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Ein unbestimtes Zagen, ein lämender Schreck bemächtigte sich ihrer, sie begann zu zittern. Hatte Alfred das gesagt? mit diesem Tonso traurig dumpf? Sie schüttelte sich.

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Es war ein Traum ein Traum! Wenn er frei wäre! Ist er es denn nicht? ich will ihn ja niemals und in nichts beschränken, ach, es war ein Traum ein Traum!

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Sie legte sich auf die andere Seite, und ermüdet, schlief sie sogleich wieder ein.

Am nächsten Morgen dachte sie nicht mehr daran. Sie hatte den Traum vergessen, und sanft und freundlich wie immer, kam sie in sein Atelier, ihn zum Frühstück einzuladen.

Sie traf ihn vor seiner Staffelei. Er hatte einen länglichen Karton aufgestellt, und er komponirte mit flüchtigen Kolenstrichen. Er zeichnete eine mytologische Gruppe, nackte Genien. Er pfiff dabei ein munteres Liedchen, und wie es schien, in bester Laune, ging ihm die Arbeit flink von der Hand.

Marie trat hinter ihn und küßte ihn auf die Wangen. Du darfst den Kaffee nicht falt werden lassen, Fredi," sagte sie mit ihrer sanften Stimme, dann zupfte sie an seinem Kragen herum, und drote ihm scherzhaft mit dem Finger.

,, Du hast doch wieder von deinen feinen Hemden genommen, obwol ich dir eins von der minderen Sorte zurechtgelegt; du bist ein Verschwender, weißt du's, mein Schaz?"

Er wendete sich ein wenig nach ihr um. Marie sagte er heiter und doch ein wenig vorwurfsvoll, du hast ein eigenes Ta­lent, auf den ersten Blick solche Unbedeutendheiten zu bemerken; aber möchtest du nicht einmal, statt auf meinen Hemdkragen, ein wenig nach meiner Arbeit sehen?"

Weshalb?" fragte sie ganz erstaunt.

" Nun, ich dachte, du wärest doch dabei interessirt, und du müßtest mit mir wünschen, daß meine Leistungen warheitsgetreu und wirksam sich gestalten."

,, Gewiß, aber was könte ich dazu tun?"

" Du könntest mir den Eindruck schildern, den sie auf dich her vorbringen. Sieh einmal diese nackten Kinder; du, die du immer ein Kind vor Augen hast, die seine Formen, seine Bewegungen, sein Lächeln studirt hat; du mußt mir sagen können, ob ich in diesen Nachahmungen die Natur erreicht habe."

Marie fah gar nicht auf das Bild, aber sie blickte ihrem Mann voll Zärtlichkeit in die Augen.

Wie könte ich dich korrigiren, Alfred, was versteh ich davon! In meinen Augen ist alles schön, was du tust, und jedes deiner Bilder erscheint mir als ein Meisterwerk; freilich, solange es nicht in den schönen Farben prangt, vermag ich mich nicht zurechtzu­finden und unter diesen Kolenstrichen kann ich mir schon gar nichts vorstellen."

Alfred vermochte eine Geberde der Ungeduld nicht zu unter­drücken.

,, Verdrießt dich das?" fragte sie mit einem lieben Ausdruck und den Mund zu einem Lächeln verziehend ,,, aber warum fragst du mich auch, was köntest du von mir erfaren! und dann, muß nicht jeder immer so arbeiten, wie er es einmal gelernt hat? Aber da du komponirst, so hast du also wieder etwas bestellt be­kommen? ach wie gut ist das, denn sie machte eine Pause, dann sagte sie, indem sie ihn zaghaft etwas von der Seite ansah, es ist dringend nötig, daß wieder Geld in's Haus komt, und bald, bald, Alfred- denn ich habe keines mehr."

Er sah betroffen zu ihr auf.

Du hast alles verausgabt, was ich dir gegeben?" Sie nickte bejahend.

" Aber nicht unnötig, nicht voreilig, glaube mir, ich habe immer nur das Nötigste im Auge, und wenn du in meinen Büchern nachsehen wolltest-"

" Wozu," sagte er, die Stirn runzelnd, ich weiß ja, du ent­behrst selbst noch dabei, aber du irst, wenn du glaubst, ich wäre so glücklich, eine Bestellung erhalten zu haben, nichts dergleichen;

ich nam die Kole in die Hand, weil ein Augenblick der Schaffens­lust über mich gekommen war, weil ich mich angeregt fülte, einem heiteren Gedanken Form und Ausdruck zu geben, weil- ach, es ist vorüber-! ich vermag nichts mehr" er warf die Kole bei Seite. Er sah verstört aus.

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Sie legte den Arm auf den seinigen. Laß es auch lieber," sagte sie begütigend, und komm frühstücken, Domenika hat den Kaffee schon gebracht, er tönte kalt werden."

Er folgte ihr nach dem Wonzimmer.

Marie waltete in sorglichster aufmerkſamster. Weise ihres Amtes als Hausfrau; sie schenkte ein und sie gab ihm das oberste der Sahne, sie suchte ihm das schönste Gebäck heraus und sie erzälte ihm, daß sie den Kaffee frisch gebrant habe, und er müsse des­halb vortrefflich sein.

Alfred trank, und er sein Brot dazu, one zu wissen, was er trant, was er genoß. Sie merkte es.

" Ich habe dich wieder verstimt und verdrießlich gemacht," sagte sie in einem abbittenden Ton. Ich weiß es wol, es macht dich ungeduldig, daß wir so viel brauchen, aber du mußtest es doch wissen Alfred, um um Abhülfe zu treffen, um Geld zu schaffen."

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Woher soll ich es nemen, ich weiß es nicht."

Marie stüzte den Ellbogen auf den Tisch und legte den Kopf in die Hand. Sie nam eine gutmütig beratende und etwas ge= schäftsmäßige Miene an. Ich denke, du wirst eben doch den Antrag des Bilderhändlers annemen müssen, den er dir neulich gemacht hat."

Alfred wurde sehr blaß. Seine Brust hob sich schwer, es war, als wälze sich eine Last auf seine Brust, die er nicht er­tragen könne. Du rätst mir dazu, Marie?" fragte er leise, fast feuchend.

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" Ich weiß, es ist abscheulich wenig, was er dir bietet, sechzig Franks per Stück, aber es sollen ja nur ganz flüchtige Kopien sein, und er meint, du würdest höchstens drei Tage an einer ar­beiten."

Du findest dies in der Ordnung, du hältst es für meine Pflicht, dies anzunemen?"

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Sie blickte ihn mit einem flehenden Lächeln in die Augen. Wenns einmal not tut, Alfred, kannst du's ja auch billiger geben." Seine Stimme wurde noch tonloser. Und du begreifst nicht, Marie, daß durch solche Arbeiten nicht allein mein künstlerisches Renommé vernichtet wird, daß sie mich auch in meinen eigenen Augen zur niedersten Bedeutung herabdrücken? daß dadurch der lezte Rest von Selbstvertrauen, von Selbstgefül in mir erstickt wird?" Er sprang plözlich in die Höhe, und seine Empörung, die er nicht länger niederznkämpfen vermochte, brach in lauter und heftiger Weise aus.

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, Ah, nein nein, du begreifst es nicht, in dir ist kein Funke von Jdalismus, und du" du hast kein Verständnis für meine Gedanken, für meine Ziele wollte er sagen, aber gewaltsam schluckte er die harten Worte hinunter. Der einmal entfesselte Born ließ sich indes nicht so rasch eindämmen und er für nur noch ungestümer fort: ,, Nun gut, gut, ich werde diesen Antrag annemen, ich werde auch dieser Notwendigkeit mich fügen, und sollte ich dadurch moralisch und künstlerisch so tief sinken, daß ich mich nimmer davon erheben kann."

Marie, von so ungewonter Heftigkeit bestürzt und erschreckt, brach in Tränen aus.

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Du brauchst es nicht zu tun, wenn du nicht willst," rief sie weinend ,,, und du brauchst mich nicht zu fragen in diesen Sachen; ich kenne mich da nicht aus."

Als aber nun das Kind zu schreien begann und nach der Mutter verlangte, eilte sie auf dasselbe zu und ihre Gedanken erhielten schnell eine andere Richtung; sie trocknete ihre Augen und sie suchte die Kleine zu beruhigen und in ihren Bedürfnissen ( Fortsezung folgt.) zu befriedigen.

Wunderliche Heilige.

Bilder aus der Kulturgeschichte des elften Jarhunderts. Von Dr. Max Vogler.

I.

Selbst die genaueste Kentnis der Allgemeingeschichte vermag keine richtige und wirklich klare Vorstellung von den Zuständen und vor allem der Anschauungsweise uns ferner liegender Zeit

räume zu geben, weil sie sich eben blos auf die äußeren Ereig­nisse und Begebenheiten richtet, selten aber nur mit den Ver­hältnissen vertraut macht, die das innerste Denken und Empfinden der Menschen von damals bestimten und so erst als der ware