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Dieser Italiener will ihn töten, und sie lag hier, und sie tat nichts, um ihn zu retten. Aber sie wollte ihn retten! Sie sprang in die Höhe, sie fülte, wie die Kraft ihr neu erstand, wie ihren Gliedern die Spankraft zurückkehrte, und ihr verwirtes, um­nachtetes Denken wich einer blizartig überkommenen Klarheit, die in nervöser Ueberreiztheit fast bis zum Hellsehen sich steigerte. Ihr Mann fonte unmöglich daran denken, mit dem nächsten Buge Venedig zu verlassen, er weilte an dem Orte des Stelldich­eins. Sie mußte de Vita daselbst zuvorkommen, Alfred warnen, ihn der Gefar entreißen.

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Die Worte, die sie auf dem Streifen Papier gelesen, wurden ihr zum Fürer, sie erinnerte sich ihrer genau: Ich will, Ihrer Bitte nachgebend, Sie an dem Orte finden, wo wir uns das leztemal getroffen, Vigna Campo santo." Diese zwei Ortsangaben sezten sie in Verlegenheit. Wie war das nur ge­meint? Die de Vitas hatten eine Vigna auf Murano , sie hatte davon sprechen gehört, war es nun dort oder auf dem Fried­hofe Muranos, wo sie zusammentreffen wollten? Sie wußte es nicht zu beantworten, einige Worte dieses Fragments waren noch herausgebrant, dadurch der Sinn entstellt; aber sie hatte nicht Beit, darüber nachzudenken, und Murano war nicht groß, sie wollte beide Drte aufsuchen, sie mußte ihn finden und sie. Sie biß in Qual die Zähne zusammen, aber sie war entschlossen. Sie rante durch die Sala. Sie dachte nicht daran, ihr Kind Domenika zur besonderen Aufsicht zu empfelen; sie stürzte die Treppe hinab und auf die Straße. Sie eilte durch die kleinen Gäßchen zur Ueberfur. Zwei Gondeln lagen hier bereit, die Gondoliere schliefen in denselben. Sie rief ihnen zu, und als sich diese nicht sogleich aufrafften, sprang sie in das Farzeug und rüttelte sie an den Schultern, und sie gebot ihnen, sie sogleich nach Murano zu bringen.

Ein Alter, der hier wol das ausschlaggebende Wort zu sprechen hatte, schüttelte ablehnend den Kopf: No, no, Signora, es ist zu spät zu solchem Ausflug und" er sah prüfend in der Rich­tung des Meeres es liegt etwas in der Luft, diese aria morta wird plözlich in wilde Bewegung kommen, und dann werden wir eine Garbinada haben."

Marie faltete flehend die Hände. Ich muß hinüber, ich bitte euch, und ich zale, was ihr verlangt."

Ein Jüngerer stieß in nicht mißzuverstehender Weise den Alten in die Seite: Andiamo!" flüsterte er.

Der also animirte fraute sich, den Hut etwas lüftend, in dem ergrauten, dicht geringelten Har und ließ ein ärgerliches " Dada " vernemen, dann fügte er, schon etwas nachgiebiger hinzu: Das fönte man nur mit vier Rudern wagen, wir sind unsrer drei, der vierte muß am Plaze bleiben."

Eccomi!" rief eine weiche, jugendliche Stimme. Hier ist der vierte, Ihr nemt mich doch mit, Patron, Ihr wißt, ich

fann's."

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Es war Cencio, der auf der Straße auf Domenika gelauert, er hatte die junge Frau aus dem Hause treten sehen und war ihr hierher gefolgt.

Sie wendete sich an ihn wie an einen Freund: Cencio, wie gut, daß ich Euch treffe, wir müssen eilen, sagt es ihnen, o mein Gott, Ihr wißt nicht, aber jede Minute ist ein Verbrechen!"

Ich verstehe alles, Signora, ich weiß mehr, als Sie glauben, ich weiß, wen Sie suchen," seine geschmeidige Gestalt richtete sich auf und seine hocherhobene Hand deutete gegen Norden ,,, er ist dort." Dann zu den Barkenfürern gewendet: Dunque al' lavoro , presto!"

Marie war auf das Kissen gesunken. Die Gondel drehte sich, die vier Ruder griffen wacker ein und wie eine Schwalbe schoß das Farzeug durch den Kanal.

Sechzehntes Kapitel.

Friz, von einer Ruhelosigkeit erfaßt, die es ihm nicht gestattete, auch nur einige Minuten auf einer und derselben Stelle zu ver weilen, hatte sich den ganzen Nachmittag auf den Straßen Venedigs herumgetrieben.

Was ihn sonst in seiner Eigenartigkeit berürt, durch seine Schönheit entzückt hatte, es übte heute keinen Reiz. Seine Blicke hafteten auf diesen oder jenen Gegenständen, one dieselben auch nur in sein Bewußtsein aufzunemen. In der Merceria , der be­lebtesten Straße Venedigs , wo Laden an Laden sich reiht und das Geschäft in seinem Feilschen und Abschließen bis auf die Straße sich verpflanzt, wo die Menge der Käufer und Bumler im Verein mit der Unmasse ambulanter Verkäufer, die ihre Waren in melodischem Tonfall ausschreien, sich drängen und stoßen, wandelte er mit dem unaufhaltsam sich fortschiebenden Strome. Das Getümmel und Getriebe in seiner wechselnden Mannichfaltig­keit tat ihm wol, es betäubte ihn, es ließ keine klaren Vor­stellungen in ihm aufkommen.

Gegen Abend war er wieder nach dem Markusplaz gekommen. Es war die Zeit des Korso und die Arkaden waren bereis glänzend. erleuchtet. Die Menge staute sich vor dem Schaufenster eines Kunsthändlers, wo ein daselbst ausgestellter Gegenstand ihr be­sonderes Interesse zu erregen schien. Es war die Photographie der Bianca in dem Kostüm der Aïda.

Viele der Umstehenden traten in den Laden, um sie zu kaufen. Auch Friz trat herzu, auch seine Augen hafteten auf dem wol­getroffenen Lichtbilde. Es zeigte sie in all' ihrem berückenden Reiz und kam doch in Schöne der Wirklichkeit nicht nahe. Sie nur ihn. schien ihn anzulächeln

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Die Nebenstehenden begannen zu murren und suchten ihn hinwegzudrängen. Nun ja, wenn da jeder solange gucken wollte, -die ist doch nicht für einen da,- die ist für uns alle!" so hieß es rundum. ( Fortsezung folgt.)

Das Teater zur Zeit der französischen Revolution.

II.

Von B. Sincerus.

Das französische Volk schien damals von einem waren Fieber­taumel erfaßt und besessen zu sein. Nirgends in der ganzen langen Geschichte des Teaters findet sich, glaube ich, eine Epoche, in der so viel Torheiten, ja geradezu Tollheiten auf die Büne gebracht worden sind, als in den Jaren 1793 und 1794*). Die Volksrepräsentanten gingen selbst mit dem guten Beispiele voran. So ließ ein Konventsmitglied ein Stück auffüren, mit dem fa­mosen Titel: Die Vereinigung vom 10. August, dramatische Sanstulottiade, dem souveränen Volke gewidmet." Man spielt die, ware Republikanerin" und singt darin folgendes hochpoetische Kouplet: ,, daß doch bald ganz Frankreich sich

Den Fesseln Hymens unterwürfe; Ein schlechter Republikaner ist, Wer unverehelicht bleiben will;"

man spielt: das Innere eines republikanischen Hausstandes, die *) Diese meiner Meinung nach grundirrige Behauptung gibt mir den Anlaß, zu bemerken, daß ich diesem Aufsaze, dem seines interessanten Temas halber bereitwillig die Spalten der Neuen Welt" geöffnet worden sind, eine ausfürliche Entgegnung auf dem Fuße folgen lassen

werde.

Geiser.

( Schluß.)

Fortsezung des Innern eines republikanischen Hausstandes, der republikanische Edelmann, die republikanische Amme, die republi­kanische Gastfreundschaft, der republikanische Pächter u. s. w.- Die Republik dominirt auf dem Teater. Im republikanischen Ehemann" definirt der Schlosser Franklin den Begriff eines Re­publikaners: Was ist ein Republikaner? Er ist der Verteidiger der Geseze, one welche keine menschliche Gesellschaft bestehen kann; der Freund der Moral, one welche schamlose Cyniker die ganze Gesellschaft vergiften würden; der Protektor der Gleichheit, one welche einzelne Individuen mit usurpirten Titeln den Rest der Gesellschaft unterdrücken und vernichten würden." Scheint es nicht fast, als hätte sich der republikanische Dichter die berüchtigte Rede St. Just's vom 26. Germinal des Jares II ,, über den waren Revolutionsmann" zum Muster seiner Darstellung genom­men? Daß später derselbe biedere republikanische Ehemann und Tugendheld einen Kommissar mit 4 Gensdarmen herbeiruft, um

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seine eigene Frau Melisse einstecken zu lassen, weil sie mit den Emigranten konspiriren soll, erhöt in den Augen des Publikums noch die Größe und Hoheit des ächt republikanischen Gatten. Pompigny, ein Bürgersoldat der Sektion der Unfelbarkeit, hat dieses herliche Stück auf seinem poetischen Gewissen. In der