Vorbereitungen zu treffen und manche Angelegenheiten zu ordnen. Zum erstenmal in seinem Leben fülte er, wie sich sein angeborner Stolz unter das Joch der Notwendigkeit beugte, als er sich, troz seinem innern Widerstreben, herbeilassen mußte, um einen Aufschub zu bitten.
Die Antwort der berner Behörde war der erneute Befehl, den Boden der Republik innerhalb vierundzwanzig Stunden zu räumen und ihn bei scharfer Bestrafung" nie wieder zu betreten.
Rousseau beschloß, Therese( seine" Gouvernante") mit aller Habe den Winter über auf der Insel zurückzulassen, sich selbst aber, einer wiederholten Einladung des Marschalls Keith folgend, nach Berlin zu begeben.
Am 25. Oktober verließ er die Insel. In Biel , wo das Schiff anlegte, traf Rousseau am Landungsplaze einige junge Leute aus der Stadt, die sich hier zu seinem Empfange versam melt hatten. Diesen und einigen anderen Personen gelang es, seinen Entschluß wankend zu machen, was nicht schwer fallen konte, da ihm vor der weiten Reise und dem rauhen, kalten Klima, dem er entgegen ging, bangte. Doch überzeugte er sich bald, daß auch in Biel seines Bleibens nicht sein könne. Schon am folgenden Tage wurde eine starke Aufregung unter den Bewonern bemerkbar. Unter der Hand erfur er, daß ihm die städtische Behörde am nächsten Morgen einen förmlichen Ausweisungsbefehl zuschicken werde. Die guten Freunde, welche ihn zurückgehalten, ließen sich nicht mehr sehen, und so hielt er's denn für geraten, die unterbrochene Reise one Zögerung fortzusezen. Als der so unablässig Verfolgte in Basel am 29. Oktober eintraf, war er frank. Er war jest vollkommen überzeugt, daß es ihm unmöglich sei, die Reise nach Berlin auszuhalten. Wohin nun? In Basel zu bleiben, kam ihm gar nicht in den Sinn. Es drängte ihn, für immer einem Lande den Rücken zu kehren, in welchem ihm statt der Achtung und Liebe, die er, sein er gebener und verdienter Son, zu finden gehofft, nur bittere Schmach und rücksichtslose Verfolgung zu Teil geworden."
Der Flüchtling wante sich nach Straßburg . Erschöpft, todtmüde, von Fiebern und Schmerzen geplagt, fam er am 2. November in der Hauptstadt des Elsaßes an. Natürlich war an eine Fortsezung der Reise nicht zu denken.
Obwol der Haftbefehl, welchen das französische Parlament vor einigen Jaren gegen Rousseau erlassen hatte, noch voll in Kraft bestand, fand der Verfolgte in Straßburg doch die achtungsvollste, freundlichste Aufname. Alles( schrieb er einem Freunde) was in der Stadt und Provinz zu befehlen hat, stimt darin überein, mir seine Gunst zu schenken," Die ganze Bevölkerung von den höchsten Behörden bis zu den lezten des Volks" beeiferte sich, ihm die größte Aufmerksamkeit zu beweisen und die ehrenvollsten Huldigungen entgegen zu bringen. Ueber sein Tun und Lassen wurden täglich Bulletins ausgegeben. Der Gouverneur der Provinz, Marschall de Contades erklärte ihm, daß er sich in Straßburg ebenso sicher glauben dürfe, wie in Berlin . Natürlich wäre Rousseau gern in Straß burg geblieben; an dringenden Aufforderungen dazu fehlte es nicht. Man schrieb an den Minister, um zu erfahren, ob man ihn one Bedenken behalten könne. Warscheinlich hat sich Herr v. Choiseul nicht gerade zustimmend ausgesprochen, und es wurde darum nöthig, über einen fünftigen Wonsiz endgiltig Beschluß zu fassen. Unter den obwaltenden Umständen konnte es sich nur um Berlin oder England handeln. England war dem Verfolgten schon wiederholt aufs dringendste angerathen worden, und gerade jezt lub ihn der bekannte Philosoph und Geschichtsschreiber Hume aufs herzlichste ein, ihm in seine Heimat zu folgen, wo er für ein angenemes und ruhiges Asyl Sorge tragen wollte. Als auch Milord Keith den Vorschlag seines Freundes Hume entschieden befürwortete, machte Rousseau allen Schwankungen ein Ende mit den Worten: ,, Alles wol erwogen, entschließe ich mich, nach England zu gehen."
Einmal mit sich im Reinen, zögerte er nicht, seinen Plan auszufüren. Troz einer ungewönlich strengen Kälte fur er von Straßburg ab. Seines kränklichen Zustandes wegen konte er täglich nur eine kurze Strecke zurücklegen, und doch wäre er bei aller Vorsicht unterwegs beinahe gestorben."
In Paris , wo Rousseau am 16. Dezember leidlich wol eintraf, war seine Anwesenheit bald ein öffentliches Geheimnis. Sein alter Gönner, der Prinz Conti, hatte, sobald er seine Anfunft erfaren, in seiner Residenz, dem Temple, eine Wonung herrichten und ihm dieselbe anbieten lassen. Der Flüchtling glaubte, die ihm damit erwiesene Ehre nicht abweisen zu dürfen; auch
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fand er hier eine sichere Zuflucht, falls das Parlament auf seinen Haftbeschluß zurückkommen sollte. Der Prinz erwies ihm die ehrendste Aufmerksamkeit. Bekannte aus früherer Zeit fanden sich in großer Zahl zu seiner Begrüßung ein; alle Gelehrte und Schriftsteller von einigem Ruf nur d'Alembert kam auffallender Weise nicht beeilten sich, ihm ihre Aufwartung zu machen. Rousseau sah doch jezt, daß seine Gegner vergeblich bemüt gewesen, ihm die Zuneigung der Freunde und die Achtung des Volkes zu rauben.
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Die Reise nach England wurde von den Freunden, welche ihn begleiten wollten, länger als es Rousseau lieb war, hinausgeschoben. Sie hätten wohl noch weiter gezögert, wenn ihm nicht der Herzog von Choiseul durch die Polizei den Befehl hätte zugehen lassen, sich unverzüglich zu entfernen. Weder der Temple mit seinem eximirten Gerichtsstand und sein Gebieter, noch der auf drei Monate lautende Paß, welchen Madame de Verdelin durch Vermittelung des Herzogs von Aumont für ihn erlangt hatte, gewärten ausreichenden Schuz dem Manne, welcher die Sache des Rechts und der Freiheit gegen List und Vergewal tigung so beret zu verteidigen wußte. Und so fur der Verfolgte am 2. Januar 1768 in Begleitung der Freunde Hume und de Luze nach England ab.
Die Reise nach England war die lezte Flucht, zu der Rousseau von seinen unversönlichen Gegnern gezwungen wurde. Als er das trübe, nebelreiche Land mit seinen falten, unfreundlichen Bewonern, die nur Engländer sind, da sie einmal nicht das Bedürfniß haben, Menschen zu sein", ein Land, vor dem er immer den größten Widerwillen gehabt, schon Ende Mai verließ und nach Frankreich zurückkehrte, nam die Regierung den Schein an, als wüßte sie nichts von ihm, und der Haftbefehl des Parlaments wurde vergessen. Aber der viel umher gehezte Man fand doch keine Ruhe mehr. Es bildete sich in ihm die, bei manchen Anlässen bis zum Frrsinn reichende, fire Jdee aus, daß er überall und immerfort und von allen Menschen verfolgt werde. Allerdings hatte er nicht ganz Unrecht. Viele einflußreiche Gegner benuzten jede Gelegenheit, um ihn verächtlich oder mindestens lächerlich zn machen. Sie wurden selbst durch den Tod nicht versönt. Man entblödete sich nicht, sein Grab, wie das Denkmal darauf, in gemeinster Weise zu beschmuzen. Die Inschriften, welche die Hand der Freundschaft eingegraben, wurden getilgt und beleidigende Ausfälle oder schlechte Wize an deren Stelle ge= sezt. Es kam so weit, daß der Besizer von Ermenouville sich genöthigt sah, unbekanten Personen den Besuch der Insel zu verbieten. Freilich war das nur das kindische Seitenstück zu den Beschimpfungen, welche von den Schriftstellern ausgingen. Schon ein Jahr nach Rousseaus Tode veröffentlichte Diderot , der ehemalige Freund", eine„ Schandschrift", welche der sehr kül urteilende deutsche Biograph*) ein„ Non plus ultra von perfider Niedertracht und brutaler Gemeinheit" nent. Weniger roh und plump, aber ebenso hämisch und boshaft" waren die Angriffe, die gleichzeitig von dem schlauen" d'Alembert ausgingen. Man kann sich denken, was nach solchen Beispielen die giftigen Klein-geister leisteten.
Wenn wir aber die naheliegende Frage aufwerfen: was hinderten, was nüzten alle diese Verfolgungen, so ist die Antwort beschämend und demütigend für alle, welche meinen, den Geist, die Warheit unterdrücken zu können, erhebend und tröstend für diejenigen, welche überzeugt sind, daß die Freiheit ein unantast bares Gut der Völker und die Warheit ein unvertilgbarer Same ist. Auf die Umgestaltung der sozialen und politischen Verhältnisse dürfte bis in die neueste Zeit herein wol kaum ein anderer Schriftsteller des achtzehnten Jarhunderts einen so großen Einfluß geübt haben, als Rousseau . Seine Abhandlung über die Ursachen der Ungleichheit unter den Menschen", seine„ Briefe vom Berge", vor allem aber sein ,, Contrat social " lieferten der Revolution jene Grundsäze, welche allmälich die ganze Welt in Bewegung sezten und die Völker für die Freiheit kämpfen machten. Welche Bedeutung der vom Henker zerrissene und den Flammen überlieferte„ Emil" für die menschlich freie Erziehung gehabt, noch heute hat und warscheinlich immer behalten wird, das braucht man am wenigsten in Deutschland auseinander zu sezen; von dem Erscheinen dieses Buches zält auch die deutsche Pädagogif ihre ruhmreichste Aera.„ Rousseau allein," sagt unser