414

Ein erfolgreicher Kampf der Chemie gegen unterirdische Rebenverwüfter.

-

-

Von Rothberg- Lindener.

" So get es fort, man möchte rasend werden! Der Luft, dem Wasser, wie der Erden Entwinden tausend Keime sich­Im trocknen, feuchten, warmen, kalten." So läßt Goethe den Mephisto die unübersehbare, unaustilgbare Zeugungskraft der Natur in all ihren Bereichen kenzeichnen! Und diese Keime, und die daraus entwickelten Organismen beengen dem Menschen das Feld des Daseins, in dem er wurzelt und woher er seine Lebensbedingungen ergänzt; sie konkurriren mit ihm, sie dringen auf ihn ein, sie bedrohen seine Existenz, indem sie ihm Wasser, Luft und Erde nicht selten vergiften. Grade die jüngsten, auf dem Gebiete der Natur so emsig forschenden Jarzehnte haben uns mit einer solchen Unmasse von kleinen pflanzlichen und tierischen Zerstörern bekant gemacht, die uns teils direkt zuleibe zu gehen geneigt sind, teils die zu unsrer Ernärung und unserm Wol­stand notwendigen Haustiere und Kulturgewächse zu vernichten streben, oft mit Erfolg, da eine Vernichtung dieser winzigen Individuen zwecklos ist, sie aber meist unangreifbar sind, sobald sie in Scharen und Massen auftreten, sodaß uns ein ver­zweifelndes Bangen befallen müßte, wenn nicht unsrer in so vielen Fällen diesen Uebeln gegenüber einzugestehenden Onmacht einzelne und immer mehr andere Fälle gegenüber träten, in denen wir von der Wissenschaft auch erfolgreiche Mittel zur Bekämpfung dieser unfaßbar scheinenden Feinde in die Hand bekämen.

-

Ein solcher erfolgreicher Kampf der Wissenschaft gegen ver­derbliches Ungeziefer ist nach den nun vorliegenden, bis sechs Jare zurückreichenden Erfarungen derjenige der Chemie gegen die Reblaus( Phylloxera vastatrix). Als sie zu Beginn des vorigen Jarzehnts, zuerst unsichtbar, in den besten französischen  Weinbaudistrikten als Vernichter auftrat und, rasch unsichgreifend, die Rebkultur vollständig unmöglich zu machen drote, da sie den Ertrag des Weinstods weit unter den Wert der aufgewanten Arbeit reduzirte, da mußten die heimgesuchten Winzer natürlich zunächst ratlos und verzweifelnd dastehen. Selbst das von der alten Schablone und der neuerregten Wut eingegebene, dem Wein­bau als Gewerbe tötlich ins Fleisch schneidende Mittel, die kranken Stöcke auszureißen, zu verbrennen, und dafür neue zu sezen, half nichts, denn den neuen erging es im alten Boden um nichts besser, als den früher dort erbangesessenen Reben. Die Tatsachen der Entdeckung der Reblaus auf den Wurzelstöcken in der Erde, die Mitteilungen über die Erkundigungen der Natur und Lebens­weise dieses Insekts, die äußerlichen staatlichen Maßregeln gegen Verbreitung desselben durch Verkauf und Verpflanzung infizirter Reben, die internationalen Reblauskonventionen all das ist teils aus früheren Mitteilungen in diesem Blatte, teils aus den Tagesblättern in der Erinnerung der Leser.

An ernsthaft gemeinten Vorschlägen seitens Berufener und Unberufener Vorschlägen von zum Teil spaßhafter Naivetät, wie z. B. das Sammeln gut feuchter Cigarrenstümpfe, deren Extrahiren und Begießen der Erde um die Weinstöcke mit der Brühe! felte es nicht, doch wurde wol keiner ernsthaft in Aus­fürung genommen, bis der Chemiker J. Dumas in Paris   das Kaliumsulfokarbonat( eine chemische Verbindung von Schwefel­folenstoff mit Schwefeltalium) als geeignetes Mittel nachwies.

-

Beim Experimentiren mit lebenden Rebläuseu im physiologi schen Laboratorium hatte man zwar schon vorher gefunden, daß der Dampf des Schwefelfolenstoffs die Phylloxera töte. Als aber reiner, flüssiger Schwefeltolenstoff in künstlich angelegten und dann verstopften Bodenlöchern unterhalb der Wurzelstöcke der Rebe angewant wurde, tötete das aus der Verdunstung entstandene Gas, den Boden durchdringend und die Wurzelsasern umspülend, zwar one Erbarmen und ganz gründlich diese Parasiten, aber ebenso unfelbar die Pflanze, welche von ihnen befreit werden sollte. Es kam daher darauf an, den Schwefelfolenstoff in solche Form zu bringen, daß er sich bei größtmöglicher Verteilung im Boden in einer Stärke entwickelt, welche der Pflanze nichts schadet, dagegen die Phylloxera sicher tötet. Diese beiden Bedingungen werden erfüllt von dem von Dumas vorgeschlagenen Präparat.

Das Kaliumsulfokarbonat läßt sich sowol als festes Salz, als auch in Form von Lauge in großem Maßstabe herstellen. Die ersten Versuche damit wurden auf der Weinbaustation Cognac von seiten der französischen   Société nationale im Jare 1874 an­gestellt. Mit einigen Kilogrammen machte man zunächst die

Erfarung, daß die Rebe nicht von der Berürung mit dem Salz oder dessen Lösung leidet, im Gegenteil von dem Kaliumgehalt der Verbindung als düngendem Stoff häufig Nuzen ziet, wärend die Rebläuse   sofort davon getötet werden. Das Kaliumsulfo­karbonat wird einfach auf den Erdboden um die Reben gestreut; der Regen oder künstliche Bewässerung lösen es auf, und sowie die auf der Wurzel schmarozenden Insekten von der Lösung er­reicht werden, sterben sie sofort. Um in schwer geschädigten Gegenden junge Anpflanzungen zu schüzen, zeigte es sich nötig, sowol im Frühjar, als im Herbst die Behandlung mit dem Kali­salz vorzunemen. Bei älteren Rebpflanzungen, deren Wurzeln bereits tief in die Erde gesenkt sind, ist das Kurverfaren gegen die Reblauskrankheit erheblich mühsamer und schwieriger. Hier wird unterhalb des starken Wurzelstockes der Rebe ein Loch aus­gehölt, die nötige Quantität des Reblaussalzes hineingetan, und sobald es vom Boden eingesogen ist, wird Dünger übergedeckt;- eine unendlich mühsame Arbeit, wenn man bedenkt, daß ein Morgen( 4 Hektar) Weinlandes mit durchschnittlich 1000 bis 1500 Rebstöcken bestanden ist, und daß man jeden einzelnen Stock nur mit Vorsicht unterhölen darf, um die zu seiner Existenz ganz wesentlichen Saugwurzeln nicht mehr als unumgänglich zu zerstören. Aber der ungemeine Fleiß und die Ausdauer des Franzosen bei jeder nur irgend Erfolg versprechenden Arbeit haben sich auch hier bewärt, wie sichtbarlich der Verbrauch von Reblaus­salz anzeigt, der von einigen hundert Kilogrammen im Jare 1875, einigen tausend im Jare 1877 bis auf 500 000 Kilogramm im Jahre 1880 sich ausgedehnt hat*). Billig ist das ganze Heil­verfaren durchaus nicht; denn da für die einzelnen Weinstöcke in jüngern und weniger infizirten Pflanzungen doch zu erfolgreicher Behandlung nicht weniger als 50 Gramme des Salzes angewant werden, wärend der Bedarf alter und stark franker Stöcke bis auf 150 Gramm steigt, so ist bei dem hohen Preise des Kalium­sulfokarbonats nicht zu verwundern, daß die Kosten dieses Ver­farens sich auf 250 bis 400 Franken per Hektar belaufen. Diese riesige Ausgabe würde in der Tat sich für jedes andre Kultur­gewächs unerschwinglich erweisen. Im östlichen Europa   kann man ja für dasselbe Geld die Hektare Ackerland erb- und eigen­tümlich kaufen. Es erklärt sich also die Möglichkeit dieser Kur­metode nur daraus, daß eine Hektare guten Weingartens einen verhältnismäßig enorm hohen Wert befizt, der so gut als völlig verloren wäre, wenn der Winzer die Reben ausreißen und dafür Weizen oder auch ein einträglicheres Handelsgewächs bauen wollte. Auch das vielleicht anfänglich einleuchtend erscheinende Verfaren, die infizirten Weingüter nur eine Reihe von Jaren völlig vom Weinstock frei zu halten und, nachdem voraussichtlich das Un­geziefer aus Mangel an Narung verdorben wäre, neue Reben aus gesunden Gegenden einzufüren, würde sich für die Besizer ruinös erweisen, da eine Weinpflanzung vor dem vierten Jare keinen Ertrag, bis zum zwanzigsten einen steigenden bringt, die Rebstöcke aber bis zu hundert Jaren aushalten, sodaß also die Weinpflanzen selbst einen sehr erheblichen Teil des vom Weingut repräsentirten Sapitals darstellen.

Es dürfte nun interessiren, an der Hand von Tatsachen und Zalen die durch Anwendung des Dumas'schen Mittels geschaffene Gesundung oder mindestens Besserung der Lage in einzelnen re­nommirten Weinbaudistrikten Frankreichs   speziell kennen zu lernen. Die am längsten, nämlich seit 3 bis 6 Jaren in Behandlung gewesenen Weinländereien sind diejenigen zu Launac  , Cognac, zu Ludon und ein kleineres Areal zu Mézel bei Clermont- Fer rand. Besonders die Weinpflanzungen zu Cognac waren im Jare 1876 so geschwächt, daß man den Weinbau aufgeben, die Reben ausreißen wollte, denn die Hektare ergab nur noch das gering­fügige Quantum von 15 bis 16 Hektoliter Wein. Nach erfolgter Behandlung mit Kaliumsulfokarbonat aber erhob sich der Ertrag im Jare 1878 und 1879 wieder auf etwa 80 Hektoliter und troz schlechter Reife 1880 auf 75 Hektoliter.

Einer nur zweijärigen Behandlung auf möglichst ungünstigem Boden unterlagen Weinpflanzungen zu la Provenquière. Auch

*) Diese und spätere Balenangaben sind dem Bericht des Herrn Mouillefert an die Académie des Sciences entlehnt und von dieser in den Comptes Rendus, T. XCII, Nr. 5, veröffentlicht. D. V.