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zu schaffen, Sie unterwült und aufreibt, wenn Ihr Talent und| jagte. So gern er es auch gewollt, er vermochte ihm nichts anall' die Schwungkraft Ihres Geistes daran zugrunde get?"
,, Wer frägt darnach, und was liegt auch daran!" sagte er mit noch wehmütigerer Bitterkeit.„ Aber ich werde wenigstens feine Pflicht verlezt haben."
Sie schüttelte den Kopf.„ Dies Aufgeben der eignen persönlichen Glückseligkeit ist nicht recht, denn es ist nicht natürlich." Er sah fast erschreckt auf und in ihre Augen. Sie hatte es ausgesprochen, was er sich bisher nicht selber eingestehen wollte, daß er seine Glückseligkeit aufgegeben, freiwillig seiner Ansprüche auf Lebensglück sich entäußert, weil sie unverträglich schienen mit seinen Pflichten. Sie hatte es ausgesprochen, sie wußte, wie es mit ihm stand, sie hatte Teil an seinem innern Leben, sie verstand sein Fülen, sein Bedürfen, indes seine Frau kein Auge und fein Verständnis dafür hatte. Sie merkte es garnicht, daß er leide, daß die Kleinlichkeit und Misgunst seiner Verhältnisse auf seine Bestrebungen zersezend wirke, und in ihrer gutmütigen Ein falt pries sie sich selber glücklich und ihn. Er hatte die Hand Juanna's ergriffen
und fast trampshaft drückte er sie in der seinen.
„ Fassen Sie Mut," sagte sie mit einem schönen Ernst,„ Sie werden nicht nach Siam gehen, wol, ich begreife das, aber suchen Sie Sich nur dieser Atmosphäre der Einförmigkeit, der UnLust zu entziehen, die schwer auf Ihnen lastet. Sie sind ein Mann, Sie müssen die Kraft dazu haben."
Er wollte antwor= ten, aber der Eintritt Ernesto Giuliano's hinderte ihn. Fast unbewußt rückte er seinen Stul, den er dicht neben den Juanna's herangezogen, etwas hinweg, aber dem eifersüchtigen Blick des jungen Sizilianers war dieses Manöver nicht entgangen. Eine Röte des Zorns stieg in sein dunkles Gesicht und seine schwarzen Augen begegneten funkelnd und drohend
TF Zimmermann Liber
zuhaben. Depauli galt als ein Freund des Hauses, er zeigte sich in seinen Besuchen aber ziemlich zurückhaltend und erschien gewönlich nur an den Empfangsabenden der Familie, die von zalreichen Freunden und Bekanten frequentirt wurde. Dagegen konte er selbst als Bräutigam nichts einwenden, aber er merkte es wol, daß er und Juanna sich gegenseitig anzogen, daß einer Teil hatte an dem geistigen Leben des andern und daß sie sich somit näher standen, als er und sie es auch nur eine Stunde gewesen.
Mama de Vita hatte sich zu ihm gesezt und sie versuchte ihn aufzuheitern, sie erzälte ihm mit aller Umständlichkeit von ihrem japanischen Samen, den sie für die Zucht von Seidenraupen vor zwanzig Tagen angesezt habe, drüben auf Murano , auf ihrer Vigna, wo sie für die Zucht ein altes Nebengebäude ihrer Villa adoptirt habe; und die Würmchen seien nun ausgekrochen, in großer Anzal, und sie befänden sich gegenwärtig in der zweiten Häutung, aber eine einzige kalte Nacht könne all' die kleine, süße Brut vernichten. Er antwortete immer nur mit einem grimmigen Si, si, si", und auch
Europäische Flamingos.( Seite 396.)
dem ernsten und wieder völlig ruhigen Blick des Deutschen . Er begrüßte die Mama zuerst, hierauf die beiden jungen Damen und warf sich dann etwas ungestüm in ein kleines Fauteuil, ziemlich entfernt von seiner Auserwälten.
Ernesto Giuliano war ein hochgewachsener, breitschulteriger Mann von kaum dreißig Jaren, mit einem gewaltigen Nacken, nach welchem das rabenschwarze, krause Har tief hinuntergewachsen war, das in seiner überwuchernden Ueppigkeit ihm auch die Stirn bis gegen die Brauen umschattete; ein breiter, schwarzer Bart umgab die unteren Partien des gradezu schönen Kopfes, der etwas von dem traditionellen Gepräge eines Mauren besaß. Alles deutete bei diesem Manne auf große physische Kraft, und sein heftiges, ungestümes Temperament gab dieser törperlichen Ueber legenheit noch erhöten Nachdruck; aber jene Energie, jene Kraft des Willens, die alles vermag und alles besiegt, und die ein Produkt unsrer geistigen Ueberlegenheit, unsrer Intelligenz ist, schien er nicht zu befizen. Er fülte dies vielleicht, er fülte es in dem Augenblick, wo er sich mit einer andern Intelligenz zu messen hatte, und das machte ihn dann trozig und barsch und tat seinen Sonstigen guten Eigenschaften Eintrag. Auch jezt saß er finster und verdroffen da und eine seiner großen Hände wülte in seinem Barte. Nur mit Mühe meisterte er den eifersüchtigen Groll gegen den deutschen Maler, der ihm das Blut heftiger durch die Adern
KA.CZIMMERMANNE
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als sie ihn fragte, wie viel Grade es draußen in der Lagune haben könne, erhielt sie dieselbe Antwort.
Um Juanna's Lippen zuckte es boshaft, aber sie wante sich nun an den Unwirschen mit der heitersten Unbefangenheit. Auch Elena war mit ihrem Pintsch vom Fenster wieder herbeigekommen, und ihre muntere Plapperhaftigkeit war es, die Ernesto das erste Lächeln entlockte. Er beteiligte sich nun auch am Gespräch, das naturgemäß bald das interessanteste Tema berürte, das in diesen Tagen als ein Ereignis betrachtet, alle fashionablen Kreise Venedigs beschäftigte: das Auftreten bon Signora Bianca, der Primadonna, die kürzlich in Mailand Furore gemacht.
Elena versicherte, fie müsse sie hören, und gleich bei ihrem ersten Auftreten, und wenn ihr München feine Loge erhalten werde, so müsse sie sich die Augen aus dem Kopfe weinen.
Signora de Vita fragte wieder und immer wieder, ob denn diese Sängerin wirklich und warhaftig die Schwester von Depauli's Frau sei, und schüttelte auf dessen Bejahung immer noch ungläubig den Kopf. Sie vermochte sich's nicht vorzustellen, wie diese einfache, bescheidene Frau eine Schwester haben konte, die eine Teaterberühmtheit war.
Jezt trat Signor de Vita, von einigen Freunden begleitet, in den Salon. Alles in den Salon. Es war eine magere, sehnige Gestalt, sehr distinguirt, mit einem schmalen, gelblichen Gesicht, das, bis auf einen großen Schnurrbart, rasirt war. Seine Augen hatten den kalten, vorsichtigen Blick des Bureaukraten. Auch er war rasch und heißblütig, wie die ganze Familie, aber durch die langjärige Beamtenlaufban mit ihrer verknöcherten Disziplin war sein ursprüngliches Naturell zurückgedrängt und hatte starren und konventionellen Formen Plaz gemacht.
Er begrüßte alle mit etwas steifem Anstand und drückte Alfred wiederholt die Hand. Als er hörte, daß von der Bianca die Rede war, zog er langsam und würdevoll, nicht one einen lächelnden Seitenblick nach seiner Gattin zu werfen, eine gelbe Logenanweisung aus seiner Tasche und hielt sie ihr vor die Augen.