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Er weiß es nicht, er soll's auch nicht erfaren, wenn ich es hindern kann. Mich soll's allein befriedigen und erfreuen, wenn er bei seinem Auftreten hier gefällt, wenn er endlich den engen, drückenden Verhältnissen sich entreißen und zur vollen Anerkennung seiner künstlerischen Fähigkeiten gelangen kann. Mir allein soll er dies zu danken haben! Und er wird dann seine Minna heiraten und glücklich sein.- Glücklich! O ja, er wird es sein, ich wünschte es ihm aus ganzer Seele. Aber auch dies Glück wird er mir verdanken, denn sie, warlich, sie hat nichts getan, es zu erfüllen.
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Der Mond sank tiefer, tiefer, in einigen Minuten mußte er hinter der Giudecca untergehen.
Eine feuchte Luft wehte vom Meere herüber, Elvira schauerte zusammen; es mußte spät sein. Wie zur Beantwortung tönten in dem Augenblick von der Turmuhr des Markusplazes die dröhnenden Schläge der großen Erzfiguren, die diese, mit ihren Hämmern weit ausholend, gegen die Glocke fürten. Es war eins.
Dein Sput ist vorüber, Venezia, dein Zauber ist gebrochen! rief Elvira aufatmend. Ich will mich dir nimmer gefangen geben! Sie wante der Lagune den Rücken und trat in die Tür und in den Salon zurück, lächelnd, schön und stolz, wie eine Siegerin.
Drittes Kapitel.
In Mariens großem Wonzimmer saßen die Schwestern auf dem kleinen Sopha, sich zärtlich umschlungen haltend. Die beiden, die einst einander so änlich gewesen, daß man sie oft verwechselte, wie verschieden waren sie jezt. Elvira hatte eine einfache Toilette gewält, und doch, wie vornem erschien sie darin, wie elegant. Welcher Geschmack, welches Raffinement war auch darauf verwendet, um all' die Vorzüge des schönen Weibes auf's günstigste hervorzuheben. Welche Berechnung in Farbe und Schnitt! Wie zart erschien dadurch der Teint, wie weiß und fein das Handgelent, das von gelblichen Spizen umflutet war, die in zierlichster Weise auch den zarten Hals umgaben. Wie kokett saß das blumengeschmückte Hütchen auf dem dunkeln, reich hervorquellenden Har, das, der Antike nachgeamt, tief gegen die Stirn herabfiel.
Wie unscheinbar, wie ärmlich nam sich die Schwester an ihrer Seite aus! Das dunkle, selbstgemachte Hauskleid war nicht einmal graziös zu nennen, das dünner gewordene Har war glatt gescheitelt, der Teint hatte an Frische verloren und die Hände waren rot und abgearbeitet, von Frostbeulen entstellt, die seit dent lezten Winter sich noch nicht ganz verloren. Und doch, wenn man sie beide in einem Bilde gesehen, in dem der finlichwarme Hauch der Farbe, des Lebens nicht mitwirkte, hätte Marie als die poetischere Schönheit gelten müssen. Sie selbst dachte nicht daran, einen Vergleich anzustellen, neben ihrer Schwester in Betracht zu kommen; sie sah voll bewundernden Entzückens auf die glänzende Erscheinung der jüngeren.
,, D, nun begreife ich's, daß sie alle für dich schwärmen, Elvira, daß Alt und Jung, Männer und Frauen in gleicher Weise von
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dir entzückt sind, aber es hat dich garnicht stolz gemacht, du bist so lieb, so herzlich gut, wie früher."
Elvira drückte die Hand der Schwester.„ Täusche dich nicht, Marie," sagte sie mit einem reizenden Lächeln ,,, ich bin doch stolz, ich bin es auf meine Kunst, auf meine wachsenden Fortschritte in derselben; ich bin stolz auf die mir innewonende Fähigkeit, die Gedanken und Empfindungen großer Meister zu verstehen, sie gleichsam zu meinen eigenen zu machen. Sieh, durch den Hauch meiner Leidenschaft, meines Talents vermag ich sie zu beleben, durch meine Individualität diese Schöpfungen der Menge zum sichtbaren und lebendigsten Ausdruck zu bringen. Du kenst das nicht, aber glaube mir, es ist ein stolzes, erhebendes Gefül, durch diese mir innewonende Kraft auf das Fülen eines nach tausenden zälenden Publikums einzuwirken, es mit hineinzureißen in den Wirbel tumultuarischer Empfindungen. Für die tiefe Sehnsucht, die jubelnde Freude, den wildesten Schmerz weiß ich ein Echo in ihren Herzen zu erwecken. Ich entlocke Ihnen Tränen und gleich darauf sind sie noch stürmischer erregt, bis zur Begeisterung entflamt, hingerissen zu frenetischem Jubel. D, das bringt auch mir Entzücken, das tut mir gut, das entschädigt mich für vieles, das fönte mir Trost sein für alles!"
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Marie sah erstaunt, verwirrt fast der Schwester in die tiefen Augen, die in Begeisterung erglänzten. Tante Luise würde dich verstehen, ich kann dich nur bewundern."
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Elvira machte eine feichte, abwerende Bewegung. ,, Lassen wir das." Sie nam wieder Mariens Hand. ,, Du sollst mir jezt von dir erzälen, von deinem Glück, von dem du mir wiederholt geschrieben hast; du sollst mir all' deine Freuden nennen."
Marie zeigte frölich nach dem Korbe, der vor ihnen stand, in dem die kleine Marietta gebettet lag und sich damit unterhielt, ihre Fingerchen ineinander zu schieben.
,, Sieh, Elvira, das ist meine beständige und größte Freude, ich habe sie immer vor Augen, ich trenne mich garnicht von ihr." Elvira nickte, und nach einem flüchtigen Blick nach dem Kinde sah sie sich etwas genauer in dem Gemache um. ,, Und das ist die Kinderstube?" fragte sie.
,,, es ist alles, meine ganze Welt, es schließt all' meinen Reichtum ein," entgegnete Marie lachend.
,, Aber dann bist du ja auf das allernötigste beschränkt, mein armes Kind!?" rief Elvira, in fast erschreckter Teilname noch immer herumspähend. O gewiß, du hast weniger Komfort als zuhause, ich bemerke nichts von jenen Gegenständen der Bequemlichkeit und des Luxus, die uns das Leben erleichtern und verschönern, die zerstreuen und amüsiren und über manche Stunden des Verdrusses und der Langeweile hinweghelfen."
,, Ach, du bist komisch, Elvira, du sprichst mir von Langeweile, das Wort kenne ich nicht; meine Zeit will nicht ausreichen für all' meine Pflichten, für all' die Beschäftigungen, die ich mir vorgenommen, und das wäre auch der einzige Verdruß, den ich empfände." Die Tür öffnete sich in dem Augenblick ein wenig und Domenika drängte sich zur Hälfte hindurch. One ein Wort zu sprechen, winkte sie mit beiden Händen ihre Gebieterin zu sich hinaus. ( Fortsezung folgt.)
Ehe- und Hochzeitsgebräuche.
Kulturgeschichtliche Sfizze von S. Schl.
Das Rauben der Weiber oder der Brautraub, wie es allgemein genant wird, hat bei allen Völkern bestanden, und diesem Brauch ist auch zuzuschreiben, daß so häufig die Männer eines Stammes nicht die Frauen desselben Stammes heiraten dürfen, sondern sich eine Frau aus einem fremden Stamme holen müssen; eine Sitte, die wissenschaftlich Exogamie genant wird. Tapferkeit wurde geachtet, Feigheit verhönt, und derjenige, der nicht imstande war, eine Frau aus fremdem Stamm zu erringen, das heißt, sie sich zu rauben, ward verachtet. So mag es wol zulezt als Schimpf angesehen worden sein, sich eine Frau aus dem eignen Stamme zu nemen, und die Folge war, daß derartige Heiraten ganz abkamen und die Heirat in fremden Stamm noch beibehalten wurde, als der Grund dafür längst nicht mehr vorhanden war. Freilich finden wir auch noch Völkerschaften, die das entgegengesezte Prinzip verfolgen und die nur im eignen Stamme heiraten. Diese Sitte, Entogamie genant, ist ein Ueberbleibsel der Primitivfamilie und bei weitem nicht so verbreitet, wie die Erogamie.
( Schluß.)
Auf den Fidschiinseln ist diese Art, sich eine Frau zu verschaffen, noch heute gang und gäbe. Hat daselbst sich ein Mann eine Frau durch Raub verschafft, und ist sie es nicht zufrieden, so fliet sie, wenn möglich, zu jemandem, der sie schüzen kann. Ist sie indes einverstanden, so wird ihren Freunden am andern Morgen ein Fest gegeben und alsdann wird das Par als Mann und Frau betrachtet.
Am rohesten hat sich die Form des Brautraubes wol bei den Bewonern von Neuholland erhalten. So berichtet der Engländer Collins über denselben bei den Eingebornen in der Gegend von Sidney folgendes:„ Das unglückliche Mädchen wird in Abwesenheit ihrer Beschüzer geraubt. Zuerst versezt der Entfürer ihm auf Kopf, Nacken und Schultern so heftige Schläge mit der Keule oder einer Holzwaffe, daß das Blut stromweise hervorquillt und es betäubt zusammenbricht. Dann wird es mit solcher Ausdauer und Heftigkeit durch das Gestrüpp geschleift, daß man meinen sollte, der Arm würde ihm aus dem Gelenke gerissen werden.