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genanten Stamme versammeln sich die Hochzeitsgäste, Eltern und Freunde von beiden Seiten, um eine Art großen Sals herzu­stellen, der mit Zweigen bedeckt ist und die ganze Gesellschaft fassen kann. Dazu gebrauchen sie gewönlich drei Tage. In den drei folgenden Tagen feiert man das Hochzeitsfest. Diese sechs Tage verbringen sie unter Trunkenheit, Tanz und Gesang. End­lich legen sie sich durcheinander und in der größten Unordnung zur Ruhe. Hier hat denn, wie die Missionäre sagen, der Teufel eine reiche Beute jeder Art. Die Missionäre meinen, diese Sitte sei dem Bolke nicht auszutreiben. Der Grund liegt eben darin, daß sie uralt ist. Der mit Zweigen bedeckte Sal wird schwerlich etwas andres vorstellen, als den Wald, welchen die Vorfaren durchstreiften.

Ünsre Leser werden es für selbstverständlich halten, daß eine Frau bei der Geburt eines Kindes sich zu Bett legt und bis zu ihrer Genesung darin verbleibt. So selbstverständlich und natür lich uns nun auch dieses erscheint, so wenig stimmen doch manche Stämme demselben zu, und bei ihnen hat nicht die Frau, sondern der Mann das Wochenbett zu halten. Ich sehe im Geiste, wie manche schöne Leserin ungläubig lächelnd den Kopf schüttelt, und mich wol gar der Aufschneiderei bezichtigt, und trozdem muß ich meine Behauptung aufrecht erhalten. Schon der griechische Geschichtschreiber Diodor   erzält uns, daß diese Sitte auf Korsika hersche, und noch heute wird dieselbe bei den Basken in Spanien  wie auch in Bearn im südlichen Frankreich   geübt. Der Mann wird sorgfältig in Tücher gepackt und mit umwickeltem Kopf ins Bett gelegt und warm zugedeckt. Ja, die Sitte erheischt sogar noch mehr. Der Kranke, und als solcher wird der Mann wirk lich betrachtet, komt in ärztliche Behandlung; die Nachbarn und Anverwanten kommen zum Krankenbesuch, bei welcher Gelegenheit denn auch ihr Beileid und der Wunsch baldiger Besserung aus gedrückt wird; er muß Diät beobachten, häufig sich überhaupt aller Fleischspeisen enthalten und sich vollkommen als Patient betrachten und behandeln lassen. Eine hübsche Schilderung eines solchen Wochenbetts des Mannes gibt der Reisende Dobrizhofer von den Abiponen, einem indianischen Stamme in Südamerika  . Er schreibt: Kaum hörst du, daß ein Kind geboren ist, so siehst du auch den Ehemann ganz in Decken und Felle gehüllt und vor jedem rauhen Luftzuge geschüzt, im Bette liegen. Er fastet, wird abgeschlossen gehalten und versagt sich für eine Reihe von Tagen gewissenhaft bestimte Fleischspeisen, sodaß du schwören möchtest, er sei es gewesen, der entbunden ward." Ebenso interessant berichtet Brett, ein andrer Reisender, über diese komische Sitte bei den Indianern Guineas. Es heißt da: Bei der Geburt eines Kindes verlangt die alte Indianerfitte, daß der Vater sich in seine Hänge­matte lege. Er bleibt einige Tage in derselben, als sei er krank, und nimt die Glückwünsche und Beileidsbezeigungen seiner Freunde entgegen. Ich selbst beobachtete diese Sitte einmal bei einer Gelegenheit, wo der Mann bei vollkommner Gesundheit und ausgezeichnetem Wolsein in der spotterregendsten Weise in seiner Hängematte lag und aufs ehrerbietigste und sorgfältigste von den Frauen gepflegt ward, wärend die Mutter des Neugebornen sich mit Kochen beschäftigte- und sich anscheinend niemand um sie fümmerte."

Außer den genanten Völkerschaften haben noch mehrere Stämme der nordamerikanischen Indianer diese Gewonheit, und auch in einigen Teilen von China   sowie bei vielen Negerstämmen West­ afrikas   und noch in manchen andern Gegenden der Erde herscht dieselbe. Es ist vielfach versucht worden, diesen seltsamen Gebrauch zu erklären und vernünftige Gründe für denselben zu finden. Nach unsrer Meinung vergeblich.

Eine andre Sitte, die wir bei Völkerschaften auf primitiver Entwicklungsstufe vorfinden, ist die Ehe auf Probe. Wo diese Form der Ehe herschend ist, da wird, ehe Mann und Frau fest verbunden werden, zunächst eine Zeitlang zusammengelebt, um sich gegenseitig erst näher kennen zu lernen. Findet der Bräu­tigam dann, daß sie nicht für einander passen, so gehen sie, one daß sie irgendwelche Pflichten gegen einander haben, wieder aus einander. Diese Ehe auf Probe finden wir bei vielen Indianer stämmen, bei den Singhalesen, wie auch bei verschiedenen Neger­stämmen an der Kongoküste in Afrika  . Auf Ceylon   lebten, um nur ein Beispiel anzufüren, die Vermälten die ersten 14 Tage provisorisch zusammen, und nach Ablauf dieser Frist wurde die Ehe entweder für giltig oder für nichtig erklärt.

Gleichfalls merkwürdig und mit unsern Anschauungen unver­einbar ist die weitverbreitete Sitte, einen Knaben mit einem er­wachsenen Mädchen zu verheiraten, wobei dann der Schwieger­

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vater in die Rechte des Mannes tritt. Bei den Reddies in Südindien, wo dieser Brauch herscht, kann z. B. ein junges Mädchen von 16 bis 20 Jaren sich mit einem fünf- und sechs­järigen Knaben verheiraten. Sie lebt jedoch mit irgendeinem erwachsenen Manne, häufig ihrem Schwiegervater. Eutspringen Kinder aus dieser Vereinigung, so gelten dieselben für Nach­kommen ihres fnabenhaften Ehemannes. Erreicht derselbe das Mannesalter, so ist seine Frau natürlich alt, und dann gesellt er sich seinerseits zu der Gattin eines andern Knaben und zeugt Kinder für diesen, wie es einst für ihn geschah. Bekanter, als die bisher erwänten Gebräuche, ist jener, nach welchem Eltern ihre Kinder schon ganz jugendlich verloben. Bei den Kalmücken und in China   ist es sogar Sitte, daß sie schon vor der Geburt ihre Kinder sich gegenseitig versprechen, falls sie verschiedenen Geschlechtes sein sollten. Die weite Verbreitung dieses Brauches sezt ebenfalls allgemeine Ursachen voraus, denn wir begegnen demselben in den verschiedensten Gegenden und auch in Deutschland   finden wir noch zu Anfang des vorigen Jarhunderts Ausläufer derselben, da damals noch die Eltern häufig ihre Kinder mit einander versprachen, wenn dieselben noch in der Wiege lagen.

Die Eltern entscheiden überhaupt auf primitiver Stufe häufig gänzlich über die Verbindungen ihrer Kinder. So mußte Peter der Große" von Rußland   noch verbieten, die Kinder gegen ihren Willen zu verheiraten. War es doch vorgekommen, daß man widerspenstige Söne zum Altar gepeitscht hatte, zu welchen die gleichfalls nicht zufriedene Braut von ihren Eltern bei den Haren  hingeschleppt worden war. Der Priester hatte sich natürlich nicht geweigert, seinen Segen zu der Ehe zu geben, und so war das Par zusammengeschmiedet. Wir finden ja auch heute noch Eltern genug, die, um das Wol ihrer Kinder zu fördern", dieselben zwingen, unliebsame Verbindungen einzugehen. Freilich geschiet es nicht mehr in jener drastischen Weise, aber man hat Mittel, die ebenso gut wirken.

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Häufig komt es auch vor, daß die Brautleute sich in der Zeit zwischen der Verlobung und der Hochzeit nicht sehen dürfen. So ist z. B. bei den Beduinen der Jüngling vom Tage der Verlobung an verpflichtet, seiner Braut und deren Mutter sorg­fältig auszuweichen. Begegnet er der erstern unerwartet, so ver­hüllt diese ihr Gesicht und ihre Freundinnen umringen sie, um sie dem Blicke des Bräutigams zu entziehen. Von mehreren mongolischen Stämmen wird änliches berichtet.

Auch die Heiraten zwischen nahen Verwanten sind jedenfalls auf die Primitivfamilie zurückzufüren. Dieselben kommen aller­dings nicht sehr häufig vor, und schon auf ziemlich niederer Kulturstufe scheint eine gewisse Scheu gegen die Verbindungen von Blutsverwanten zu bestehen. Trozdem finden wir doch manche Völker, bei denen eine eheliche Verbindung von Geschwistern nichts Seltenes ist. Ja, bei den Karaiben heirateten die Männer ihre eignen Töchter, und auch von Ceylon wird derselbe Brauch berichtet. Den Drusen soll durch ihre Religion gestattet sein, ihre eigne Mutter zu heiraten.

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Die Heiraten im ersten Grade- also zwischen Eltern und Kindern dürfen wol als Ausnamen betrachtet werden; schon bedeutend häufiger sind die im zweiten Grade, die zwischen Ge­schwistern, und wir finden dieselben außer bei den von uns ge­nanten Stämmen noch bei vielen Indianern Amerikas  , wie auch bei den unsern Lesern gewiß bekanten Zigeunern.

Die Sonderehe verdrängte nach und nach die Weibergemein­schaft. Sehr warscheinlich ist es, daß diese aus den Raub- und Kriegszügen entstand, welche von den Völkerschaften niederer Kulturstufe ja noch mehr gepflegt wurden, wie heutzutage, wenn sie auch nicht mit der Wissenschaftlichkeit, mit welcher in moderner Zeit die Menschen vom Leben zum Tode gebracht werden, bekant waren. Erbeutete in jenen Zügen ein Krieger ein Mädchen, das ihm gefiel oder das ihm, was wol noch mehr ausschlaggebend sein mochte, seine Arbeiten verrichten konte, so mochte es wol häufig vorkommen, daß er diese nicht tötete, wozu er ja nach Kriegsrecht berechtigt war, sondern sie für sich behielt, und daß auf diese Weise sich die Sonderehe entwickelte.

Daß auf jener Stufe von Liebe zwischen Mann und Frau keine Rede ist, bedarf wol kaum der Erwänung. Das Verhältnis zwischen beiden berut auf der nackten, rohen Gewalt. Die Frau ist Eigentum des Mannes, er hat ein Recht, über sie zu ver­fügen, ja, sie zu töten. Sie muß tun, was er befielt; sie ist Lasttier, Sklavin, muß das Feld bebauen und für den Unterhalt des Mannes sorgen. ( Schluß folgt.)