Ueber die Personen, mit denen Carlyle verkehrt und die ihm nicht sympatisch sind, über Schriftsteller, die er liest und die ihm nicht sym­patisch sind, wird in der wegwerfendsten, herzlosesten und brutalsten Weise geurteilt. Coleridge  , von dem er aufs freundlichste aufgenommen ward, ist ein ,, aufgeblasener, ängstlicher, zerstreut aussehender, fettiger ( fattish) alter Mann, der von nichts interessantem spricht"; Heine wird abgetan mit: ,, der Lump Heine"( blackguard Heine); Charles Lamb   und seine Schwester sind, ein trauriges Par Phänomene"; Sir William Molesworth   ist ein armseliges, engherziges Geschöpf"; Lady Holland ,, eine Art hungriger, aufgepuzter Here, die mich mit Kannibalenblicken betrachtete" u. s. w.

Doch das sind blos Ungezogenheiten, oder- Geistreichigkeiten, die mehr das Herz oder den Takt unsres Oberheros angehen.

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Das vollkommen defekte Denken desselben, seine absolute Un­wissenschaflichkeit erhellt aus den Bemerkungen über Darwin  . Das Werk ,, On Species  " hat für Carlyle ,, nur deshalb Wert, weil es die launische Dumheit des Menschengeschlechts andeutet"( indicating the capricious stupidity of mankind). Wie er dies in dem Werke entdecken konte, ist freilich ein Rätsel, denn er hat es nie gelesen! Ich tonte nie eine Seite davon lesen, und nicht den kleinsten Gedanken daran verschwenden." So schreibt Carlyle von Darwin  . Man siet, wie Recht wir gehabt, als wir in unsrer neulichen Skizze dem Weisen von Chelsea  " das Verständnis der modernen wissenschaft­lichen Bewegung und Weltanschauung absprachen und ihn dem acht­zehnten Jarhundert zuzälten."

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Doch es felt auch nicht an woltuenden Momenten in den Reminiscences", warhaft ergreifend sind die Partien, die von Carlyle's Frau handeln. Sie ist die Heroine, deren wir vorhin er­wänten; ihr hat er seine literarische Karriere, sein häusliches Glück, seine Stellung in der Gesellschaft verdankt, ihrem Andenken ist ein beträchtlicher Teil der ,, Reminiscences" gewidmet.

Kurios ist eine Bemerkung, die Carlyle einmal über sich selbst macht. Mehrere Jare lang hielt er, um sein Einkommen zu ver­mehren, Vorlesungen über Temata, mit denen er sich grade schrift­stellerisch beschäftigte, und die seitdem auch gedruckt worden sind. Sie waren sehr besucht und wurden allgemein gelobt. Carlyle gefielen sie aber garnicht, sie waren", so schreibt er in sein Tagebuch ,,, ein ab­scheuliches Gemisch von Prophetentum und Schauspielerei"( a detestable mixture of prophecy and play- actorism). Ob das Wort blos die Vor­lesungen Carlyle's trifft?

L.

Lager einer Karawane. Das Bild auf Seite 352 zeigt uns eine Szene aus dem Verkehrsleben Indiens  , dieses von der Mutter Natur so üppig ausgestatteten Teiles unsres Planeten. Unfre Reise­gesellschaft hat Halt gemacht, um von den Strapazen der Reise aus­zuruhen und um Waren und Reisende, welche ihrer Obhut anvertraut sind, desto sicherer an den Ort ihrer Bestimmung zu bringen. Ein Teil der lezteren hat in dem vor den Stralen der heißen Sonne Indiens   Schuz gewärenden Zelt plazgenommen, der Rest rut aus oder bereitet die stärkende Malzeit unter dem schattenspendenden indischen Feigenbaum. Dieser, woltätig als Schattenspender, zeichnet sich beson­ders durch seine Luftwurzeln aus, die, von den Zweigen ausgehend, in dem Boden festwachsen. Er wächst im tropischen Indien   aus den Kronen der Palme heraus, in die die Vögel die Kerne seiner Früchte fallen ließen. Die Palme stirbt allmälich ab, aber unterdessen haben die Aeste in der Erde so fest Wurzel gefaßt, daß er selbständig gedeit und sein Gestrüpp eine Ausbreitung von hundert Meter und darüber erreicht. Verschiedene Produkte Indiens  , wie zum Beispiel das Baum­wollengewebe, waren schon im Altertum bekant, und es ist ganz natür­lich, wenn der Handelsverkehr in und mit diesem fruchtbaren Lande, in dem fast alle Bodenprodukte der übrigen Weltteile gedeihen, sich mit den Jaren bedeutend gehoben hat. Nameutlich aber nachdem sich die geschäfts­fundigen Engländer dort festgesezt. Fallen doch nach den Angaben von Emil Schlagintweit  ( Indien in Wort und Bild") 40 pCt. des engli­schen Gesamthandels allein auf den Verkehr mit Indien  , und werden doch von den Engländern järlich mehr als für eine Milliarde Waren aus Indien   bezogen oder dorthin exportirt. Früher wurde nun dort der Landverkehr hauptsächlich durch Ochsengespanne vermittelt, und zwar auf 30 bis 40 Tagereisen Entfernung. Der Getreide- und Salz­handel wurde fast ausschließlich von einem wandernden Volksstamme, den Bandscharas, vermittels Lafttieren besorgt. Dieses unsern Zigeunern änliche Völlchen heute nimt es in Indien   dieselbe Stellung wie diese wird auf 201 000 Mitglieder angegeben und ist mit wechselnden Namen vom Himalaya   bis zur Südspize Indiens   anzutreffen. Seine Herkunft ist dunkel, von den Forschern wird es als der Ueberrest eines alten Hirtenstammes betrachtet. Bandschara bedeutet Händler, sie selbst nennen sich Gohur, sind nie seßhaft geworden und wonen in Zelten. Besonders hoch standen sie in Ansehen in Kriegszeiten, weil sie die Lebensmittel den Kriegfürenden mit einer Pünktlichkeit herbeischafften, die sonst nur der besten Intendantur eigen ist. Heute sind sie durch die auch in Indien   mehr und mehr die Verkehrsvermittlung über­nemenden Eisenbanen ihrer früheren Handelstätigkeit enthoben, und nur nach den Gegenden, wo das Dampfroß ihnen noch nicht seine übermächtige Konkurrenz macht, füren sie auf ihren Saumtieren die verschiedensten Bodenprodukte. Eiſenbanen sind, wie sehr erklärlich, durch die Nuzbarmachung des indischen Bodenreichtums seitens der

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Engländer, vielfach gebaut worden, und übertreffen, was luxuriöse Ausstattung und Einrichtung der Wagen für den Personenverkehr an­belangt, nach den Schilderungen von Reisenden, diejenigen Europas  . Besonders wendet man viel darauf, um die Reisenden gegen die in den heißen Monaten sehr lästige Sonnenhize zu schüzen. Im übrigen ist für Schlaf- und Toilettenzimmer Sorge getragen. Für den sonstigen Berkehr der Reisenden ist durch Anlegung von Kunststraßen gesorgt. Rasthäuser sind angelegt, in denen der Europäer gegen Erlegung von 2 Mart sich den ganzen Tag aufhalten kann. Ein solches Rasthaus bestet aus einem von einer Säulenhalle umgebenen Erdgeschoß mit zwei, an sehr belebten Straßen mit vier luftigen, weißgetünchten Zimmern, die einfach möblirt sind, und zu denen je eine Badestube gehört. Ein viereckiger, ziemlich großer Tisch, zwei bis drei Rorstüle und eine aus Bambus geflochtene Bettstelle machen das Mobiliar aus; Betten muß sich der Reisende mitbringen. Die Küche soll sich allgemein durch Un­reinlichkeit auszeichnen; dagegen soll der Indier auf der Reise im Freien mit ganz primitiven Mitteln ein schmackhaftes Mal bereiten können. Die Eingebornen reisen in einfachen Wagen, die teils mit Pferden, teils mit Ochsen bespant sind. Borneme Eingeborne spannen vor ihre mit reichem Zierrat versehenen Dachwagen Büffel, selbst Kameele und Elefanten. Die Europäer reisten früher mit dem sehr kostspieligen Palfi, einer Tragbare, welche die Länge eines Mannes hat, bis auf die durch Jalousien verschließbare Tür geschlossen ist und von vier Trägern durch daran befestigte Stangen getragen wird. Troz des sehr hohen Preises, den der Reisende für die genante Art des Transportes zalen mußte, hatte er oft Unannemlichkeiten mit seinen Trägern, indem diese, in der Meinung, sie würden nicht genügend für ihre Leistung entschädigt, den Palfi samt seinem Insassen im freien Felde stehen ließen. Der zweirädrige Tongawagen, ein vier- bis sechsfiziger Omnibus, ist dagegen ein billigeres Beförderungsmittel. Er wird von einem bis zwei Pferden gezogen, seine Wände sind ringsum von Fenstern durch­brochen, die mit Vorhängen versehen sind. Zu dem komt noch der Dat- Gari, ein vierrädriger, mit einem Pferde bespanter Extrapostwagen, der garnicht zum Sizen eingerichtet ist, sondern zum Liegen auf einer Matraze, welche sich aber der Fargast selbst mitbringen muß. Da, wo die Eisenban alle diese Verkehrsmittel ersezt, dient er nur noch als Eilwagen zur Beförderung von Poststücken, aber auch Reisende werden in ihn aufgenommen. Jedenfalls ist er aber an diesen Stellen be­deutend ins Hintertreffen geraten, genau wie die Tiere auf unserm Bilde, auf dereu Rücken jarhunderte hindurch der Mensch nebst seinen Schäzen seine Reisen im Orient machte.

nrt.

Klein Mütterchen.( Bild S. 353.) Es ist wiederum einer der einfachsten von den allen bekanten Vorgängen, welchen einer unsrer bedeu­tendsten Künstler, L. Knaus, zu der vorliegenden Illustration zum Ge­genstande genommen u. meisterhaft ausgefürt hat. Die kleine zweijärige Lotte ist ein aufmerksames Kind wie die meisten Kinder ihres Alters, denen die nötige Pflege zuteil wurde. Sie hat denn auch die Sorgfalt bemerkt, mit der ihre Mutter ihr kleines sechs Wochen altes Brüderchen im Wickelbett herumträgt und über die Bedeutung dieser Tätigkeit ihre Schlüsse gezogen. Dazu komt noch, daß Nachbars Elise öfters ihre Besuche macht und dann mit ihrer großen Puppe, dieselbe altklug im Arme wiegend, im Zimmer auf- und abspazirt. Erfinderisch beanlagt, hat sie nun in Ermangelung einer Puppe, einen Kohlkopf, den ihr Müt­terchen allerdings einem anderen Zwecke bestimmt, wie Figura zeigt, ge­schickt in ein Tuch verpackt und dieses erste Produkt ihrer künstlerischen Tätigkeit gibt nun das uns etwas primitiv, ihr vollgewichtig genug erscheinende Objekt ihrer Pflege. Es ist freilich nur findliches Spiel, aber zeigt sich nicht schon in dem harmlosen Tun und Treiben unserer Kleinen der angeborne Keim zum sittlichen Vorwärtsstreben? So war es ist, daß der Mensch nur durch das Leben in der Gesellschaft, durch die Kunst der Erziehung zum Menschen werden kann, so war ist es auch, daß die Fähigkeiten, welche die Pädagogik entwickeln und ent­falten soll, sein ursprüngliches Eigentum sind. Und so sehr sich auch in der frühen Entwicklung des Menschen der Hang zum Tierischen, die Freude an der Zerstörung 2c. bemerkbar macht, wir werden ebensowenig an ihm zu gleicher Zeit die Neigung zum Guten, Menschlichen vermissen. Ja, wäre diese Neigung nicht die stärkere, so wäre ein Fortschritt zur Bermenschlichung des Menschen undenkbar. Der hochbedeutende Fonds des Guten, den unsere vielfach mangelhafte Kultur aufweist, ist das Re­sultat dieses stärkeren Triebes  , der sich bereits im kindlichen Spiele offen­bart. An diesem, d. h. am Spiel, soll dann auch die Erziehung an­fnüpfen: spielend den Menschen zur Arbeit, der wichtigsten Kultur­schöpferin erziehen, ist ihre vornehmste Aufgabe. Ob diese Gedanken dem Maler unseres Bildes vorgeschwebt haben, wollen wir nicht be­haupten, obwol nicht allzuviel Phantasie dazu gehört, dies aus seinem Werke herauszulesen. Sein Schaffen war hier wol mehr darauf ge­richtet, einen der vielen, für Eltern und Kinderfreunde so schönen Mo­mente darzustellen. Wie vortrefflich ihm das gelungen ist, zeigt seine Arbeit selbst; denn man braucht nur unserem kleinen Lockenkopf in sein unschuldiges Gesichtchen zu blicken, um dafür die beste Bestätigung zu erhalten. Man wird dann auch mit uns zu der Ueberzeugung gelangen, daß unser kleines Lottchen, wenn sie später einmal ihren ebenso schönen wie ernsten Beruf als Mutter zu erfüllen hat, dies im vollen Bewußt­sein ihrer heiligen Pflichten tun wird.

nrt.