Alfred hatte wieder zu Pinsel und Palette gegriffen; er arbeitete mit sichtlichem Eifer an seinem Fries und plauderte dabei voll munterer Laune von dem gestrigen Abend.

,, Und du wirst nun bald ein verhätschelter Liebling sein und ein Sänger von Ruf und Bedeutung," scherzte er.

Friz lachte. Es war nicht das Lachen eines Glücklichen. Er zälte nicht mehr zu diesen.--

Als er an diesem Morgen erwacht war, war sein erster Ge­danke Elvira.

Die gestrigen Vorgänge mit dem leidenschaftlichen Entzücken, das sie ihm gebracht, begannen in ihm aufzudämmern und alles kehrte in seine Erinnerung zurück. Er schwelgte aufs neue. Aber die Zauber der Nacht lebten nicht mehr in ihm, sie lebten außer ihm. Er gedachte ihrer, wie man eines schönen Traumes gedenkt oder wie ein Künstler, ein Poet seinen Phantasien nachhängt, die seine Nerven in eine geheime Schwingkraft versezen und ihn da­durch zum Schöpfer und Bildner machen. Als allmälich dies Schwankende sich ihm zur Wirklichkeit verdichtete, als es als etwas Geschehenes in seine Vorstellung eintrat, sprang er von seinem Lager empor, erschreckt, erschüttert. Er war ein Elender! Wie das Bewußtsein eines schweren Verbrechens legte sichs auf seine Brust, wie die dunkle Ahnung eines namenlosen Unglücks, das ihn selbst ereilt hatte und Elvira und eine dritte noch, an die er in diesem Augenblick nicht zu denken wagte. Alles wogte ihm in unklaren Vorstellungen durcheinander, die er nicht näher­kommer lassen wollte, die er, da sie die Selbstverdammung ent­hielten, von sich wies. Und es war ja auch noch garnichts entschieden, garnichts.

Sie selbst, die besonnener und ehrlicher gewesen war, als er, hatte ihn fortgeschickt, und nichts Bindendes sollte zwischen ihnen existiren, ehe sie nicht frei wäre. Aber wird sie es sein, wird sie nicht selbst ihre Entschlüsse ändern? Aber auch dieser Gedanke, der ihm eine Erleichterung bringen sollte, revoltirte ihn, ward ihm in seiner Männereitelfeit unerträglich.

Sie liebte ihn, sie konte nicht von ihm lassen, sie würde es nicht. Und er selbst? Sie war ihm, seit er sie wiedergesehen, nicht mehr gleichgiltig, in ihm raste eine heiße, ungestillte Sehn­sucht nach ihr.

Menschennatur, wieviel scheinbare Widersprüche trägst du in dir, die dem unaufhörlichen Kampfe entspringen, den dein Karakter, deine intellektuellen Fähigkeiten mit den dir innewonenden Trieben zu bestehen haben, die bei dem Kulturmenschen wieder nur durch intellektuelle Reizungen zu so ungestümer Aeußerung gedrängt

werden!

Friz ertrug es nicht länger, allein zu sein; er hätte sich selbst entrinnen mögen. In dieser Stimmung hatte er Alfred auf­gesucht. Jezt stand er noch immer am Fenster und sah hinaus. Eine sonderbare, bedrückende Schwüle schien ihm in der Luft zu liegen, etwas, das seine Glieder ermattete, das ihn schwach und hinfällig machte.

Alfred arbeitete indes fleißig fort. ,, Es get mir heute prächtig von statten," bemerkte er, und dann gegen den Freund gewendet: Findest du nicht, daß ich etwas von deinem Humor, etwas von deiner glücklichen Laune mir angeeignet habe?"

Friz sah ihn an, als spräche er von etwas, das ihm kaum mehr verständlich war. Meine glückliche Laune, mein Humor," wiederholte er. Es schien ihm eine längstvergangene Zeit, da er diese Eigenschaften besessen.

,, Das scheint dir wol nicht möglich?" spottete Alfred. Aber ich versichere dich, ich bin heute in der glücklichsten Stimmung. Apropos, das Neueste: Elvira wird Baronin Hellenbach." Das ist nicht war," rief Friz in jähem Ungestüm.

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,, Oho, mein Lieber, ich bitte dich, in deinen absprechenden Meinungen etwas vorsichtiger zu sein. Ich habe es von Eugen selbst, er hat die Absicht, Elvira zu heiraten."

,, Elvira wird nicht in diesen Bund willigen."

,, Das wäre mehr als töricht, es wäre unverantwortlich. Die Moral gebietet ihr diese Heirat und die Klugheit."

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,, Du meinst, weil er Baron ist und ein großes Vermögen hat, aber Elvira ist Künstlerin, sie braucht keinen-"

,, Sie braucht einen reichen Mann," unterbrach Alfred, und einen Mann von Stand und Titel; grade sie als Künstlerin, die so enorme Einnamen erzielt, wie sie gar keinem Manne in irgendeiner Branche zugestanden werden. Ließe sie sichs beikommen, einen armen Schlucker, vielleicht sogar einen ihr untergeordneten Kollegen zu heiraten, so hieße es gleich: er lebt von ihr, sie hat

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ihn zu ernären, und das machte nicht allein ihn, das würde auch sie lächerlich machen."

Eine starke Röte ergoß sich über Frizens mänliche Wangen  . Er biß die Zähne aufeinander.

Ja, so ein Mann ist zu einer jämmerlichen Rolle verdamt," preßte er hervor.

,, Er ist der Mann seiner Frau," scherzte Alfred.

Friz antwortete nicht; er ging mit heftigen Schritten im Zimmer auf und nieder, bis Domenika eintrat und ihm bedeutete, hinauszukommen. Er folgte der Kleinen in die Sala und fand sich Meandro gegenüber, der ihn mit seinen schielenden Augen verschmizt anblickte und ihm meldete, daß ein Statistenstreit aus­gebrochen und daß Aïda deshalb heute Abend nicht gegeben werte.

,, Wir werden, La Traviata  ' haben," sagte er, ,, und Sie werden also heute Abend nicht singen, aber der Impresario läßt sie bitten, sogleich zu ihm zu kommen, des Kontrakts wegen." Sein kleines, runzliches Gesicht nam die Falten eines Clowns an, als er sich ihm mit einem indiskreten Lächeln entgegenneigte: Sie befinden Sich, Signor?"

Friz machte eine Geberde der Ungeduld. Ich seze voraus, daß Sie Sich nicht hierher bemüht haben, um sich nach meinem Befinden zu erkundigen." aber ,, D, Signor, es liegt mir nicht wenig am Herzen, eigentlich kam ich, Ihnen zu sagen, daß Sie heute nicht singen werden." ,, Und weshalb?"

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,, Es ist ein Streif unter den Statisten ausgebrochen, die wir für die Vorstellungen der Aïda aufgenommen haben. So gut waren sie gedrillt, und jezt wollen die Kerle nicht; sie behaupten, man hätte zuviel von ihnen verlangt. Sie hätten die Gözen­bilder tragen, dann als Krieger in die Schlacht ziehen und schließlich bei dem Feste des Gottes Ptah   die Oberpriester darstellen sollen; für so hohe Würden seien aber fünfzig Centesimi zu wenig." ,, Das ist richtig, gebt ihnen mehr."

" Das wollten wir tun, fünf Centesimi haben wir auf jeden Oberpriester draufzalen wollen, aber nein, sie sagten, sie wollten nichts mehr vom Teater wissen und es hätte jeden Reiz für sie verloren. I maledetti, am Ende müßte man noch besondere Reiz­mittel für die Statisten erfinden."

,, Das beste Reizmittel wäre eine anständige Zalung." Meandro gab es einen Riß, und wenn er bisher zu dem Impresario gestanden, so fand er es in diesem Augenblicke vorteilhafter, sich ebenfalls auf die Seite der Unzufriedenen zu schlagen.

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,, Ah, si, si, wir sind alle schlimm daran!" rief er, in einen weinerlichen Ton übergehend und sein häßliches Gesicht durch die jämmerliche Grimasse noch mehr verzerrend. Wie die Hunde geschunden, und nichts für den Mund und nichts für den Durst, misericordia, ein jämmerliches Dasein! Ich besonders, ich laufe mir die Füße kurz; ich war nicht immer so klein, Sie können mir's glauben, Signor; aber die Strapazen und dazu der Durst! De! Und wenn es so heiß ist, wie heute, und ich muß nun zu allen Sängern stürzen, absagen mich erwartet keine Gondel, Signor, und zu allen Sängerinnen, darunter auch die Bianca, Sie werden mich verstehen, Signor, der immerwärende Verkehr mit unseren Damen ist nicht geeignet, einen Menschen, wie ich bin, abzukühlen, und dazu das Wasser in Venedig  , Signor mio, trinten Sie ja kein Wasser in Venedig  , es ist Gift." Er wand sich wie unter den entsezlichsten Schmerzen.

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Friz mußte unwillkürlich lächeln. Ich verstehe, furbo," er drückte ihm einige Soldi in die Hand, aber nun kommen wir zu Ende."

,, Also wir haben heute, La Traviata  ', da brauchen wir keine Comparseria."

,, Und, Arda' wird aufgegeben der Statisten wegen?"

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" Wir werden andre werben, aber die Kerle sind alle Arbeiter, die verlassen erst um sieben ihre Werkstätten, wir können also erst heute Abend, kurz vor der Vorstellung damit beginnen, sie zu drillen, und darüber get die Zeit zum Ankleiden verloren. Es wird also erst morgen, vielleicht erst übermorgen eine Vor­stellung der, Arda' möglich sein."

Friz zuckte die Achseln. Dieser eine Fall illustrirte so recht die Zustände der italienischen Büne, die ein gutes Ensemble un­möglich machen und sie nur auf einzelne Virtuosen anweisen. ( Fortsezung folgt.)