vorhin sahen, hatte untergehen müssen, war in den Korps in trasser Weise wieder zum Vorschein gekommen. Er konte auf die Dauer auch hier sich nicht mehr halten. Die Füchse und jungen Burschen entzogen sich, so oft und soviel sie vermochten, dem drückenden Regime der älteren Korpsburschen; die Korps­kneipen" wurden leer; die alten Herren sahen sich vereinsamt. Sie wollten wol anfangs die alte Herschaft mit doppelter Strenge zur Hand nehmen. Sie verdarben noch mehr.

In den Korps herschte Anarchie.

Das studentische Leben war freier geworden.

So war es in Göttingen ; so oder änlich war es wol auf den meisten deutschen Universitäten, als ich zu Michaelis 1817 das Universitätsleben überhaupt verlassen, in das" Philisterium" zurückkehren mnßte, um in der Heimat mein Examen zu machen, preußischer Auskultator zu werden, in dem preußischen Justiz­dienste meine weitere Karriere zu verfolgen.

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Wärend ich in Göttingen studirte, war meine Heimat, die Stadt Wiedenbruck , mit dem Amte Reckenberg, bisher zu dem Hochstifte Osnabrück und dem Königreich Hannover gehörig, aber überall von preußischem Gebiete enklavirt, auf Grund der Verhandlungen und Verträge des Wiener Kongresses an Preußen abgetreten worden.

Nicht volle fünf Jare später wurde ich zum zweitenmale Student.

Bevor ich davon erzäle, habe ich doch über meine Erfolge jener ersten Studienzeit kurz einiges zu berichten.

Mein Vater war ein sehr ernster und in allem, was Pflicht­erfüllung betraf, ein sehr strenger Mann. Als ich von Göttingen nachhaus zurückgekehrt war, also mein akademisches Triennium vollendet hatte, erklärte er mir sofort am zweiten Tage nach meiner Rückkehr: In vier Wochen wirst du dein Examen machen, bereite dich darauf vor!"

Ich durfte keine Einwendungen haben, hatte keine. Ich nam meine Hefte, nebst ihnen meinen Makeldy( Lehrbuch der Insti­tutionen des römischen Rechts) und meinen Thibaut( System des Pandektenrechts) zur Hand und studirte tüchtig darauflos. Drei Wochen lang sagte mein Vater nichts. Als das Ende der dritten Woche herannahte, bemerkte er mir einfach:

"

Wenn die vier Wochen nicht unnüz verstreichen sollen, so mußt du dich noch heute zum Examen melden. Der Termin würde dir auf heute über acht Tage anberaumt werden!"

Ich meldete mich noch an demselben Tage bei dem Präsidium des Oberlandesgerichts in Paderborn zum Examen. Zwei Tage darauf erhielt ich Antwort, die Vorladung zu dem Examen. Der Termin war genau der Tag, den mein Vater mir vorher gesagt hatte.

Ich begab mich zu ihm nach Paderborn , wurde von zwei alten( Geheimen) Räten, die vor vierzig oder fünfzig Jaren studirt und ihre Institutionen und Pandekten gehört, seitdem aber um die Fortbildung der Wissenschaft des römischen Rechts sich nicht gekümmert hatten, zwei Stunden lang über römisches Recht examinirt, hatte mir den Beifall der beiden alten Herren erworben, hatte also, nach der boshaften Bemerkung eines braven west­phälischen Universitätsfreundes, glücklich die beiden Stunden über standen, für welche allein der preußische Jurist doch eigentlich drei Jare auf der Universität zubringen müsse, und wurde durch Patent des Justizministers in Berlin vom 17. Oktober 1817 zum föniglich preußischen Oberlandesgerichts- Auskultator ernant. Mein Vater war befriedigt; ich war es gleichfalls. Von meiner Ausbildung und Laufbahn im preußischen Justiz­dienste darf ich hier, wo ich nur aus meinem Universitätsleben erzäle, nicht berichten.

Ich erzälte bisher von meinem ersten Universitätsleben; ich gehe zu meiner zweiten Studentenperiode über. Vorher sollte ich vielleicht noch, um der Vollständigkeit willen, von meinen Universitätsfreunden jener ersten Periode sprechen. Allein die alten, lieben Freunde möchte ich gern zu einem Gesamtbilde mir in das Gedächtnis zurückrufen und in einem solchen meinen ge­neigten Lesern sie vorfüren.

Zu Michaelis 1817 war ich von der Universität abgegangen. Ostern 1822 bezog ich die Universität wieder.

Ich stand in dem leztgenanten Jare als Assessor bei dem Land- und Stadtgericht zu Limburg an der Linne. Dieses Gericht fürte den Namen eines Fürstlich Bentheim'schen standesherrlichen Gerichts". Es hatte damit folgende Bewantnis.

Die Reichsgrafen zu Bentheim waren ein altes westphälisches Dynastengeschlecht; waren zur Zeit des deutschen Reichs reichs­

unmittelbare und souverän regierende Herren, ganz mit den selben Rechten und in derselben Stellung wie die Kurfürsten von Brandenburg , Sachsen , Hannover und so weiter. Sie waren auch, wie diese, Mitglieder des deutschen Reichstages; nur fürten sie auf diesem ihre Stimmen nur auf der sogenanten westphäli­schen Grafenbank.

Es war eine ebensowenig edle, wie wenig neue und umsichtige Politik, welche in den Jaren 1803 und 1806 die mächtigeren deutschen Fürsten bewog, mit Frankreich sich zu verbinden, um das deutsche Reich zu zertrümmern, die schönsten deutschen Länder an die Franzosen abzutreten, um dann unter dem Schuze der Franzosen den kleineren und schwächeren deutschen Fürsten Regi­ment und Eigentum zu rauben, sie zu mediatisiren, wie der Name für diesen Raub erfunden wurde.

Ein Raub, ein schmachvoller Raub war es.

Die siegreiche Gewalt findet überall ihre kriechenden Anbeter, sogar ihre närrischen Schwärmer. Auch damals wurde genug über Viel- und Kleinstaaterei geredet, geflunkert und gefaselt. Die Kleinstaaterei sei stets das Unglück Deutschlands gewesen; es müsse endlich ein einziges, ein großes Deutschland werden, das nicht mehr, wie bisher, in seiner Zerrissenheit von den andern Nationen verspottet und verachtet werde, sondern der Welt die Geseze vorschreibe. Ganz so rief man damals, wie man auch in neuerer Zeit fast überall den chauvinistischen Ruf wieder hören mußte.

Die schlimmsten Epidemien sind die politischen.

Und es geschah auch damals genau dasselbe, was wir in neuester Zeit wieder erfaren mußten.

Um das große, mächtige, einige Deutschland zu schaffen, wurde zu allererst Deutschland in Stücke zerrissen. Die besten Stücke, die schönsten und reichsten Länder, die bravsten Stämme wurden an Frankreich abgetreten, an Napoleon Bonaparte ver­schachert, unter dessen Aegide die ersten deutschen Mediatisirungen, die Säkularisationen, stattgefunden hatten, one dessen Erlaubnis die ferneren, die der kleineren deutschen Fürsten und Grafen nicht erfolgen konten.

Immer sprach man dabei von Deutschlands Einheit und Macht, welch' leztere nur durch die Einheit gewonnen und erhalten werden könne. Von der Freiheit des deutschen Volkes aber? Nur ein freies Volf kann ein einiges und ein mächtiges Volk sein.

Die deutsche Einigkeit hatte aus ältester Zeit stets etwas ganz besonderes, eigenartiges.

Die einzelnen deutschen Stämme und Völkerschaften lebten und wonten auf dem deutschen Boden zusammen als gute Nach­barn, als werte Genossen eines und desselben germanischen Haupt­stammes, als gute und liebe Freunde mithin, vor allem als freie Männer. Jeder einzelne Stamm hatte dabei sein besonderes staatliches Leben, seine Verfassung, wie wir jezt sagen würden. Das Wesen aller dieser einzelnen Verfassungen war die Freiheit des Volkes. Die Form, die Organisation, war dabei eine viel­fach verschiedene, wie geographische Lage, Klima, Bodenbeschaffen­heit und andre Verhältnisse und Lebensbedingungen sie hervor­gerufen hatten. Sie war jedenfalls insofern unwesentlich, als die Freiheit des Volkes dadurch nicht beeinträchtigt werden konte. So zusammen bildeten die einzelnen deutschen Völkerschaften das große deutsche Volk: die freie Verbindung, die Konföderation der einzelnen deutschen Volksstämme zu einem großen, deutschen, freien Volfe.

Diese freie Föderation verwanter, freier Stämme zu einem freien Volke ist die Eigentümlichkeit der deutschen Nation, war von jeher die Grundlage und die Bürgschaft ihrer Freiheit, ihrer Größe, muß dies bleiben.

Wir finden sie im kleinen wieder in der kleinen Schweiz . Im kleinen der äußeren Erscheinung nach. Wie großartig in dem Bewußtsein des Volkes und in seinem staatlichen Leben!

Die Schweiz ist in ihrer politischen Verfassung ein Bundes­staat( im Gegensaze zu einem Staatenbunde). Sie ist ein re­publikanischer Bundesstaat; eine Republik , die Eidgenossenschaft, zu welcher fünfundzwanzig Republiken, die einzelnen Kantone ( mit Einschluß einiger Halbkantone) als zu einem einzigen Staats­wesen sich verbunden haben, und zwar in der Weise sich ver­bunden haben, daß jeder einzelne Kanton nur einzelne beſtimte Teile seiner Souveränetät an das Ganze, die Eidgenossenschaft, abgetreten, in Beziehung aller übrigen, nicht ausdrücklich ab­getretenen staatlichen Rechte seine Souveränetät ausschließlich sich reservirt hat.