Hahaha! Die Hofrätin ! Sie lebt noch immer, die gute Seele, ja? Troz ihrer unzäligen Leiden? Und sie hat sich- hahaha- sie hat sich dekolletirt photographiren lassen." Sie brach in ein ausgelassenes Lachen aus, und Marie konte dem prickelnden Reiz nicht widerstehen und lachte ebenso herzlich mit.
Elvira hatte einige Blätter überschlagen und hielt aufs neue inne; aber ihre spöttische Laune war einem plözlichen Ernst gewichen, und sie sah nun schweigend und gedankenvoll auf den ausdrucksvollen Männerkopf, der ihr hier im Bilde entgegen lächelte. Marie blickte über die Schulter der Schwester nach dem Gegenstande, der ihre Aufmerksamkeit gesesselt hielt.
Du fenst ihn wol nimmer?" fragte sie. Kein Wunder, ich hätte ihn selbst kaum wiedererkant; es ist Friz. Er hat uns die Photographie erst vor einigen Wochen geschickt; aber er muß sich sehr verändert haben oder sie ist nicht gelungen."
,, Sie ist vollkommen gelungen," bemerkte Elvira leise, als ob sie zu sich selber spräche, und unverwanten Auges dieselbe anblickend. ,, So siet er aus, gradeso, mir ist's, als ob er vor mir stünde." Marie schüttelte den Kopf. Ich hatte ein so gutmütiges, fröliches Jünglingsgesicht in der Erinnerung."
Seine Büge sind mänlicher geworden, allerdings, sie zeugen von Festigkeit und Kraft."
,, Sie sind zu markirt. Sein hübscher, großer Mund hat wol immer noch das gewisse, übermütige Lächeln, aber der eine Mundwinkel ist tiefer herabgezogen, und das gibt ihm etwas so so" Marie wußte den Ausdruck nicht zu finden.
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,, Etwas Herbes," ergänzte Elvira ,,, nicht war? Und zugleich etwas Ueberlegenes. Es zeigt, daß das Ungemach des Lebens ihn hart bedrängt und ihm doch nichts anhaben kann, daß er es vielmehr beherscht oder sich darüber hinwegsezt. Und dieser küne Uebermut, dieses gesunde Kraftbewußtsein es äußert sich bei ihm in allem, in jedem Blick, in jeder Geberde."
Marie sah erstaunt auf die Schwester, auf deren Wangen eine feine Röte brante. Hast du ihn denn gesehen, vor kurzem gesehen?" Elvira legte das Album auf den Trumeau zurück und ergriff ihren Schirm, der daneben lag.
Ja," sagte sie dann in einem gleichgiltigen und durchaus veränderten Ton, zufällig und auf der Büne. Es war vor zwei Monaten, als ich auf meiner Gastspieltournée in einem Provinzstädtchen eine zwanzigstündige Rast hielt; ich besuchte abends das Teater, man gab Dinorah, und ich war einigermaßen überrascht, in Correntin unsern guten Freund Friz zu finden." ,, Und hat er dir gefallen?"
" Ja und nein," erwiderte Elvira in einem frölichen Tone. ,, Er besizt die herlichsten Mittel, aber als ein echter Kraftmensch vergeudet er sie in der leichtfertigsten Weise. Er singt mit einer verblüffenden Unbekümmertheit, one Berechnung, one künstlerisch Maß zu halten. So komt es, daß er für manche Effektstellen nicht ausreicht, ja, es schien mir, als ob er sie in seinem Uebermut absichtlich fallen ließe."
Marie schüttelte wieder, als wäre sie andrer Meinung, den Kopf. Ich sage dir, er tut das, weil er keine Freude an seinem jezigen Beruf hat; das Teaterleben befriedigt ihn nicht, es behagt ihm nicht, er schreibt es in jedem Brif."
Ich glaube es wol, es kann ihm nicht behagen. Er lebt an fleinen Teatern, in unerquicklichen Verhältnissen, die ihn ungeduldig machen, die sein Künstlernaturell empören; aber er wird bald an dem Plaz sein, wohin er gehört, unter günstigen, künstlerischen Verhältnissen, vor einem Publikum, das ihm Verständnis entgegenbringt; und wenn er erst jene Unterstützung hat, die er vor allem braucht, einen Partner, der ihm gleich ist oder überlegen, der ihn anfeuert, der ihn begeistert, dann wird man erst wissen, welch' herliches Talent man da entdeckt, und er selbst wird mit Freude und Verwunderung gewar werden, daß dieser Beruf doch der rechte ist und derjenige, der ihm alle Befriedigung bringen wird und alles Glück."
Aber das wird nicht geschehen, Elvira; Minna teilt mir in ihrem lezten Brife mit, daß vom ersten Mai, also seit einigen Tagen schon sein Engagement zu Ende ist, und daß er kein neues mehr acceptiren wird."
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Elvira war aufgestanden, und den Kopf mit schelmischer Grazie neigend, sagte sie mit einem feinen Lächeln: So? Und ich kann dir hinwieder mitteilen, daß Friz vom Impresario Marchetti für ein Probegastspiel bereits gewonnen ist, daß er hierherkomt, in einigen Tagen, hierher nach Venedig , und daß du warscheinlich das Glück haben wirst, uns zusammen auf der Büne zu sehen und zu hören."
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Marie schlug in ungemessenem Erstaunen die Hände zusammen. ,, Aber ist das möglich? Und Minna?"
Minna wird Ursache haben, sich darüber am meisten zu freuen," sagte Elvira mit dem herzlichen Ton der Ueberzeugung. Wenn ihr Friz hier gefällt, wenn er für die italienische Staggione engagirt wird, wenn er mit uns nach London und Petersburg get, so fehrt er mit Geld und Ehren so reich beladen zurück, daß für ihre dauernde Vereinigung kein Hindernis mehr existiren wird." Sie hatte sich der Tür zugewant und reichte nun der Schwester zum Abschied die Hand.
Diese wollte sie noch zurückhalten, sie wünschte noch weiteres über diesen neuen überraschenden Fall zu hören, aber Elvira ließ sich nicht aufhalten. Sie durchschritt rasch die Sala und erklärte lachend, daß sie selbst nicht mehr wisse, und dieses erst seit heute morgen, seit dem Besuche des Impresario und aus seinem Munde selbst. Marie geleitete sie bis zur Gondel, welche Signora Bis anca vor den Portalstufen erwartet hatte, und sie kehrte dann in die Küche und zu ihren häuslichen Verrichtungen zurück.
Domenika saß indes an der Wiege der Kleinen. Sie schwang ihren Fächer und fächelte sich Külung zu, bis ihre Bewegungen allmälich langsamer wurden, das zerraufte Köpfchen vornüber gegen die Brust sank, und sie, sowie ihre Pflegbefolne, in einen sanften Schlummer verfiel. Ein heftiges Klingeln weckte sie daraus. Sie hatte die Gnade, sich diesmal selbst hinaus zu begeben, um zu sehen, was es gäbe. Vielleicht erkante sie die Art des Läutens. Sie trat auf den Balkon. Sie hatte sich nicht getäuscht, es war Cencio, der hübscheste Facchin, den man sich denken kann, ein Apollo in Lumpen. Domenikas Augen leuchteten auf, als sie ihn unter dem Balkon auf der Straße erblickte, und ihre weißen Zähne blizten ihm unter einem breiten Lächeln entgegen.
Cencio, was bringst du? Hast du etwas für mich, he? Du weißt, daß ich Orangen sehr gern mag, auch Feigen; sie sind noch nicht reif, aber das tut nichts, ich esse sie grün, willst du sie mir heraufwerfen, oder soll ich zu dir hinabkommen, he?"
Cencio schüttelte sein schwarzlockiges Haupt und die Hand in die Seite stemmend, drapirte er zugleich in malerischester Art seine alte, nur übergeworfene Jacke über Arm und Schulter. " Ich will hinauf," sagte er kurz.
" Die Padrona ist zu Hause, wäre es nicht besser, ich käme hinunter?"
" Hinunter mußt du auf jeden Fall."
, Es ist war, ich hole den Schlüssel." Sie winkte ihm verheißend mit beiden Händen zu und lief zurück. Aber sie suchte nicht sogleich die Treppe zu gewinnen. Sie trat noch vorher in das Stübchen, wo ihr Bett und ihre Truhe stand, und wo ihr kostbarstes Eigentum, ein kleiner Spiegel, aufgehängt war. Sie guckte rasch hinein. Das arg verwirrte Haar, das sie wol viele Tage nicht gekämt hatte, und das in unzäligen krausen Löckchen ihr Stirn und Scheitel umflatterte, schien ihr keinen Kummer zu machen, und in der Tat, wenn man über die verschiedenen Flöckchen hinwegsah, die sich darin verfangen, es entstellte sie nicht, aber ihre Silbernadeln felten darin, und sie bemüte sich nun, in hastigster Eile, dieselben stralenförmig in den verfilzten Zopf zu stecken. Dann zog sie noch die auf eine Gummischnur gereihten unächten Korallen über den Kopf und um den Hals und hierauf ihren Fächer ergreifend, stürzte sie wie eine Rasende hinunter, und öffnete das Pförtchen.
Cencio empfing sie mit einem rauhen Wort, er zeigte sich unwirsch über ihr langes Ausbleiben. Als er aber die blizende Krone auf ihrem Haupte erblickte, brach er in ein lautes gutmütiges Lachen aus.
" Da seht die Närrin," rief er, sie muß sich wie zu einer Hochzeit schmücken, ehe sie zu mir herunter fomt, diavolo, diavolo! willst du mich denn ganz in Flammen sezen? aber heute hättest du dir's ersparen können, ich habe heute keine Zeit, den Amoroso zu machen." Sie warf trozig die Lippen auf.
,, Eitler Tor, was bist du mir? nichts! geh! Deinetwegen käme kein Kamm und keine Nadel in meinen Kopf, aber es ist Speisestunde, weißt du, und der Padrone hält darauf, daß ich mich dann sauber und schön präsentire, weißt du, eh!"
" Ich bedaure ihn, daß er das Vergnügen deiner Schönheit heute nicht wird genießen können," fur Cencio im lustigsten Spotte fort, der die Kleine noch mehr stachelte, aber er komt heute nicht nach Hause."
" So, er tomt nicht, und warum komt er denn nicht?" " Das werde ich deiner Padrona sagen."