners ,, Lohengrin  ", wo nach der Ver­mälung des Graalritters mit der Elsa von ersterem gefordert wird, daß die junge Ehefrau nie und nimmer nach seiner Herkunft forschen solle. Das Standesamt in Brabant muß damals noch etwas sehr farlässig gewesen sein.

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Veränderungen und Verstümmelungen muß sich ein Libretto dichter gefallen lassen, wenn politische und religiöse Bedenken auftauchen. So fand in Wien   und München  , als man die ,, Hugenotten  " in Scene sezte, die Darstellung der Bartholomäusnacht großes Bedenken. Aus dem Religionsstreit der Katoliken und Hugenotten   wurde in Wien   ein politischer Streit gemacht. Man wälte den Kampf der Ghibellinen und Guelfen, was ganz gegen den Charakter der Musik ist, in wel­cher der Choral: ,, Eine feste Burg ist unser Gott  " auf einen religiösen Konflikt deutet.

Ein weiser Salomo   in München   versuchte einen andern Piff, paff, puff!" in die Dichtung zu bringen. Er nam den Säbel in die Rechte", vertrieb die Ghibellinen und Guelfen und sezte dafür Angli­taner und Puritaner ein, wozu die englische Geschichte in einem Re­ligionskampf unter Karl I.   Gelegenheit bot.

Die Handlung wurde von Paris   nach London   verlegt, was durch­aus keine Kosten verursachte. Zeit: Regierung Carls I.

Margarete von Valois   wurde hinaus ballotirt und ihre Stelle durch eine gewisse Henriette besezt, welche eine Tochter Hein­ rich IV.   und Gemalin Karl I. war.

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Jedenfalls dachte der münchener Scribe: ,, Db Jette oder Marga man muß sie hören alle Beede".

Aus Katoliken wurden Anglikaner, aus Puritanern Hugenotten   ge macht und als der dramatische Ballhorn an der Jsar sah, daß alles gut war, ließ er den fünften Aft mit dem Brande von London   schließen wogegen warscheinlich die gothaer Feuerversicherungsgesellschaft nichts einzuwenden hatte.

So legte auch dem Robert der Teufel ein Ei ins Nest, indem man den Klosterhof in einen gewönlichen Kirchhof verwandelte und aus den Klosternonnen weltliche Sünderinnen machte. Ein Ding, was in der Weltgeschichte vielleicht schon mehr als einmal vorgekommen.

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Nicht selten wird auch Namen und Stand hoher Personen ver­ändert. So z. B. der Kardinal Brogni, anderwärts auch Morny genant.