Sprechen wir nur von der Schule und rangiren wir die Staaten nach deren Leistungen auf dem Gebiete des Schulwesens, wie folgt:

II.

I. Deutschland Schweiz

III. England

Desterreich Holland Vereinigte St. Dänemark

Schweden.

IV. Frankreich u. Italien

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| immer noch die Frage offen, warum und wodurch so viele dem Wahnsinn und der Melancholie verfallen und warum unsere Ci­vilisation solche Geseze des Kampfes ums Dasein, anstatt zu mil­dern, verschärft und in deren Wirkung erhöht. Wozu diente denn auch unser ganzer Fortschritt, wenn er nicht den Menschen be­Portugal. fähigen sollte, gewappnet in diesen Kampf zu ziehen und mit möglichst geringen Opfern und als Sieger aus demselben her­vorzugehen!

V. Spanien

Vergleichen wir nun die Schulländer erster Klasse der Kürze wegen nur mit denen der fünften Klasse, so finden wir, daß auf je 1 million Einwoner z. B.

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Sachsen im Zeitraum von 1856-65 251 Selbstmörder,

Preußen,

Dänemark

123

11

99

"

"

288

" 1

"

17

aufweist, daß aber hingegen Spanien in demselben Zeitraume

zält.

14

"

"

Gewiß zeigt also die Schule keinen, den Selbstmordhang un­serer Zeit beschränkenden Einfluß, und der Vorwurf kann unserer Schule, der deutschen , nicht erspart bleiben, das sie für das Leben zu wenig tut, daß sie viel eher dressirt als erziet. Daß aber die Länder mit besseren Schulen höhere Selbstmordziffern aufweisen als Staaten mit mangelhaften Schulen, wird seine Erklärung später, bei Auffindung der waren Ursachen der modernen Selbst­mordsucht, finden.

Für die vornemlichste dieser Ursachen wird gewönlich der Nie dergang der Religionen und christlichen Kulten angesehen, das Absterben des Christentums, und von diesem Standpunkte aus hat man die mannigfachsten Untersuchungen über das Verhältnis der Religionen zu der Zal der Selbstmörder angestellt und herausfinden wollen, daß gewisse Konfessionen mehr oder weniger vom Selbstmorde abhalten, daß aber in jenen Ländern, wo die Religion am wenigsten Grund und Boden im Leben des Volkes mehr hat, die Selbstmordziffern am raschesten und meisten steigen. Nach diesen Beobachtungen liefert der Protestantismus die zalreichsten Selbstmörder; so kommen nach Morselli im Durch­schnitte auf 1 million Selbstmörder

Griechen Katoliken

40

58

Gemischte Bevölkerung 98 Protestanten

In Desterreich kommen auf 1 million Selbstmörder

Juden Griechen Katoliken Protestanten

190

30

99

100

123

Diese Berechnungen haben nur einen Feler,- sie entsprechen nicht dem tatsächlichen Stande der Dinge. In den Ländern Cen­ traleuropas hat die Religion in den großen Massen den Einfluß auf das Leben verloren, und wenn die Selbstmordziffer bei den Protestanten" sich höher stellt als bei Katoliken" oder Griechen, so liegt der Grund eher darin, daß die protestantischen Staaten gewönlich eine höhere Entwicklungsstufe als die katolischen Länder erklommen haben, obwol dies nicht immer der Fall ist.

Viel richtiger ist die Bemerkung, daß nicht die Konfession, sondern der Grad religiösen Lebens und Fülens in einem ge wissen Verhältnisse zu der Zal der Selbstmorde stet und daß Länder, deren Bevölkerung noch im Banne der Religion sich be­finden, nur wenige Selbstmorde zälen. In der folgenden Tabelle wird der Leser warnemen, daß es in unserem Falle nicht darauf ankomt, was für eine Religion, sondern in welchem Grade die selbe Einfluß auf ein Volk nimt. So zält auf je 1 million Einw. Spanien , ein katolisches Land 17 Selbstmörder, Portugal , Italien Belgien Frankreich , Es stehen also Religion und Selbstmord in einem gewissen Wechselverhältnisse zu einander, und es fragt sich nur, ob die Re­ligion ein Recht besize, den Abfall von ihr als den Grund der Selbstmordmanie unserer Tage anzuflagen.

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13 32

"

"

"

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"

68

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" "

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150

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Darwin nent den Selbstmord ein Züchtungsmittel; die Geistes­franken und Melancholischen werden im Kampfe ums Dasein da­hingerafft, als schwach und untauglich. Für den Zweck unserer Abhandlung birgt diese Erklärung keinen Nuzen; denn es bleibt

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Der Selbstmord als ein Züchtungsmittel, als Episode in dem Kampfe ums Dasein komt allerdings bei uncivilisirten Völkern vor:- bei diesen herscht, wie z. B. bei den Rothäuten Ameritas, die Sitte, daß altersschwache Greise und hülflose Kranke, die an den Zügen ihres Stammes nicht mehr teilnemen können, sich selbst töten. Aber es liegt doch ein gewaltiger Unterschied zwischen diesem ich möchte sagen- primitiven Selbstmord des Bar­ baren und der im goldnen Lichte der modernen Civilisation ge­zeitigten faulen Frucht der Selbstmordmanie;- jene Selbstmörder unter den Rothäuten verüben die grause Tat nur dann, wenn sie nicht mehr leben können; sie fragen sich nicht, ob das Leben des Lebens wert, ob es Gewinn oder Schaden; sie töten sich, weil ihnen die weitere Möglichkeit der Existenz abgeschnitten, sie töten sich, weil man sie anderenfalls töten würde; sie ziehen einfach, nicht das Sterben dem Leben, sondern nur den freiwilligen Tod dem gewaltsamen Tode vor, wie ja selbst heutzutage Europa zal­reiche solcher Greise, die unsere Civilisation, anstatt zu töten, in Armenhäuser steckt, dem langsamen Entbehrungstode daselbst zwischen feuchten Mauern und bei schimmeligem Brot den schneller erlösenden Selbstmord vorziehen.

Aber wie gesagt, Zweck und Ziel unserer Kultur sind andere, und vor allem durchaus praktische, die düsteren Erscheinungen des Kampfes ums Dasein mildernde.

Niemand baut einen goldenen Palast, um darin auf Stroh zu ruhen und das Wesen aller Civilisation bestet einzig in dem Drange nach Verbesserung und Verannemlichung des Lebens. Je höher die Kultur eines Volkes, um desto höher dessen Ansprüche an das Leben, und was den Menschen aus der Tier­heit erhob, war kein etwa von der Natur früher entworfener Plan, sondern des Menschen Streben und Bemühen, nicht allein zu Leben, sondern auch möglichst angenem zu leben. Deshalb ist auch jeder Kampf eines Volkes für Verbesserung seiner Lage und Verfeinerung seines Lebens ein Kulturkampf und umge­kehrt zeigt jede Kultur eine Tätigkeit nach drei Richtungen hin, die alle aber demselben Geseze gehorchen: dem Drang nach einem besseren Dasein. Diese drei Richtungen sind folgende:

1) Das Bestreben, des Menschen Wissen über Zeit und Raum auszudehnen, um beide zu beherschen, d. h. die Wissenschaft. 2) Das Bestreben, das Leben in seiner Vollendung darzu­stellen, d. h. die Kunst.

3) Das Bestreben, die Erde und deren Schäze auszunuzen,

zu verarbeiten und dem Leben dienstbar zu machen, d. h. die

Arbeit.

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Wissenschaft- Kunst- Arbeit, das menschliche Schaffen in einem Worte, haben das eine und gleiche Biel und je klarer dieses Ziel einem Volte wird, um desto fortgeschrittener ist das leztere, um desto höher stet seine Kultur. Mit dem Steigen dieser Kultur, der Verallgemeinung der Wissenschaft und dem da­mit verbundenen Zusammenbruche des alten Volksglaubens, mit dem immer lauter werdenden Rufe nach Schönheit im Leben, steigt auch der Wert dieses lezteren auf der einen Seite rasch und bedeutend, wärend er auf der anderen Seite- als bloßes Bege­tiren entschieden fällt. Das heißt: die Kultur stet heutzutage zu hoch, als daß der Mensch mur einfach leben wollte; er will mit Annemlichkeit leben. Arbeit, Kunst und Wissenschaft haben zwei Jartausende nach dieser Richtung hin gearbeitet und

arbeiten daran weiter.

Man nent unsere Zeit die des Materialismus, und das Wort ist war, insofern man jene Weltanschauung, die in dem Genusse des Lebens den Zweck desselben erblickt, materialistisch zu nennen beliebt. Wir aber stecken noch in den Kinderschuhen des Mate­rialismus und wie Kinder bemerken wir an ihm nur das glän­zende und angeneme, den Genuß, one seine ernste Forderung der Arbeit warnemen zu wollen. Und auf dieser einseitigen und unrichtigen Auffassung des Materialismus berut das schwankende, charakterlose Bild unserer Zeit, die einreißende feige Fahnenflucht vor dem Ernste des Le­bens, die Erscheinung der Selbstmordseuche unserer Tage.