Mitte März fällt der Streich auf die Hebertisten— die Sünder nach links. Vierzehn Tage später fällt er auf die Dantonisten— die Sünder nach rechts. Noch einen Blick in die Idylle! Es ist der lezte.— Spät abends am 30. März 1792(9. Germinal) sizt Camille in seinem Zimmer und schreibt. Ihm gegenüber Lucile, heiter und frisch wie ein achtzehnjäriges Mädchen, mit irgendeiner Hausarbeit beschäftigt, bald nach dem geliebten Mann schauend, bald nach dem geliebten Sönchen, das in seinem kleinen Bett schläft. Ein Bild der Ruhe und des Glücks. Da nahen sich schwere Schritte, von der Treppe ertönt Waffen- geklirr. Lucile, Camille schrecken auf. Sie haben's begriffen: die Idylle ist zu Ende. Die Abgesanten des Konvents sind an der Tür. Camille, rasch gefaßt, öffnet ihnen; er umarmt sein Weib, das im Uebermaße des Schmerzes keine Tränen hat, küßt den kleinen Horace zärtlich, aber ganz sacht, daß er nicht aufwacht. Und fort get's. Wohin? Bor das Revoluttonstribunal. Und vom Revolutionstribunal füren alle Wege zur Guillo- tine.-- Wie Lucile die Nacht zugebracht hat— wir wissen es nicht. Sie lebte in dem Mann ihrer Liebe. Sie mußte ihn retten oder sterben— das war der einzige Gedanke, dessen sie fähig war. Aber gab es eine Möglichkeit der Rettung?—— Am andern Tag erhielt sie von Camille einen Bris aus dem Luxembourggefängnis. „Meine Lucile ," schrieb ihr der Todgeweite,„meine Lucile, meine Vesta, mein Engel! Das Schicksal fürt in dem Gefängnis meine Augen nach jenem Garten, wo ich Dir jarelang mit den Augen gefolgt bin(den Garten des Luxembourg ). Ein kleines Eckchen von Aussicht nach dem Luxembourg ruft mir eine Masse von Erinnerungen an unsre Liebe zurück. Ich bin von aller Welt abgeschlossen(»u ssoret); aber niemals war ich in meinen Gedanken, in meiner Einbildung Dir, Deiner Mutter, dem kleinen Horace näher— so nahe, daß ich Euch mit den Händen zu be- rüren glaube..... Ich werde meine ganze Zeit im Gefängnis damit zubringen, Dir zu schreiben. Denn für sonst nichts brauche ich meine Feder— am wenigsten für meine Verteidigung. Meine Rechffertigung liegt in meinen acht republikanischen Bänden(der , Revolutionen von Paris und Brabantt), das ist ein gutes Ruhe- kissen, auf dem mein Gewissen sanft schlummert in der Erwar- tung des Tribunals und der Nachwelt____ Gräme Dich nicht zu sehr über diese Gedanken, meine teure Geliebte; ich verzweifle noch nicht an den Menschen und meiner Freilassung. Ja, meine zärtlich Geliebte, wir werden uns noch wiedersehen in dem Garten des Luxembourg .... Adieu Lucile! Adieu Daronne(Kosname der Mutter Lucile's, der Madame Duplessis)! Adieu Horace! Ich kann Euch nicht umarmen, aber durch die meinen Augen entströmenden Tränen sehe ich Euch deutlich, und es ist mir, als drückte ich Euch an die Brust...." Man siet, Camille sucht sich und Lucile über das Hoffnungs- lose seiner Lage zu täuschen. Es gelingt ihm aber schlecht. Und die Tränen, mit denen der Bris benezt ist, strafen die Worte der Hoffnung Lügen. Lucile hatte sich inzwischen soweit gefaßt, daß sie Schritte zur Rettung ihres Mannes tun konte. Sie ging diesen, sie ging jenen um Fürsprache an— nirgends fand sie Hülfe, nirgends ein tröstendes Wort. Für Camille Desmoulins eintreten, das hieß den Zorn des Saturn-Robespierre herausfordern, das hieß den Tod heraus- fordem. Was tun? Plözlich schießt ihr ein Gedanke durch den Kopf. Robespierre hat sie einst geliebt, wenigstens ihr seine Liebe versichert; er war ihr und ihres Mannes langjäriger Freund; er war einer ihrer sechzig Trauzeugen und Hochzeitsgäste— mit Ausname Dantons der einzige Ueberlebende. Die andern alle hat— binnen vierthalb Jaren!— die Revolution ver- schlungen. Und Danton stet auf der Stufe zum Schaffot. Und Robespierre ist es, der ihn und Camille hinschickt. Was konte sie von Robespierre hoffen? Einerlei— sie hatte keine Wal. Sie schrieb an Robespierre , rief ihm in brennenden Worten die Vergangenheit zurück, und
beschwor ihn, im Namen der alten Freundschaft, im Interesse der Republik , den besten der Republikaner : Camille, der nur einem Mißverständnis zum Opfer gefallen sein könne, zu retten. Man weiß nicht, ist der Bris abgeschickt worden. Das Konzept hat man später in den Papieren Lucile's gefunden. Abgeschickt oder nicht, Robespierre's Entschluß war gefaßt: er wollte Danton zeigen, daß er„es wagte", und mit Danton mußte Camille fallen. Dieser schrieb am 1. April, um ein Uhr morgens, noch fol- genden Bris an Lucile, der, gleich dem soeben veröffentlichten, noch im Original vorhanden ist, und ebenfalls die Spur vieler Tränen trägt: „Der Woltäter Schlaf hat mich für eine Zeitlang von meinen Leiden befreit. Man ist frei, wenn man schläft____ Der Himmel hat Mitleid mit mir gehabt. Noch vor einem Augenblick sah ich Dich im Traum; ich umarmte und küßte Euch der Reihe nach: Dich, Horace und Daronne, die bei uns war. Aber unser Kleiner hatte ein Auge verloren durch eine Erkältung, die sich darauf geworfen, und der Schmerz über dieses Unglück hat mich auf- geweckt. Ich fand mich in meinem Gefängnis. Der Tag fing an zu grauen. Ich erhob mich, um mit Dir zu plaudern und Dir zu schreiben. Aber die Einsamkeit, und als ich die Fenster öffnete, der Anblick der abscheulichen Gitter, die mich von Dir trennen— das war zuviel; meine Festigkeit schwand, ich fing an zu schluchzen und rief in meinem Grabe: Lucile, Lucile! O meine teure Lucile, wo bist Du?(Hier zeigt der Bris die Spur von Tränen.) Ich habe in der Wand meiner Zelle einen Riß entdeckt: ich legte mein Or daran und horchte. Ich hörte die Stimme eines Kranken, der Schmerzen litt. Er ftagte nach meinem Namen. Ich nante mich. ,O mein Gott!' rief er aus, als er den Namen hörte, und fiel auf das Bett zurück, von dem er sich erhoben hatte. Ich erkante deutlich die Stimme Fabre d'Eglantine's (des bekanten Dichters, von dem die Nomenklatur des ftanzösischen Revolutionskalenders herrttrt). ,Ja, ich bin Fabre,' sagte er mir. ,Aber du, wie komst du her? Die Contre- revolution ist also gemacht?'—— O meine teure Lucile, ich wurde dazu geboren, Verse zu machen, die Unglücklichen zu ver- leidigen, Dich zu beglücken____ Ich hatte eine Republik geträumt, die von jedermann angebetet wurde. Ich hatte es nicht für möglich gehalten, daß die Menschen so wild und so ungerecht sind. Wie konte ich denken, daß ein par Scherze in meinen Schriften, gegen Kollegen, die mich herausgefordert, die Erinnerung an meine der Republik geleisteten Dienste auslöschen würden. Ich mache mir kein Hehl, daß ich als Opfer meiner Scherze und meiner Freund- schast für Danton sterbe____ Meine Lucile, mein süßes Herz'"), mein Huhn von Cachant*")! Ich flehe Dich an, bleibe nicht auf dem Zweig sizcn; rufe mich nicht mit dieser klagenden Stimme, sie zerreißt mir das Herz in der Tiefe meiner Gruft. Kraze die Erde auf für Deinen Kleinen, lebe für unfern Horace, sprich ihm von mir! Du wirst ihm sagen, was er jczt nicht verstehen kann, daß ich ihn sehr geliebt hätte! Troz meiner Pein glaube ich, daß es einen Gott gibt. Mein Blut wird meine Fclcr, die Schwächen der Menschheit, abwaschen; und was Gutes an mir war, meine Tugenden, meine Liebe für die Freiheit— Gott wird es betonen____ Ich werde Dich eines Tags wiedersehen, o Lucile! Und bei meinem Abscheu vor dem Schlechten— ist der Tod, der mich von dem Anblick so vieler Verbrechen befteit, ein so großes Unglück?____ Lebe wol, Lucile, meine Lucile, meine teure Lucile! Lebe wol, Horace, Daronne! Lebe wol, mein Vater! Ich sehe die Ufer des Lebens vor mir fliehen. Noch sehe ich Lucile! Ich sehe sie. meine Heißgeliebte! Meine gefesselten Hände umarmen Dich und mein vom Rumpfe getrenter Kopf läßt seine sterbenden Augen noch auf Dir ruhen." Der arme Camille! Seine„Scherze" und Späße sind ihm verhängnisvoll geworden. Robespierre , die„wandelnde Formel", verstet keinen Spaß und keine Späße.— Es ist vorbei mit den Scherzen und Spähen. Der„Prokurator der Laterne" hat keine Hoffnung mehr, auch nicht mehr die Kraft, Hoffnung zu heucheln. Ein herzzerreißenderer Bris ist nie geschrieben worden.—
*) Im Original heißt es man bon I.oulou! Das Wort Lulu ist aber für uns so lächerlich geworden, daß sein Gebrauch an dieser Stelle den ganzen Eindruck verderben würde. Auch Wörter haben ihre Geschichte. ♦*) Im Tors Cachant hatte Frau Duplessis ein Landgut, das sie mit Camille und Lucile oft besuchte. Bei dem lezten Besuch war ihnen ein Huhn aufgefallen, das seinen Hahn verloren hatte, und Tag und Nacht, auf einem Zweig sizend. Klagetöne ausstieß.