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Testaments- Eröffnung. Die diefen Vorgang malerisch behan­delnde Illustration auf Seite 412-13 ist ein Werk L. Bokelmanns, desselben Künstlers, dessen ,, Lezte Augenblide eines Walkampfes wir vor nicht zu langer Zeit an dieser Stelle besprachen. Das Original­gemälde unsres heutigen Bildes ist der Nationalgalerie zu Berlin   ein verleibt und gehört mit zu der Kategorie von Werken, die nicht allein einen sehr woltuenden Kontrast zu den in diesem Tempel der Kunst fich etwas über Gebür breitmachenden Schlachtenbildern abgeben, sondern auch das Beste bieten von dem, was die neuere Kunst hervorgebracht hat. Kriegsgewül, vor allem das moderne, bildlich dargestellt, wird nie in dem fünstlerisch Empfindenden das Gefül der Schönheit erwecken oder fördern. Es ist nun zwar auch ein Krieg, der den Ausgangs­punkt und ursprünglichen Grund zu der auf unserm Bilde vorgefürten Handlung bildet, allein dieser Krieg unterscheidet sich dadurch von dem ge­wönlichen mit seiner periodischen Wiederkehr und fürzern Schlachten, daß er nicht mit truppschen Gußstalkanonen und Mausergewehren gefürt wird,- Neid, Habsucht sind die Motive und die kleinlichsten Chikanen sind die Aeußerungen dieses Streites im kleinen, der in der Gesellschaft im all­gemeinen, aber leider zu oft im besondern unter den Angehörigen einer Familie tobt. So auch hier unter der glänzenden Gesellschaft, die von allen Seiten herbeigekommen ist, um das Erbe des verstorbenen ,, Onkels" Otto Freigang zu teilen. Daß diese Gesellschaft von Verwanten nicht in der schönsten Harmonie lebt, zeigt uns unser Bild nur zu deutlich, aber heute noch vor einer Stunde waren alle von dem einen Gedanken beseelt ,,, ich und kein andrer darf dieses kolossale Vermögen des alten, Sonderlings' besizen." Sie waren darin fast so einig, wie vor langen Jaren in dem kleinlichen Streiten gegen den verstorbenen Sonderling", der damals allerdings für einen ,, tollen Kopf" galt. Erzälen wir die Geschichte. Genanter Otto Freigang war einst der Stolz seiner Familie. Körperlich schön, geistig begabt, machte er schon als vierzehnjäriger Mensch seinen Eltern Hoffnung auf eine ruhmvolle Laufbahn. Seine ersten beiden Universitätsjare vermehrten seinen Fleiß, seine Kentnisse und damit auch den Glauben seiner Verwanten an seine Zukunft. Da mit einemmale gingen alle diese schönen Träume ver­loren. Nicht als ob unser Held lässig im Studium oder lüderlich ge­worden wäre beware! Er hatte früher den Verbindungen seiner Kommilitonen angehört, er hatte gepauft, gefneipt, kurz alles getan, was so ein junger Student nun einmal für unumgänglich notwendig hält, und seine Eltern nebst Basen und Vettern hatten natürlich an dem jungen Saufewind ihre Freude gehabt. Jezt unter der immer offener auftretenden Reaktion erhielten allmälich die sonst so harmlosen studen­tischen Vereinigungen politischen Charakter und suchten eine vater­ländische Bewegung in Szene zu sezen. Otto Freigang war nicht nur dabei, er war sogar einer der sogenanten Fürer. Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei", das war einer der Fundamentalsäze der Gesez­gebung des Staates, dem als Einwoner anzugehören er das Vergnügen hatte, und der Saz war ihm zu oft von den Katedern herab gelehrt worden. Er selbst aber war eine zu ehrliche Natur, um nicht das, was in der Teorie gelehrt wird, auch ins praktische Leben zu übertragen. Als er demnach erleben mußte, wie dieser Saz nicht nur für einen ,, auserwälten" Kreis beschränkt bleiben sollte, sondern wie man sogar einige freidenkende Lehrer maßregelte, da schloß er sich mit dem Feuereifer der Jugend der politischen Bewegung an. Relegation und mehrjärige Festungshaft waren das erste Resultat seines Beginnens, und diesem folgte der gäng liche Berfall mit seiner Familie, die ihm diese ,, Berirrung" nicht ver­zeihen konte. Der empfindlichste Schlag traf ihn jedoch, als das Wesen, welches ihm Treue fürs ganze Leben gelobt, von ihm zurüdwich und später seinem Bruder einer Krämerseele, die beschränkt genug war, sich später eines Kommerzienratstitels zu erfreuen, der sein ärgster Gegner in diesem Streite war, die Hand zum ehelichen Bunde reichte. Das erbitterte ihn und erzeugte einen solchen unauslöschlichen Haß, der jede Aussönung mit seiner Familie unmöglich machte. Als ihm schließlich noch seine aktive Beteiligung an den Ereignissen des ,, tollen Jares" eine lebenslängliche Zuchthausstrafe, wenn nicht noch schlimmeres, in Aussicht stellte, da schüttelte er den Staub seines Vaterlandes von den Füßen und suchte sich ein neues Heim jenseits der großen Wafferwüste". Wie vielen war auch ihm dort Fortuna günstig, und vor nunmehr zehn Jaren kehrte er als mehrfacher Millionär in seine ursprüngliche Heimat zurück, faufte sich das inmitten der Wonungen seiner Verwanten auf einem kleinen Berge liegende Schloß des aus gestorbenen Geschlechts derer von oder zu Ohnewiz und lebte, nachdem er sich seine neue Wonung auf das eleganteste hatte herrichten lassen, einsam und zurückgezogen. Man wußte, wer er war, hörte und sprach von seinem Reichtum und nante ihn, weil er weder mit der Hautevolée der Umgebung noch mit seinen eigenen Familienangehörigen verkehrte, sondern sich auf ein uneigennüziges Unterstüzen der zalreichen Armen der Gegend beschränkte, und im übrigen in stiller Zurückgezogenheit lebte, einen Sonderling. Nur ein ehemaliger Jugend- und Studien­

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freund, ein Doktor der Medizin, der ihm treu geblieben, verkehrt mit ihm oder darf seine Gesellschaft aufsuchen. Da mit einemmale erfärt man, daß der absonderliche Einsiedler vom Berge gestorben ist. Das Leichenbegängnis ist sehr zalreich, vor allem sind die Verwanten des Verblichenen numerisch start am Plaze. Man soll seinen Haß nicht über das Grab ausdehnen," sagen sie; einige Seufzer und eine Portion konventioneller Tränen beweisen den edlen Grundsaz. Aber im stillen denkt jeder für sich, ob wol auch der alte Sonderling so gedacht haben mag? Wenn er aber gegen uns, seine Brüder und Schwestern wirklich keine versönliche Neigung hegte, diesen uns unerklärlichen Haß kann er unmöglich auch gegen unsere Kinder geltend machen!" So kalkulirt man und stüzt sich schließlich auf das treffliche Erbrecht, das doch nach den Anschauungen des Philisters gänzlich unnüz wäre, wenn es nicht wenn nicht gar sehr oft jemandem unverhofft zu hie und da unverdientem Erbe verhülfe! Genug, unter allem möglichen Hoffen und Raten ist der wichtige Tag der Testamentseröffnung herangekommen, alle, die da glauben, ein Anrecht auf das Vermögen des Verstorbenen zu haben, sind rechtzeitig in dem Salon Freigangs versammelt, und nun, lieber Leser, sieh dir die zalreiche Gesellschaft genau an, und dann Sieh sage mir, ob alle Hoffnungen in Erfüllung gegangen sind? da links in der Fensternische den Kommerzienrat und sein vis- à- vis, sieh die Dame im Vordergrunde am Arme des seine Tochter, Herrn, schau die übrigen mit wenigen Ausnamen an und du wirst Enttäuschung. Fast starr vor Enttäuschung die nichts finden als einen, schadenfroh lächelnd die Dame da links in der Ecke über den Miserfolg der Schönen im Vordergrund: Die hatte sich nun sicher Und doch sind die schon als reiche Erbin gedacht, und nun berufenen Erben alle gleich bedacht worden, keiner ist leer ausgegangen. Jeder soll eine kleine Erinnerung an mich haben," jagte Dtto Freigang zu seinem Freunde, dem Doktor Brand, und jeder hat auch heute dieses aber wo bleiben die Millionen, das wichtigste Geschenk erhalten,

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Objekt? Nun, das kleine, unschuldige Mädchen im Mittelpunkt, sie kann zwar heute keinen Aufschluß darüber geben, aber sie ist die Glück­jezt liche, ist Universalerbin des so bedeutenden Vermögens. Sie eine elternlose Waise, als Pflegekind aufgenommen von der vor ihr ist die Enkelin einer Tante des Erblassers, die seiner­sizenden Dame zeit unter ärmlichen Verhältnissen lebte und deswegen von ihren reichen Verwanten nicht gekant wurde. Sie war aber die einzige, welche Otto Freigang, als er enterbt und verstoßen aus dem Vaterhause ging, mit ihren schwachen Mitteln unterſtüzte und, was ihm mehr galt, ihm eine mütterliche Freundin blieb. Mit der Klausel, welche ihrer Entelin mit einem Schlage zu einem der größten Vermögen in der Umgegend ver­hilft, hat demnach nur der Testator einen schönen Akt der Wieder­vergeltung geübt. Und es erzeugt entschieden ein angenemes Gefül, daß der kleine, sich um die glückliche Erbin schließende Kreis seine Freude über diese Wendung deutlich ausspricht. Selbst die neidischen Gesichter der beiden Frauen im Hintergrunde sind nicht imstande, diese Stimmung zu beseitigen, und wir gehen befriedigt über diesen Abschluß von dannen. Ob die andern auch? Die Aeußerungen über den Toten, wie: herzloser Mensch", extremer Ker!" ,,, aus lauter Freisinnigkeit ist er übergeschnappt" u. 1. f. u. 1. f. beweisen am besten, daß die heute Morgen so gehobene, erwartungsvolle Stimmung auf dem Gefrierpunkt angelangt ist. Sollen wir noch etwas zum Lobe des vortrefflichen Bildes sagen? Es ist wol überflüssig, das Werk spricht für sich selbst, und wir raten jedem, der Berlin   besucht, sich das Original anzusehen, er wird dann finden, daß die Wirkungen des Kolorits sowie die der Beichnung noch viel schönere sind. Die feine psychologische Beobachtungs­gabe des Künstlers sowie seine geschickte Massenverteilung, seien es nun Figuren oder architektonische Gliederungen und dekorative Ausschmückung, zeigen unstreitig auch der treffliche Holzschnitt.

Aus allen Winkeln der Beitliteratur.

nrt.

Ein Gedicht gegen die Pfaffen. Ein würzburger Gedicht aus dem Ende des 14. Jarhunderts also ungefär hundert Jare vor der Geburt Luthers   entstanden

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lautet:

Der Pfaffen wollen wir sein entladen, Denn die Mönch' und Pfaffen

Haben ja sonst nichts zu schaffen,

Als mit Weibern.

Wir wollen sie aus den Klöstern treiben Und daraus nemen all' ihr Gut.

So mögen wir werden wolgemut.

Freilich, der Adel komt in diesem Gedichte nicht besser weg. Es heißt darin weiter: Der Edeln wollen wir sein entladen, Des Kriegs sie müssen unterliegen, Wir wollen sie fahen alle,

So leben wir mit freiem Schalle.

lb.

Inhalt. Herschen oder dienen? Roman von M. Kautsky( Fortsezung).- Ein erfolgreicher Kampf der Chemie gegen unterirdische Rebenverwüfter, von Rothberg- Lindener. Wunderliche Heilige. Bilder aus der Kulturgeschichte des elften Jarhunderts, von Dr. Max Vogler Harmlose Blaudereien und Geschichten( Fortsezung). Testaments- Eröffnung( mit Illustration). ( Fortsetzung). -Der Froschmäusekrieg ( Schluß). Aus allen Winkeln der Zeitliteratur: Ein Gedicht gegen die Pfaffen.

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Verantwortlicher Redakteur: Bruno Geiser   in Gohlis  - Leipzig  ( Möckernsche Straße 30d). Expedition: Färberstr. 12. II. in Leipzig  . Druck und Verlag von Franz Goldhausen in Leipzig  .