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Berühmtheit. In ihm wurden die schlimsten Verbrecher in schauerlicher Haft gehalten und verließen ihn meist nur, um den Weg auf den Richt­plaz zurückzulegen. Dann gab es für sie nur eine Möglichkeit der Rettung. Bekantlich befand sich auch ein Frauenkloster in Lindau , das sehr reich dotirt war, aber auch große Macht besaß. Die Aebtissin war gefürstet, hatte auf dem Reichstag mit Siz und Stimme und nam ihren Plaz dort ein unter den Fürsten und Herren. Sie hatte und übte auch das Recht der Gnade. Wenn in Lindau ein Verbrecher zum Tode verurteilt war, so durfte er sie anrufen, ihr Botschaft senden und sie durfte, gleichviel ob sie dieselbe empfing oder nicht, Gnade an ihm üben- doch erst auf dem Richtplaz selbst. Im Mittelalter ließen sich die Bürger nicht gern um ein Schauspiel bringen und ein solches war es immer, wenn ein Schaffot aufgebaut und Verbrecher ,, auf dem Schinderkarren" dahin gefaren oder am Strang bis zum Galgen gezerrt wurden. Wenn aber der Zug unterwegs war und das Armensünderglöcklein läutete dann erschien nicht selten die Aebtissin an der Spize eines Zuges von Nonnen vor ihr her wurde auf rotsamtnen Kissen ein blanker Dolch getragen. Dies war das Zeichen der Gnade. Ehrfurchtsvoll machte selbst die roheste Menge den Nonnen Plaz. Dann an der Richt­stätte angekommen, trat die Nonne neben den Henker und zerschnitt mit dem Dolch den Strang, der den Verurteilten fesselte. Von diesem Augen­blicke war er begnadigt, war freier fonte der Stadt und des Landes verwiesen werden aber niemand durfte Hand an ihn legen. Ihm war seine Schuld vergeben.

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Die Stätte, wo einst solche zugleich gräßliche wie weihevolle Dramen sich abspielten, wird jezt durchschwärmt von der eleganten Fremdenschar, die jeden Sommer hier sich niederläßt und Unterkunft findet in den vielen stattlichen, aufs komfortabelste eingerichteten Hôtels und den vielen großen und kleinen Pensionen, die bis zum Schachenbad sich hin­ziehen. Seebäder und Milch- und Molkenkuranstalten, die herliche Luft fräftigen fast jede wankende Gesundheit. Die Lindauer selbst verschwinden fast unter diesem aus allen Nationen kommenden Sommervölkchen. Doch wissen sie es auszunuzen und der Wolstand der Stadt hebt sich järlich, seit das Reisen eine so allgemeine Mode geworden ist.

Seit 1806 gehört Lindau bekantlich zu Bayern . Am blühendsten ist sein Getreidehandel, die Kornkammer der Schweiz . Wie überall in Bayern gibt es auch große Brauereien und ebensowenig felt es an den betreffenden Bierlokalen. Doch tritt diese Liebhaberei nirgend aufdring­lich in den Vordergrund.

Wie man in Aegypten Steinkolen sucht.

Es war an einem Nachmittag im Winter des Jares 1860, als wir in Kairo , in unserem Salon auf dem Divan sizend, den feinsten Mokka schlürfend und Tschibuck schmauchend, uns über die Angelegenheiten in unserem fernen Vaterlande unterhielten. Die neuesten Zeitungen waren furz vorher angekommen. Da meldete unser schwarzer Diener einen Araber auf Besuch an. Man befal ihm, denselben hereinzufüren. Es geschah. Der Araber war ein noch junger Mann von etwa einigen dreißig Jaren mit äußerst lebhaften unruhigen Augen und einem un­gemein verschmizten Gesichte. Nachdem wir uns in der üblichen cere­moniösen Weise des Landes begrüßt hatten, und dem Araber natürlich Tschibuck und Kaffee gereicht worden, entwickelte sich die Unterhaltung alsbald von neuem. Der Araber sprach verhältnismäßig ganz ordentlich deutsch . Er erzälte uns, daß er von der Regierung nach Wien zu seiner Ausbildung in der Medizin und den Naturwissenschaften geschickt worden sei, und sich mehrere Jare in der schönen österreichischen Kaiserstadt auf­gehalten habe, wärend welcher Zeit er allerdings hätte mehr lernen fönnen, als er wirklich getan. Wir kamen dann im Laufe des Gesprächs auf die Zustände Aegyptens , auf die Fruchtbarkeit, und auf seine fast unerschöpflichen Hülfsmittel. Wir alle stimten darin überein, daß es nur einer guten, sparsamen und fürsorgenden Regierung bedürfte, um Aegypten zu einem der gesegnetsten Länder der Welt zu machen. Es fele, meinten wir, dem Lande nur eines: Holz oder Steinkolen, um dasselbe bei der Wolfeilheit der Arbeitskräfte, und bei der Intelligenz und Anstelligkeit der Araber sogar zu einem der ersten Industrieländer zu erheben.

Holz oder Steinkolen!" sagte der Araber. Ja, das ist es, was die Regierung selbst so sehr vermißt und so sehnlich wünscht, wäre es auch nur, weil sie meint, durch Schaffung einer bedeutenden Industrie ihre immer leeren Kassen besser füllen zu können. Ich selbst kann aus ei­gener Erfarung davon erzälen. Die Sache ist folgende:

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,, Es sind ungefär vier Jare, als ich und zwei Freunde von mir, die zu gleicher Zeit mit mir in Wien Studien halber gewesen waren, zum Handelsminister beschieden wurden. Wir vernamen von demselben, daß sich die Regierung neuerdings entschlossen habe, nach Steinkolen suchen zu lassen. Sie zweifle nicht daran, daß es der Kolen genug im Lande gebe. Man habe sich nur noch nie mit dem nötigen Ernste und der hinlänglichen Sachkentnis der wichtigen Angelegenheit hinge­geben. Er, der Handelsminister, hoffe, daß wir in Wien das Erforder liche gelernt, und so wieder gut machen würden, was bei früheren Nach­forschungen gefelt und vernachlässigt worden sei. Er schloß mit einer nur zu deutlichen Drohung, daß wir ja nicht mit leeren Händen zurück­tehren sollten. Nachdem er uns dann noch die Punkte, von denen aus wir unsere Kolenforschungen anzustellen hätten, so ungefär bezeichnet, und uns mit einer bestimten Summe Geldes an den Finanzminister gewiesen hatte, verließ er uns.

Uns war ganz verzweifelt zu Mute. Wir sprachen hierauf noch längere Zeit mit einander über den höchst fatalen Auftrag. Jeder von uns war ebenso besorgt als begierig, was das für eine Kolensucherei geben, und wie das ganze endigen werde. Wir trenten uns, um mög­lichst bald unsere Mission anzutreten. Unsere sieben Sachen, die wir mitzunemen benötigt waren, ließen sich in der kürzesten Zeit ordnen, und so begaben wir uns, voll Resignation und Ergebung, wie es sich für einen Muhamedaner geziemt, fast gleichzeitig in die uns angewie­senen Gegenden. Mir wurde die arabische Wüste gegen das rote Meer hin bestimt; dem zweiten die linke Seite des Nil, und der dritte sollte südlich von uns sein Glück versuchen.

Ich war von vier Dienern, die einige Grabwerkzeuge mitschleppten, begleitet. Nach einer höchst mühesamen Reise kamen wir in dem Revier an, wo ich meine Nachforschungen anstellen sollte. Ich verstand von der Sache soviel, wie meine Diener. Ich hatte auch nicht eine blasse Idee davon, wie das Ding zu machen wäre. Wir gruben aber, bald da, bald dort, ganz auf Geradewol in den geduldigen Boden hinein. Beduinen tamen sogleich mehr als genug zu uns, um zu helfen, sobald sie nur merkten, daß es da für sie etwas geben fönte. Von Steinfolen war aber kein Atom zu finden. So trieben wir uns mehrere Wochen herum. Es war ein trauriges Leben. Wie wird es auch meinen Kol­legen ergehen? dachte ich. Werden sie mehr Glück haben, als ich? Die Armen! Durch ihre Unflugheit ranten sie furchtbar an. Nachdem sie ebenfalls einige Wochen lang vergebens nach Steinkolen gesucht, machten sie sich fast zu selber Zeit wieder nach Hause. Sie erklärten in ihrem Be­richt an ihren Auftraggeber, daß sie troz des eifrigsten Suchens auch nicht ein Körnchen von Steinkolen gefunden, ja, daß es überhaupt keine in den betreffenden Gegenden gebe. Der Minister brauste schrecklich auf. Die Elenden! sie sollen es mir büßen. Wie? Deshalb haben wir diese Hunde von Arabern zu den Franken geschickt? Dazu haben wir's uns soviel kosten lassen, daß sie nicht einmal Steinkolen aufzufinden imstande sind? Auf die Galeeren mit ihnen! Da sollen sie lernen, wie man Stein­folen sucht! Die Unglücklichen hatten ganz außer acht gelassen, wie man sich den Türken gegenüber zu benemen hat. Oder hatten sie vielleicht zu viel von dem Wesen der Franken angenommen? Bei diesen freilich ist es Sitte, je nach einem entschiedenen Ergebnisse der Nachforschung auch ein entschiedenes Ja oder Nein auszusprechen. Anders jedoch bei den Türken. Da soll man sich ja nicht, sei es für oder gegen etwas, entschieden und klar äußern, besonders wenn die Erklärung unangenem sein fönte. Am besten ist immer eine so unentschiedene oder vieldeutige Antwort, daß man schlechterdings nichts damit anfangen, oder alles, was man am liebsten will, daraus machen kann. So wenigstens machte es sich. Statt selbst ein Urteil abzugeben, sante ich einfach einen Haufen beliebigen Schutts und Gesteins ein mit dem Bemerken, ob dieser Er­fund wirklich Steinkolen erhoffen lasse, das könne nur Allah wissen. Diese Erklärung, so nichtssagend sie auch war, half mir vollständig aus meiner großen Verlegenheit heraus. Wenigstens ließ die Gnadenſonne des Ministers auch nicht einen Augenblick nach, auf mich herab zu scheinen, wärend meine Kollegen erst nach längerer Zeit wieder eine Verwendung bei der Regierung fanden. Wir alle aber hatten nur einen Wunsch: daß wir keinen änlichen Auftrag mehr erhalten möchten."

So unser Araber mit dem unruhigen, schlauen Blick.

Bei dieser Gelegenheit erfuren wir auch, daß der alte Mehemed Ali in puncto Steinfolen einmal furchtbar von einem frechen Franken ( unser Araber konte nicht mehr genau sagen, welcher Nation er speziell angehörte) genarrt worden sei. Der unverschämte Bursche ließ dem be­rühmten Pascha einmal um das andere sagen, er habe in der Wüste, ziemlich weit von Kairo , Steinkolen gefunden. In seiner Hochfreude wollte sich der Pascha selber von dem glücklichen Funde überzeugen, und machte in seinen alten Tagen die beschwerliche Reise an den ihm von dem Betrüger bezeichneten Ort. Der Franke ließ in Gegenwart Mehemed Ali's Nachgrabungen vornemen. Und in der Tat fanden sich einzelne Stücke Steinkolen vor. Aber es stellte sich bald heraus, daß das ganze nur Humbug war, daß der Unverschämte nur selbst die Kolen vorher in den Boden verborgen hatte. Weil es ein Franke war, fonte ihm der Pascha nur seinen Unwillen und seine Verachtung bezeigen. Aber wäre es ein Araber gewesen, der ihm diesen schmälichen Schwindel spielte, so wüßte ich, welcher Kopf in den Wüstensand gerollt wäre.

Dr. M.

Erst das Küßchen. Läßt sich zu dem Bilde auf Seite 448 noch viel sagen? Spricht nicht die so reizend dargestellte Szene deutlich ge­nug? Und wer hätte die kleine Handlung nicht selbst im Leben war­genommen? Jeder, können wir kühn behaupten, denn wenn er sich nicht mehr entsinnen kann, daß sein eignes, liebes Mütterchen in diesem Tauschverkehr mit ihm gestanden, so hat er doch sicher beobachtet, wie lezterer zwischen dieser und seinen Geschwistern stattfand oder auch ander­wärts, wenn er Augen zum Sehen und ein Herz für die heiligsten und Unser Kleiner nun ist der Erstling der jungen schönsten Gefüle befizt. Mutter und genießt den Vorzug, das Goldsönchen zu sein, dem gern alle seine findlichen Wünsche erfüllt werden. Er ist aber in dem Alter angelangt, wo er alles, was er siet, ha'm will und das get denn doch nicht so mir nichts dir nichts. Diesmal ist das Objekt nun allerdings für ihn beſtimt und schon hat er sich eiligst in seinem Bettchen aufge­richtet, um es in Bejiz zu nemen. Da aber die weltkluge Mama sehr genau weiß, daß alle Güter dieser Erde einen sehr zweifelhaften Wert

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