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Ehe- und Hochzeitsgebräuche.
Kulturgeschichtliche Skizze von S. Schl.
Die bei uns gebräuchliche Art der Ehe wird nur zu oft als etwas ewiges und unabänderliches betrachtet. Und doch zeigt uns ein Blick auf die Institutionen der Naturvölker, daß auch im Eheleben nur der Wandel ewig ist, und daß die Form der Ehe nicht von Anbeginn her feststeht, sondern daß auch diese| sich verändert, neue Gestalten annimt, kurz gleichfalls dem eisernen Geseze der Entwicklung folgt.
Auf der tiefsten Stufe der menschlichen Entwicklung fent man feine eheliche Verbindung in unserm Sinne. Die zu einer Genossenschaft, zu einer auf Blutsverwantschaft gestüzten Familie gehörenden Männer und Frauen betrach teten sich als gleichmäßig untereinander verheiratet, und die Kinder in dieser Famile wurden weder als Kinder eines Vaters, noch als Kinder einer Mutter betrachtet, sondern sie waren einfach Kinder der Familie, Kinder des Stammes. Ebenso standen die übrigen Mitglieder der Fa milie nicht in be stimten Verwantschaftsverhältnissen zu einander; sie waren eben weiter nichts als Blutsfreunde, als Angehörige derselben Gemeinschaft.
Gewönlich wurde die Familie in dieser ihrer primitiven Form geleitet durch einen Häuptling; doch finden wir auch, daß die alten Leute die Angelegenheiten der Gemeinschaft regeln.
Noch heute be gegnen wir bei vielen Völkerschaften
lassen, bei ihm Wonung zu nemen. Dort angekommen, übergab er ihm sämtliche Frauen, und er selbst entfernte sich wärend der Anwesenheit des Fremden. Auch bei den Korjaken und Tschuktschen in Sibirien ist diese Sitte allgemein und eine Ablenung dieses Brauchs seitens des Gastfreundes wird als schwere Beleidigung angesehen.
Alein Mütterchen.( Seite 859.)
solchen ursprünglichen Zuständen. Die Buschmänner z. B. können in ihrer Sprache ein unverheiratetes Frauenzimmer von einem verheirateten nicht unterscheiden. Der Verkehr mit den Weißen, überhaupt mit civilisirten Völkern, hat indes mit dazu beigetragen, diese Form des Geschlechtslebens zu verdrängen, und ganz rein, in ihrer ursprünglichsten Gestalt, trifft man wol kaum noch die Gemeinschaftsehe an.
Dagegen können wir noch eine große Bal von Gebräuchen und Sitten beobachten, die in der Primitivfamilie und in der Weibergemeinschaft wurzeln.
Hierher gehört die Sitte, den Gastfreunden, den zureisenden Fremden u. s. w. Weiber und Töchter anzubieten. So war es 3. B. in Kaindu, China , Brauch, daß, wenn Fremde im Orte ankamen, der Hausherr sich bemüte, einen derselben zu veran
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Diese mit unfern heutigen Anschauungen über Anstand und Sittlichkeit so sehr kontrastirende Gewonheit hat auch in Deutschland ge= herscht und noch zur Zeit der Reformation, also vor noch nicht 400 Jaren, schreibt ein Schriftsteller in damaliger Sprache folgendes: ,, Es ist in dem Niderlandt der Bruch, so der whrt ein lieben Gast hat, daß er
im syn from zulegt uff guten glouben." Als weiterem Ueberreft der Primitivfamilie begegnen wir häufig dem Umstande, daß der Häuptling vollstän= Sige Verfügung über
die Weiber des Stammes hat. Er kann dieselben an andere als Ehefrauen verschenken, und er selbst kann fich aus ihren Reihen die Frauen wälen.
Wer in Deutsch land das Leben des Landmanns in seiner Gemeinde, seine Sitten und Gewonheiten beachtet, dem werden noch viele Spuren der alten Stammesgemeinschaft auffallen. So war es z. B. in Glarus bis vor furzem noch Brauch, daß Braufleute bei ihrer Hochzeit von der Gemeinde eine
Gemse geschenkt bekamen. In Schwaben empfangen noch hie und da die Neuvermälten von jedem Gemeindegenossen ein Hochzeitsgeschenk:„ es ist ein Beitrag zur neuen Wirtschaft, der von jedem einzelnen nach Kräften gegeben wird, sowie man denselben vorkommendenfalls auch wieder verlangt."
Ein seltsames Ueberbleibsel der Gemeinschaftsehe sind auch jene Feste, bei welchen die geschlechtlichen Schranken fallen. Die Feier solcher Feste wird gemeldet von den Grönländern, von manchen Indianerstämmen und besonders von der Negerbevölferung Mittelafrifas. So liegt uns unter anderm die Schilderung einer Hochzeit bei den Tagalas vor, von der wir nach Post, einem der verdientesten Forscher auf diesem Gebiete, folgendes wiedergeben, was außerordentlich deutlich erkennen läßt, daß dieser Brauch der alten Weibergemeinschaft entspringt. Bei dem