Diese alphabetischen Hieroglyphenbilder nante ihr Entdecker Champollion phonetische oder Laut Bilder, weil sie nicht einen ganzen Begriff, sondern, wie die Buchstaben, nur einen Schall oder Laut bezeichnen. Freilich lag es auf der Hand und Cham­pollion erkante dies auch sehr bald, daß die ganze Hieroglyphen schrift mit ihren mehr als tausend Bilderzeichen, unmöglich eine rein phonetische oder Lautschrift sei; denn dazu hätten ja wie in dem Alphabet anderer Sprachen schon 25 bis 30 Hieroglyphen bilder genügt. Die Hieroglyphenschrift muß vielmehr, wie bald eingesehen wurde, als eine mit wirklicher und mit symbolischer Bilderschrift vermischte Laut- Schrift angesehen werden, doch so, daß die ersteren beiden Bedeutungen der Bilder fast immer nur zum näheren Verständnis und zur genaueren Verdeutlichung der

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Lautschrift angewendet werden. So wird z. B. hinter dem hiero­glyphischen Wort( in Lautschrift) für Krokodil" noch das wirk­liche Bild eines Krokodils gesezt, hinter dem Wort für, Ceder" das Bild eines Baumes. So wird ferner hinter dem Hiero­glyphenwort für ,, töten" noch ein bewaffneter Arm und ein Messer als symbolisches Bild gezeichnet, so findet sich hinter der Laut­schrift- Wort für König" das symbolische Bild eines Szepters, hinter einem Begriff, der mit Schreiben" zusammenhängt, eine zugebundene Papyrusrolle u. s. w. Zuweilen stet alsdann das symbolische Bild allein( one Lautschrift) für den zu bezeichnen­den Begriff, wie z. B. das Szepter allein für König", ein geöffnetes Auge für Wachsamkeit", ein gehenkeltes Auge für Leben" stet u. s. w. ( Schluß folgt.)

Ein Ritter vom Geist.

Am 21. Dezember 1805 als" Judenjunge" geboren, am 19. April 1881 als Fürer der stolzesten Aristokratie der Erde gestorben, betrauert von England, das in ihm den größten seiner neueren Staatsmänner bewundert, verdient Benjamin Disraeli , Graf Beaconsfield, wenn einer ihn verdient, den stolzen Titel: Ritter vom Geist" ein Titel, den beiläufig er erfunden hat, lange vor dem Roman Guzkow's.

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Ein ,, Abenteurer", ein ,, Emportömling" ist er genant worden: gut! verstet man unter einem Abenteurer den Mann, der, einzig und allein auf sich selbst gestellt, die Welt erobern will und sie erobert dann war er ein Abenteurer, und auch ein Empor­tömling.

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Das englische Sprüchwort: where there is a will there is a way, wo der Wille ist, da ist ein Weg, wäre das geeignetste Motto für eine Lebensbeschreibung Disraeli's .

Sein Großvater war im Jar 1748 aus Venedig , wohin die Familie im 16. Jarhundert wärend der Judenverfolgungen aus Spanien geflüchtet war, nach England übergesiedelt. Die Fa­milie gehörte der Rasse der Sefardim an, d. h. der Juden, die niemals die Länder des Mittelländischen Meeres verlassen haben. Der Vater Benjamins, Jsaak, geboren 1766, machte sich in der Gelehrtenrepublik einen Namen; und da er auch ein ansehnliches Vermögen besaß, so wurde für die geistige Ausbildung des schon früh außerordentliche Begabung verratenden Benjamin alles auf geboten.

In England waren die Juden bis in die Mitte dieses Jar­hunderts von der politischen Laufban ausgeschlossen um dieses Hindernis aus dem Wege des Sons zu entfernen, trat Jsaat Disraeli im Jar 1817 mit ihm zum Christentum über.

Benjamin Disraeli ist aber, wenn nicht dem Glauben, doch den Traditionen seines Volks treu geblieben; er hat mit Stolz semitische Abstammung bekant, und in seinen Schriften jede Ge­legenheit zur Verherlichung der Juden benuzt.

Man könte sagen, er sei in dieser Beziehung geradezu auf­dringlich gewesen, allein, wenn man Disraeli's Stellung bedenkt, den Vertreter der geächteten Rasse inmitten der Vertreter der äch tenden Rasse sich vorstellt, der wird zugestehen müssen, daß das Betonen des jüdischen Standpunkts hoher moralischer Mut war. Eine zeitlang versuchte es Disraeli mit der Juristerei; er wollte Advokat werden und begann die in England üblichen, praktischen Lehrjare. Doch er kam bald von diesem verkerten Gedanken zurück, und beschloß Schriftsteller und Politiker zu

werden.

Kaum 20 Jare alt, veröffentlichte er seinen ersten Roman: Vivian Grey, der das größte Aufsehen erregte und die Aufmerk­samkeit auf den Verfasser lenkte.

Seine politische Richtung ist hier schon angedeutet; sein Wesen scharf ausgeprägt.

Mehrere Jare schrieb Disraeli nichts von Belang. Er reiste viel, studirte die Politik als Wissenschaft und nach dem Siege der Reformbill im Jar 1832 ging er dran, sich einen Siz im Unterhaus zu erkämpfen.

Er hatte keine Partei hinter sich, und, obgleich wolhabend, doch nicht eins jener Vermögen, die eine Macht sind.

Das erste mal fiel er durch. Das zweite mal fiel er durch. Aber er wollte siegen, und schließlich siegte er. Im Jar 1837 wurde er in Maidstone gewält.

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Mittlerweile hatte er sich ein politisches System zurecht ge­zimmert, das ein eigentümliches Gemisch von Radikalismus und Konservatismus bildet und in keine der alten Parteischablonen paßte.

Ein Feuerkopf, brante er vor Begierde, das Unterhaus im Sturm zu nemen. Er rüstete sich zu einer gewaltigen Jungfern­rede. Das Unterhaus, dem vor seinen kezerischen Ansichten graute, und in dem er gar manchen persönlichen Feind sizen hatte- denn er war zu jener Zeit in der Polemik ebenso boshaft wie wizig-hatte sich vorgenommen, den Judenjungen" nicht an­zuhören. Und nun entstand ein Kampf zwischen Redner und Haus. Das Haus lacht, spricht, wirft ihm beleidigende, höhnende, verächtliche Zwischenrufe an den Kopf.

Disraeli redet laut und lauter.

Bulezt siegen die vielen über den einen. Er kann den Lärm nicht durchdringen. Wütend sezt er sich nieder mit den Worten:

Ich wundere mich durchaus nicht über die Aufname, welche Sie mir bereitet haben. Ich habe manches mehrere male an­fangen müssen, und ich habe meistens meinen Zweck erreicht. Ich seze mich jezt, aber die Zeit wird kommen, wo sie mich hören werden!"

Und sie kam.

Seine Ideen über Staat und Gesellschaft, über Regierung und Politik drangen in immer weitere Kreise. Unerbittlich wurde die Holheit des Liberalismus und die Heuchelei des Whigtums von ihm gegeißelt, und die Konservativen merkten bald, daß der hoch­aufgeschossene blasse Mann mit der Denkerstirn und den jüdischen Zügen das Zeug in sich habe, ihren Gegnern gefärlich zu werden. Indes lange graute es ihnen vor dieser unheimlichen Genialität, vor diesem Asischen Geheimnis". Doch sie wurden magnetisch angezogen.

Und der Judenjunge Benjamin Disraeli , der bei jeder Gele­genheit sein Judentum heraussteckte, wurde der Fürer der zer­sprengten Tories.

Ein glänzenderer Sieg des Geistes über die Materie ist nicht erfochten worden.

Um die Größe des Sieges zu ermessen, muß man diese mas­fiven Hühnengestalten des englischen Bodenadels betrachten, denen unsere preußischen Krautjunker, obgleich keineswegs zwerghaft, doch das Wasser nicht reichen, körperlich so wenig, wie an Selbst­gefül.

Daß diese englischen Kolosse, troz ihres sprüchwörtlichen Stol­zes, sich der Fürerschaft des Judenjungen" unterwarfen, war übrigens sicher der gescheiteste Streich, den sie je gemacht.

Denn dieser Judenjunge gab ihnen, was ihnen felte: Ge­danken; und aus den Tories, die ein Mob, eine durch die Re­formbil zersprengte, unorganisirte Masse waren, als er die Fü­rung übernam, wurde binnen eines Jarzehnts eine regierungs­fähige Partei.

Die deutschen Zeitungen sprechen in ihrer Mehrheit Disraeli ernsthafte politische Grundsäze ab. Sehr mit Unrecht.

Wir haben jede Zeile gelesen, zum Teil wiederholt gelesen, die Disraeli geschrieben hat, wir haben seine politische Carriere feit 30 Jaren genau verfolgt fast ein halbes Menschenalter aus nächster Nähe und wir können getrost behaupten: wer Disraeli Ernst und Tiefe abspricht, kent ihn nicht.

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Disraeli ist der erste Staatsmann, welcher die Wichtigkeit der