547

Stimmung, die eine Folge des Einflusses des jungen Deutschland "| auf seine dichterische Individualität gewesen, überwunden habe. Viel weniger bedeutend sind die Gedichte der Samlung: Nacht und Morgen"( 1851), wenn sie auch im einzelnen manches Schöne und Geistvolle aufweisen. Der Bewegung der Jare 1848 und Der Bewegung der Jare 1848 und 1849 gegenüber verhält er sich darin verurteilend und meist satirisch; er zeigt sich in diesen Gedichten müde und zaghaft und läßt ein volles Verständnis der Zeit und ihrer großen Aufgaben vermissen.

Neben allem diesem veröffentlichte Dingelstedt noch verschie­dene Novellen und Wanderbücher, deren Aufzälung im einzelnen uns jedoch hier zu weit füren würde. Es genüge, noch zu be­merken, daß er mit der Tragödie Das Haus der Barneveldt" auch als unzweifelhaft talentreicher Dramatiker selbständig auf trat und mit diesem Stücke zu Anfang der fünfziger Jare auf den meisten deutschen Bünen Erfolge erzielte. Ende 1867 wurde er als Direktor des Hofopernteaters nach Wien berufen, wo er

dann im J. 1875 die Leitung des Hofburgteaters übernam und ein Jar später in den erblichen Freiherrnstand erhoben wurde. In den ,, Münchener Bilderbogen " und im ,, Literarischen Bilder­buch"( 1878), seinen beiden lezten Büchern, hat er Erinnerungen aus seinem Leben niedergeschrieben; im J. 1877 begannen seine Sämtlichen Werke"( 12 Bde., Berlin ) zu erscheinen.

Karakteristisch für Dingelstedt's Schaffen ist, daß er beinahe auf jedem Gebiete glänzende Anläufe nam, aber dann nur selten planmäßig weiterstrebte, in vielen Fällen vielmehr nur Fragmen­tarisches bot. Es liegt auch dies in der Art seines Lebensgangs, der ihn, in rein äußerlicher Hinsicht, auf eine glänzende Höhe fürte, auf der er nicht einmal recht glücklich gewesen zu sein scheint. Seine Tätigkeit als Bünenbearbeiter Shakespeares bei Seite ge­lassen, hätte er in anderen Bahnen, bei gleichmäßigerer Richtung seines Lebenswegs, one Zweifel noch viel Bedeutenderes, Aus­gereifteres, in sich Abgeschlosseneres und künstlerisch Vollendeteres geschaffen, als wir ihm jezt nachzurühmen haben.

Der Einfluß des Klimas auf den Menschen und seine Gesundheit.

Von Dr. Eduard Reich.

Bei der Eingewönung an neuen Orten komt außer strenger Regelung der körperlichen Diät noch Sorgfalt in der Pflege des Geistes, des Herzens, der Sitten in Betracht. Komme man, wohin man wolle, man vermeide es, den Geist übermäßig an­zustrengen, deprimirenden Gemütsbewegungen sich hinzugeben und sittenlos zu leben. Da der Organismus an die neuen Eindrücke sich gewönt, befindet er sich in einer Art von Krisis und hat da besonders nötig, mit seinen Kräften wol hauszuhalten. Ein Leben wider die natürliche Moral, niederdrückende Affekte und wieder allzuviel Freude, endlich übermäßige Geistesanstrengung, dies fürt zu Störungen im Gleichgewicht der Kräfte, in der Harmo­nie des Nerveneinflusses und verlangsamt die Aktlimatisation.

Der rasche Uebergang von Tag in Nacht und die ziemlich bedeutenden Unterschiede in der Wärme um Mittag und um Mitternacht wärend der rauheren Jareszeiten schon im südlichen Europa werden für den an diese Verhältnisse nicht Gewönten oft genug verderblich. Ich habe in der Provence und in der Liguria zur Zeit des Frühjars und Herbstes geglaubt zu braten; begab ich mich aber aus der Sonne in den Schatten, so überlief es mich eiskalt, und öffnete ich um Mitternacht das Fenster, so machte die einströmende kalte Luft mich frieren. Ich bin, da ich regel mäßig bis in den November hinein Bäder in offener See neme und im April oder Mai wieder damit beginne und vegetarianisch lebe, gegen Temperaturwechsel sehr gleichgiltig, ging im südlichen Europa in einfachem, lichten Rock unter der Mittagssonne wie im Schatten und wärend des Nachtfrostes, one irgendwelche Affektion mir zuzuziehen. Aber ich sah wolhabende Eingeborne und Fremde im Süden wärend der größten Mittagshize der Uebergangs- Jareszeiten dick angezogen einhergehen: die Männer in zwei, ja in drei Tuchröcken, die Frauen in Belzmänteln, Pelz­jacken und Müffen. Und versuchten die so verpackten es, leichter sich zu kleiden, so mußten sie jämmerlich dafür büßen. Hätten dieselben jedoch sich abgehärtet und einfach gelebt, so dürfte die halbe Verpackung den Anforderungen ihres Körpers vollkommen genügt haben.

Die Bewoner des südlichen Europa sind äußerst mäßig, die des nördlichen äußerst unmäßig, und doch zeigt die durchschnitt­liche Lebensdauer der ersteren sich um ein bedeutendes geringer, als die der lezteren. Hat hier das Klima entscheidenden Einfluß oder die ganze Lebensweise? Beides zugleich; denn je rauher das Klima, je geringer die mittlere Jareswärme, desto energischer der Umsaz der Stoffe im Haushalte des Leibes, desto stärker die Arbeit der Verdauungswerkzeuge. Dies bedingt, daß größere Mengen von Narung aufgenommen werden müssen und beträcht­lichere Quanta von gegorenen, gleichwie geistigen Getränken ver­tragen werden können, als weiter südwärts. Im Norden verlebt sich der Mensch langsamer als im Süden; denn der Einfluß des Sonnenlichts ist dort geringer als hier, somit auch die Nerven aktion im Norden kleiner. Weil nun in den kalten Ländern die Mechanik der Leibesorgane weniger bald ausgenuzt ist, darum erliegt der Organismus auch minder rasch dem Einflusse einer gewissen Unmäßigkeit, und die Nordländer dauern, der lezteren ungeachtet, länger aus.

-1.

( Schluß.)

Man kann sagen, daß im Süden die Nervenaktion, im Norden aber die Tätigkeit des tierischen Haushalts beziehungsweise vor­hersche. Mit Zuname der Lichtstärke nimt auch die Stärke des Nervenlebens zu, und es erhöt sich insbesondere die Kraft der Leidenschaften. Der Einfluß der Leidenschaften bedingt raschere Abnuzung der menschlichen Maschine. Bei dem Nordländer nimt die breitere Ernärung den Leidenschaften Stoff und Kraft; daher das länger andauernde Leben. Im Norden regt das zerstreute Licht die Nerven wenig auf; daher weniger Nervosität und Leiden­schaft, mehr Muße zur Pflege des Bauches.

Die höheren Klassen des Volks in nördlichen Ländern stellen künstlich einen Teil der Verhältnisse des Südens her, und die höheren Volksklassen der südlichen Länder einen Teil der Ver­hältnisse des Nordens. Daher komt es, daß die Gesundheit und Lebensdauer der wolhabenden und vornemen Gebildeten überall so ziemlich die nämliche ist und überall umsobesser sich gestaltet, nicht je nördlicher und westlicher das Klima, sondern je natur­frischer die Rasse und je einfacher und gemäßigter die ganze Lebensweise ist.

In dem Maße, als man auf der Stufenleiter von Wolstand, Ansehen, Bildung hinabsteigt zu Elend, Dunkelheit, Unwissenheit, gehen die Lebens- und Gesundheitsverhältnisse der Bewoner nörd­licher und westlicher, südlicher und östlicher Gegenden sehr aus­einander. Das eigentliche Volk kann künstliche Klimate nur in beschränktem Maße sich schaffen und muß darum die Wirkung der natürlichen mehr oder minder vollkommen auf sich ergehen lassen.

Es werden demgemäß Armut und Roheit umso gefärlicher für Leben und Gesundheit werden, je gefärlicher das Klima ist. Daher komt es, daß die Lebensdauer der unteren Volksklassen Europas im Fortschritte von Norden und Westen nach Süden und Osten sich verkleinert, und zwar unendlich mehr, als bei der Aristokratie jemals dies der Fall ist.

Bildung und Veredlung des Volfs machen, wie aus dem bisherigen sich ergibt, ein sehr wesentliches und bedeutungsvolles Mittel aus zu Abschwächung der schädlichen und das Leben be­drohenden Einflüsse des Klimas.

Jemehr die Wonung den Anforderungen der Gesundheits­pflege entspricht, desto mehr schwächt sie die frankmachenden Wir­fungen des Klimas ab. Schon weil sie besser wonen, werden die oberen Klassen bei weitem weniger vom Klima gefärdet, als die unteren. Jedes Nest muß nach der Natur seines Inhabers und nach der Besonderheit des Klimas sich richten.

Der nordische Winter get an den Familien, welche in hellen, großen, bei Tag und Nacht gleichmäßig durchwärmten Räumen, Häusern wonen, leicht vorüber, wärend er dem Menschen, der eine elende Hütte bewont, sehr gewaltig die Zähne zeigt. Der tropische Sommer get der Familie, die in ihrem Hause über alle Schuzmittel gebietet und ihre großen Räume stets mit fühler Luft zu erfüllen vermag, im allgemeinen gut vorüber, wenn die ganze Lebensweise dem Wonverhältnisse und den durch das Klima be­dingten Anforderungen entspricht; dagegen muß der Arme, dem kein Mittel des Schuzes und der Abwehr zu Gebote stet, die Pein der Glühhize und die Folgen derselben für Leib und Seele ertragen.