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sozialen Frage begriffen und die Politik als Gesellschafts-| bringt dies alles vereinigte sich, einen Umschwung der öffent­wissenschaft in Aktion aufgefaßt hat. lichen Meinung herbeizufüren, und bei den allgemeinen Walen Ein Romantiker haßte er die Bourgeoisie, aber er sah troz im Frühjar des vorigen Jares wurde die Torymajorität zer­dem ein, daß die bürgerliche Entwicklung hemmen zu wollen, sprengt und Disraeli mußte das Staatsruder in die Hände seines Wahnsinn wäre. Nur wollte er nicht die Herschaft der Bour- Widerparts Gladstone abgeben. geoisie im Staat. Sein Jdeal war eine Volksmonarchie: die Re­gierung ausgeübt durch den Souverain und das Parlament, und die Arbeiterklasse als Gegengewicht gegen die Mittelklasse( Bour­geoisie) an der Regierung teilnemend.

Namentlich im ,, Coningsby" und in ,, Sybil", den beiden be­deutendsten Romanen Disraeli's, finden wir diese Ansichten be­fürwortet.

Inbezug auf den Chartismus und die Arbeiterbestrebungen hat er einen Radikalismus bekundet, der ihn in Deutschland in den Geruch des Sozialismus bringen könte.

Tatsache ist, daß alles, was seit einiger Zeit in puncto des Staatssozialismus und der Pflichten des Staats dem armen Mann" gegenüber gesagt wird, vor vierzig Jaren zwanzig mal besser von Disraeli gesagt und obendrein auch begründet wor den ist.

Wie groß die Willensstärke Disraeli's war, so leicht wurde es ihm, von etwas abzusehen, was er als Jrtum erkant hatte. Die Schuzzöllnerei z. B., welche er mit zähem Eifer verfochten hatte, so lange er die Freihandelspolitik für eine vorübergehende Verirrung hielt, warf er eines schönen Morgens, als er sich von der Unmöglichkeit der Rückkehr zur Protektion" überzeugt sans façon in die Rumpelkammer und schloß die Türe sorgfältig ab, so daß keiner seiner Anhänger das alte Möbel mehr hervorholen

fonte.

Daß Disraeli eine Reformbill durchgesezt hat, die den eng­lischen Liberalen zu liberal war, erwänen wir nur, um die Un­richtigkeit der gewönlichen Vorstellung: ein Tory sei ein Konser vativer im deutschen Sinn, an einem schlagenden Beispiel nach­zuweisen.

Was Disraeli unter Konservatismus verstand, erhellt aus seinem Wort:

,, Das Ziel eines englischen Staatsmans muß sein, durch die Gesezgebung zu tun, was in anderen Ländern durch Revo­lutionen getan wird."( do by legislation, whatin other coun­tries is done by Revolution.)

Es ist das der Ausspruch eines ächten Staatsmans, der das Wesen und die Pflichten des Staats und der Regierung be­griffen hat.

Die politische Laufbahn Disraelis können wir hier nicht ins einzelne verfolgen.

Nur einiges sei hervorgehoben.

Disraeli war mit seiner Partei öfters in der Regierung und stand zweimal an der Spize der Regierung. Besonders glänzend war seine lezte Premierschaft, in welche der russisch - türkische Krieg fällt.

Es gelang Disraeli , seinem Lande, dessen Einfluß auf die europäische Politik sehr gesunken war, eine gebietende Stellung zu verschaffen und dem Vordringen Rußlands einen Damm zu sezen.

Wie er nach seiner Heimkehr von dem Berliner Kongreß in England gefeiert wurde, ist in frischem Gedächtnis; und in fri­scherem Gedächtnis ist, daß kurz, nachdem er den Gipfel der Po­pularität und des Glückes erstiegen hatte, der jähe Sturz folgte. Das Misgeschick der englischen Waffen in Afghanistan und in Südafrika , das Bedürfnis nach Frieden, die wachsende Unzufrie­denheit mit den Lasten, welche die Großmachtspolitik mit sich

Er tat es mit jenem philosophischen, fast fatalistischen Gleich­mut, der ihn nie verließ, wo er sich vor Unabwendbarem sah. Er resignirte lächelnd, ging nach Haus und vollendete seinen lezten Roman: Endymion, der im November erschien.

Freilich, er tat auch anderes. Er sammelte seine geschlagene Partei, reorganisirte sie so gut, und benüzte mit solchem Geschick die mannichfachen Feler Gladstone's, daß die Möglichkeit eines Ministeriums Beaconsfield wieder aufzutauchen begann.

Beaconsfield heißt er mit seinem offiziellen Namen. Die Königin von England hat den Juden Benjamin Disraeli zum Dank dafür, daß er sie zur Kaiserin von Indien gemacht, in den Adelsstand erhoben und ihm den Titel eines Grafen von Beacons field verliehen.

Anfangs hatte er den Titel für sich ausgeschlagen, und nur für seine Gattin angenommen, die in seinem Leben ein änliche Rolle spielte, wie Carlyle's Weib im Leben des Weisen von Chelsea ."

Frau

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Erst nach dem Tod der wie eine Heilige von ihm verehrten Ende 1873 ließ er sich herab, seinen Namen Ben­ jamin Disraeli mit dem eines Earls of Beaconsfield zu ver­tauschen.

Dreiundvierzig Jare hat er im Parlament gesessen. Dreiund­dreißig Jare war er Fürer der Torypartei und über 14 Jare lang Minister.

Kein Staatsmann der neueren Zeit hat ihn an Geschäftskent­nis, Arbeitskraft und Takt übertroffen, an umfassendem Blick und Weitsichtigkeit hat ihn feiner erreicht.

Als Redner wirkte Disraeli durch Klarheit, Wiz, pointirte Antithesen. Er stockte mitunter im Sprechen, und war an Rede­fluß Gladstone nicht gewachsen, dessen salbungsvolle Rhetorik er indes mit seiner feinen Fronie spielend zu pariren pflegte.

Jezt ist er tot. Und die Tories werden so leicht keinen Nach­folger finden. Einen, der ihn ersezt, gewiß nicht. Das Ge­schlecht der Staatsmänner" von Beruf stirbt aus. Die Pal­ merston , Disraeli haben keinen Nachwuchs. Der eine oder andere, der noch übrig ist, wird ebenfalls keinen Nachwuchs zurücklassen.

Die Neuzeit ist dem Zunstwesen nicht günstig. Auch nicht dem politischen, trozdem dieses hie und da noch in starkem Flor scheint. Die Zunftgeheimnisse der Herren Staatsmänner sind nachge­rade ins Publikum gedrungen, und je höher die politische Bil­dung eines Volkes ist, desto weniger bedarf es der zunstmäßigen Staatsmänner. Amerika hat die wenigsten oder gar keine, rend Rußland die meisten hat.

Ein solcher Zunftsstaatsmann hat einmal gemeint: jeder Deutsche möchte seinen Fürsten haben. Vielleicht etwas richtiger ausgedrückt würde das lauten: Jeder Deutsche möchte sein ei­gener Fürst sein."

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Wir schlagen aber als Variation vor: Jeder Deutsche - und überhaupt jeder Mensch sollte sein eigener Staatsmann sein. Und jeder Mann von Charakter ist es. Doch wir sind noch nicht fertig.

Um das Bild unseres Ritters vom Geist zu vervollständigen, müssen wir noch den Schriftsteller und Dichter Disraeli behandeln. ( Schluß folgt.)

Ueber Ventilation größerer Lokalitäten.

Von H. W. Fabian, Civilingenieur.

( Nach einem vom Verfaffer gehaltenen Vortrage im new- yorker technischen Verein.)

In der neuern Gesundheitspflege spielt die Ventilationsfrage eine Hauptrolle, und hierbei erklärt es sich leicht, daß die öffentlichen Lokale, wie Teater, Konzertfäle, Auditorien und Restaurations lokalitäten in erster Linie berücksichtigt werden, indem hier durch die Zusammendrängung vieler Menschen in einen geschlossenen Raum eine künstliche Lufterneuerung am ersten notwendig wird. Fassen wir für ein derartiges Lokal die luftverderbenden Faktoren ins Auge, so sind zunächst die Menschen in Betracht zu ziehen,

und hierauf nach dem seitherigen Systeme der Beleuchtung mit offenen Gasbrennern, diese Gasflammen, indem derartige Lokali­täten meist nur bei künstlicher Beleuchtung in Benuzung stehen. Die Heizung kann als luftverderbender Faktor in den meisten Fällen außer acht gelassen werden, da die hier in Betracht kom­menden Räumlichkeiten gewönlich mit Centralheizungseinrichtungen versehen sind, welche ihren Feuerungsherd außerhalb des be­wonten Raumes haben. Nach der seither in Gebrauch stehenden