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Ein Verfolgter.
Von Eduard Sack.
( Schluß.)
kleinen und großen Janhagel bedrot oder belästigt zu werden. Man schrie ihm nach, suchte ihn zu erschrecken, warf auch wol aus der Ferne mit Steinen nach ihm. Es kam selbst vor, daß er im Vorübergehen sagen hörte:" Schnell, die Flinte her, daß ich auf ihn schieße," und es legte wol auch ein Dorflümmel die Waffe auf ihn an. Freilich mochte das nicht immer so schlimm gemeint sein, aber es war doch mindestens sehr ungemütlich. Rousseau dachte wol auch daran, den Ort, das Land zu verlassen; doch wohin sollte er sich wenden?
Die Hoffnung Rousseau's , unter dem Schuze des Königs von Preußen sich einer ruhigen und sichern Wonstätte erfreuen zu fönnen, ging auch nicht in Erfüllung. Schon waren einige Monate nach dem Erscheinen der„ Brife vom Berge" verflossen, als sich auf einmal die Diener der Kirche in Neufchatel veranlaßt sahen, sie bei der weltlichen Behörde zu denunziren. Der Magistrat der Hauptstadt gab sofort der Denunziation Folge, und das erstaunte Publikum erfur durch den ausrufenden Amtsdiener, der warscheinlich nicht gut lesen konte, das Buch sei verboten, weil es alles angreife, was in unsrer heiligen Religion Die Frage wurde schnell und gewaltsam entschieden. Am besonders zu tadeln sei". Sodann wante sich die Geistlichkeit an Sontag, den 1. September 1765, kam es zu Tätlichkeiten; es den Staatsrat, um dem Verbote für das ganze Land Geltung wurden abends Steine in die Fenster der rousseau'schen Wonung zu verschaffen und nach Beseitigung des Buches die Entfernung geschleudert. Die nächsten Tage brachten neue Beschimpfungen, des Verfassers zu bewirken. Aber die königlichen Beamten traten neue Angriffe. In der Nacht vom 6. zum 7. wurde ein Hagel so kräftig für den Schüzling Friedrichs ein, daß die Anträge der von Kieselsteinen" gegen das Fenster und die Tür geschleudert, Verfolger one Wirkung blieben. Die Geistlichen ließen darum und ein Stein mit so fräftiger Hand geworfen, daß er quer durch von ihrem Eifer nicht ab. Man suchte auf jede Weise, nament- die Küche fur, die Tür zu Rousseau's Schlafzimmer aufschlug lich auch von den Kanzeln, die Gemüter gegen den Fremdling und an seinem Bett zu Boden fiel. Es gelang, den nebenan aufzuregen. Den frommen Leuten sagte man, daß der leibhaftige wonenden Schloßkastellan herbeizurufen. Der Anblick der VerAntichrist in ihrer Mitte weile. Die ruheliebenden Bürger ängstigte wüstung sezte ihn so in Schrecken, daß er erbleichte, und als er man mit der Lüge, es habe der rastlose Aufwiegler eine Schrift die Kiesel gewarte, mit welchen die um das Haus gehende Galerie vollendet, in welcher er die aristokratischen Regierungen überhaupt angefüllt war, rief er aus:" Mein Gott, das ist ja ein Steinund insbesondere die berner Regierung heftig angreife, und diese bruch!" Die Regierung nam den Vorfall sehr ernst; die ansei bereits gesonnen, das alte Bündnis mit Neufchatel aufzugeordnete Untersuchung blieb indes one Erfolg. fündigen. Das schöne Geschlecht wurde in maßlosen Zorn durch die Behauptung gebracht, der böse Mensch habe in einem seiner Werke den Frauen die Seele abgesprochen. Die genfer Schmähschrift wurde mit Eifer verbreitet, und es fehlte nicht an Lesern, welche die Verleumdungen in derselben für bare Münze namen. Den Geistlichen gesellten sich jene Leute zu, welche den Vertreter der Demokratie fürchteten, und auch Voltaire unterlies nichts, um den verhaßten Gegner zu kränken und durch dessen Entfernung das eigne Ansehen zu sichern. Rousseau begriff sehr bald, daß er solchen Umtrieben auf die Dauer nicht werde standhalten können. Ich werde von hier vertrieben," schrieb er einem Freunde, ,, und ich weiß nicht, wo ich auf Erden ein andres Asyl finden soll. Die größten Bösewichter finden eine Zufluchtsstätte; nur Ihr Freund findet keine." Er beklagt, daß die Natur solange zögert, ihn aus der Verlegenheit zu ziehen; ihm, dem das Leben zur Last, wäre der Tod erwünscht.
Die Geistlichkeit betrieb mit Eifer die Erkommunikation Rousseau's . Da sie aber die Staatsbehörde fürchtete, so suchte sie ihn durch Drohungen zu einem freiwilligen Austritt aus der Kirchengemeinschaft zu bewegen. Man wollte schon zufrieden sein, wenn er nur vorläufig fernbliebe, sich namentlich nicht an der bevorstehenden Osterkommunion beteiligte. Aber Rousseau erklärte dem Pastor mit aller Entschiedenheit, daß er durchaus keinen Zwischenzustand, sondern entweder draußen oder drinnen, im Frieden oder im Kriege, Schaf oder Wolf sein wolle". Der Geistliche Rat( die„ Klasse") wurde belehrt, daß er zu einer Erfommunikation nicht befugt sei. Man beschloß nun, das kezerische Pfarrkind vor den Kirchenrat der Gemeinde zu laden, ihm ein Glaubensbekentnis abzuverlangen, und, wenn dasselbe nicht befriedigend ausfalle, seinen förmlichen Ausschluß aus der Gemein schaft der Gläubigen zu bewirken. Und so geschah es! Rousseau wurde vor den Kirchenrat geladen, der nur befugt war, über schlechte Sitten und anstößige Ausschreitungen zu Gericht zu fizen. Aber die Mühe war vergebens; die Bauern und der königliche Beamte erklärten, daß es nicht ihres Amtes sei, über den religiösen Glauben zu Gericht zu ſizen, und als der Geistliche von Ser Kanzel herab und auf andre Weise seinen Zweck zu erreichen suchte, machte der Staatsrat seinem Eifer ein Ende. Denn der König hatte in einer Ordre seine Unzufriedenheit mit dem in toleranten Verhalten der Geistlichen ausgesprochen und zugleich erklärt, es sei sein ernster Wille, daß der Staatsrat die Wir fungen seines Rousseau bewilligten königlichen Schuzes in jeder Rücksicht sicherstelle."
Es zeigte sich jedoch, daß auch der Schuz des mächtigen Königs nicht ansreiche. Zwar hörte die Verfolgung von Amtswegen auf; aber die Hezereien hatten eine sehr unangeneme und gefärliche Stimmung im Volke erzeugt, die noch heimlich genärt wurde. Rousseau fonte sich nicht öffentlich zeigen, one von dem
Wenn sich die Angriffe zunächst auch nicht wiederholten, so konte sich Rousseau darüber doch nicht täuschen, daß die Mehrzal der Dorfbewoner sie nicht mißbilligten. Angesehene Männer, welche ihn gleich nach dem Attentate besuchten, baten ihn dringend, einen Ort zu verlassen, wo er nicht länger in Sicherheit und mit Ehren leben könne. Die Nachbargemeinde Convet, welche ihn schon vor längerer Zeit zu ihrem Ehrenbürger ernant hatte, ließ ihn jezt, sobald sie von dem Vorfall in Motiers Kunde erhalten, durch eine Deputation einladen, sich in ihre Mitte zu begeben; eine geeignete Wonung stand bereit, man wollte ihm Wagen schicken, um seine Möbel abzuholen, verbürgte sich auch für seine persönliche Sicherheit. Dennoch zog es Rousseau vor, den Antrag dankend abzulehnen. Auf seinen botanischen Streifereien hatte er die im Bielersee gelegene Insel St. Pierre entdeckt. Sie gefiel ihm ungemein, und er beschloß, wenn die Umstände es erlaubten, sich hier häuslich niederzulassen. Zwar gehörte die Insel in das Gebiet des Kantons Bern ; aber es schien unmöglich, daß die Regierung an der vor drei Jaren beschlossenen Ausweisung noch festhalten würde. Um sicher zu sein, wurden Erkundigungen über die Gesinnung der leitenden Persönlichkeiten eingezogen, und man erfur, die Berner schämten sich ihres frühern Benemens und wünschten nichts mehr, als Rousseau auf der Insel wonen zu sehen, und ihn dort in aller Ruhe leben zu lassen." Da auch andre Umstände für diese Auffassung sprachen, so glaubte Rousseau die Uebersiedlung schon wagen zu dürfen( Mitte September 1765).
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Rousseau fülte sich außerordentlich glücklich auf der Insel; dafür sind die reizenden Schilderungen derselben in den„ Bekentnissen" ein beretes Zeugnis. Hier, so hoffte er, würde er endlich„ den großen Plan eines müßigen Lebens" ausfüren können, dem er bis dahin die geringe Taffraft, welche der Himmel ihm verliehen," gewidmet hatte. Die innere und äußere Unruhe, welche die aufregenden Vorgänge der lezten Zeit mit sich gebracht, hatte das alte Bedürfnis nach einem ruhigen Stillleben verstärkt, die mannichfachen Angriffe und Kämpfe, die er zu bestehen gehabt, die Sehnsucht nach einem friedlichen Dasein neubelebt. Es gelang ihm auch sehr bald, die Vergangenheit mit den peinlichen Erinnerungen zu vergessen und die freundliche Gegenwart in sorglosem Behagen zu genießen.
Mitten in diesem gemütlichen Stillleben, am 17. Oktober, erhielt dieser gefärliche Mann" von der berner Regierung den Befehl, die Insel , wie das gesamte Gebiet der Republik , sofort zu verlassen. Rousseau glaubte zu träumen, als er die Verfügung las. Sein Unwille über solche Verfolgungswut war so groß, daß er am liebsten sofort abgereist wäre. Doch wohin sollte er gehen? Konte er, der 53 järige, kränkliche und entmutigte Mann es wagen, grade jezt, da der Winter vor der Tür stand, aufs Geratewol in die weite Welt hinaus zu wandern? Auch waren nötige