Geschichtsschreiber F. Chr. Schlosser ,,, wagte es, mitten unter dem französischen   Adel, im militärischen, hierarchischen, despotisch­aristokratischen Europa   die Demokratie einer idealischen Welt zu predigen." Für dieses Wagnis hat er schwer gebüßt durch das Exil, durch das Unglück, durch die Verleumdung, durch den Haß aller Mächte und aller Gewalten, welche die Menschen beherschen

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und die Meinungen regieren-getreu seinem Walspruche: ,, Das Leben der Warheit zu opfern." Wie ein geheztes Wild ist Rousseau   endlich zusammengebrochen; aber unüberwunden, in stralender Glorie schreitet sein Geist noch immer der Menschheit voran, von der immer größere Teile in den Geisteskampf um den Fortschritt in warer Kultur und Gesittung hineingezogen werden.

Eine Idylle im Erdbeben.

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Vier Monate später schrieb Lucile über jenen neunten August: " Am 9. hatte ich Marseiller zum Mittagsessen. Wir unter­hielten uns sehr gut. Nach dem Essen waren wir alle bei Dantons  . Die Mutter( die Frau Danton  ) weinte; sie war sehr nieder­geschlagen; ihr Kleiner( ihr Enkel- Dantons Sönchen) sah ver­buzt aus; Danton   war entschlossen. Ich, ich lachte wie toll. Sie fürchteten, es würde nicht zum Klappen kommen. Obgleich ich meiner Sache durchaus nicht sicher war, sagte ich, als ob ich es ganz genau wüßte, es sei alles in Ordnung. Aber wie kann man so lachen? sagte mir Frau Danton.  , Ach,' antwortete ich ihr, das bedeutet, daß ich heut Abend warscheinlich viele Tränen vergießen werde. Am Abend brachten wir Frau Charpentier, eine Verwante Dantons  , nachhaus. Es war schönes Wetter, wir gingen in der Straße, die von Menschen belebt war, etwas auf und ab. Auf dem Rückweg machten wir noch einmal Halt und sezten uns auf eine Bank neben dem Café des Odeonplazes. Mehrere Sansculotten kamen vorüber und riefen: Es lebe die Nation! Dann Reiter und hinter ihnen ungeheure Menschen­massen. Ich bekam Angst und sagte zu Frau Danton  : Wir wollen gehen! Sie lachte mich aus, aber schließlich steckte ich sie mit meiner Furcht an und wir gingen nachhaus. Ich sagte ihrer Mutter, die sich bald verabschiedete:, Adieu! Es wird nicht lang dauern, so hören Sie die Sturmglocken!' Bei Dantons  fand ich Frau Robert( die Frau eines Communebeamten) und viele andre. Danton   war aufgeregt. Ich lief zu Frau Robert und fragte: Wird man Sturm läuten? Ja, sagte sie ,, noch diesen Abend. - Ich hörte alles und sprach kein Wort. Bald jah ich, wie jeder sich bewaffnete. Camille, mein guter Camille, tam mit einer Muskete. Gott  ! Ich drückte mich in einen Alkoven, bedeckte mir das Gesicht mit beiden Händen und fing an zu weinen. Da ich aber meine Schwäche nicht zeigen und Camille nicht laut sagen wollte, er möge sich doch fernhalten, so paßte ich einen Moment ab, wo ich mit ihm sprechen konte, one von jemand gehört zu werden, und teilte ihm alle meine Befürchtungen mit. Er beruhigte mich und versprach, Danton  nicht zu verlassen. Seitdem habe ich erfaren, daß er sich dem Feuer ausgesezt hat. Fréron sah aus wie jemand, der entschlossen ist, zugrunde zu gehen. Ich bin das Leben müde, sagte er ,, ich wünsche zu sterben. Jedesmal, wenn eine Patrouille kam, dachte ich, alles wäre verloren. Ich flüchtete mich in den Salon, wo fein Licht war, und sezte mich in eine Ede, um diese Vorberei­tungen nicht zu sehen. Niemand war auf der Straße. Jeder mann war in sein Haus zurückgekehrt."

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Und auch Lucile kehrte in ihr Heim" zurück, wohin der kleine Horace sie mit Allgewalt zog.

Welche Nacht!

Eine Nacht, die auch die Nerven der stärksten Männer auf die Probe stellte. War doch sogar Danton   mit seiner Löwen traft" aufgeregt", als die Entscheidung herannahte.

Und nun eine schwache" Frau!

Schwache" Frau? Lassen wir endlich den überlieferten Unsinn! Sie sind nicht schwach die Frauen- im Gegenteil, sie übertreffen die Männer an Mut, und grade weil sie von zarterem Stoff, haben sie ein heldischeres Wesen, mehr Fähigkeit zu heldischem Handeln und zu heldischem Leiden.

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Ja, heldisches Leiden lächelndes Ertragen des Schmerzes, der Folterqual, wenn ein geliebtes Auge auf sie gerichtet ist, und hernach erst, in der Einsamkeit der Trost der Tränen.

Wenn es ein Märtyrertum gibt, ist es ein Märtyrertum der Frauen.

Ein Mann kann unmöglich ein Märtyrer sein. Wer die Brust dem feindlichen Stal, dem feindlichen Blei darbietet, ist fein Märtyrer, er ist ein Kämpfer, er hat die Lust des Kampfes und, fällt er, so stirbt er den frölichen Soldatentod.

( 1. Fortsezung.)

Wer hat je von Soldaten- Märtyrern gehört? Der Begriff des soldatischen Kampfs schließt einfach den Be­griff des Märtyrertums aus.

Und der Mut der Frauen!

Jeder, der im Felde gewesen, weiß, daß es die schwerste Prüfung des Mutes für den Soldaten ist, in feindlichem Feuer zu stehen, das nicht erwidert werden kann. Im Kugelregen dem Feind entgegenstürmen, ist Kinderspiel, verglichen damit. Und diese schwerste Prüfung des Muts sie ist das Erbteil der Frauen.

Der Regel nach ist die Frau im Kampfe des Lebens genötigt, die feindlichen Schläge hinnehmen zu müssen, one sie erwidern zu können. Sie hat die Leiden des Kampfes zu tragen, one seine Lust.

Und nicht blos für sich allein; für den kämpfenden Mann, für den Geliebten, für den Son empfindet das Weib die Qual des Kampfes, welche diese in der Erregung des Kampfes nicht empfinden; und sie empfindet sie zehnfach verstärkt, hundertfach verstärkt. Die arme Lucile!

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Was sie in jener Schicksalsnacht gelitten, kann sich nur schwach in ihren Aufzeichnungen widerspiegeln, obgleich die Qual ihres Herzens aus jedem Wort spricht.

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Wärend sie tausend Tode für ihn starb, sezte Camille sich leichten Sinns der Gefar aus. Hätte ihn eine Kugel getroffen, er hätte lächelnd das Leben für das Vaterland hingegeben. Um Mitternacht begann das Sturmläuten; eine nach der andern regten die Glocken von Paris   ihre ehernen Zungen voran die von Saint Germain l'Auxerrois, die, fast auf den Tag, vor 220 Jaren( am 24. August 1572) das Signal der Bartholomäusnacht gegeben, alle andern übertönend, die Riesen­glocke von Notre Dame  .

Und Paris   folgte dem Rufe der Glocken.

Erst in kleineren Abteilungen, dann in dichteren und dichteren Massen wälzte das Volk sich den Tuilerien zu, die, wolbefestigt und von den tapferen Schweizern verteidigt, eine mächtige Cita­delle bildeten.

Es war ein blutiges Ringen.

Jeder Schuß ging der armen Lucile in das Herz. Wunder der Tapferkeit und der Aufopferung auf beiden Seiten! Die Tuilerien fielen und mit ihnen das Königtum.

Wenige Tage zuvor( 25. Juli) hatte der Herzog von Braun­ schweig   sein berühmtes Manifest erlassen und, an der Spize der Koalitionstruppen und der racheschnaubenden Emigranten, Frank­ reich  , falls es sich nicht bedingungslos unterwerfe, mit Feuer und Schwert, Paris   mit der Vernichtung bedrot, er hatte jezt eine Antwort. Die erste.

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Doch die preußische Armee nebst den Emigranten stand nur wenige Tagmärsche von Paris  . Am zehnten August dem verhängnisvollen Freitag*) des Tuileriensturms tam nach beendigter Schlacht Camille zu seiner Lucile zurück.

Der Vulkan brodelte und kochte fort.

In den ersten Septembertagen neuer Ausbruch, mit Blut­strömen statt der Lavaströme.

Das gräßliche Septembergemezel, diese umgekehrte Bar­tholomäusnacht, diese" Pariser Bluthochzeit des Volks", war die zweite Antwort auf des Braunschweigers Manifest.

Und die dritte und endgiltige Antwort wurde am 20. Sep­tember bei Valmy gegeben, in jener wunderbaren Kanonen­schlacht, in der Goethe, der dabei gewesen, das Kanonenfieber und die neue Weltwende entdeckte.

*) Der 9. August war also ein Donnerstag, nicht Dinstag, wie es in Nr. 27 irrtümlich heißt.