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erlitten. Ihre Gesänge sind Verherlichungen der als Personen ge­dachten Naturkräfte. Dabei ist die Götterlehre der Wedas verschieden von dem später von den Brahmanen aufgestellten teologischen System, in dem jedoch die Grundanschauungen immer noch Geltung behalten. Das Religionsprinzip der Wedas ist ein Panteismus und fent feinen persönlichen Schöpfer, der den Menschen als Mittelpunkt der Schöpfung schafft und für diesen alle Dinge zweckmäßig einrichtet. Urgrund alles Seins ist Brahma, der nach einem Teil seiner jezigen Anhänger die Welt zum Zeitvertreib aus purer Langeweile machte, nach anderen ist er das allein Bestehende und die Welt bloße Täuschung. Brahma  , wörtlich das Große, die ewig in sich vollendete Einheit, die nicht durch menschliche Begriffe bezeichnet, und auch nicht als reine Einheit per­sonifizirt werden kann, schwebt über und wirkt in allem, durchziet als das Bleibende die Natur, ist mit einem Worte die Weltenseele. Von ihm, dem Vollkommenen, strömt die Schöpfung aus; aus einer ent­standenen Kraft entstehen andere, aus diesen wieder neue u. s. f., bis die unendliche Reihe der Wesen vorhanden ist. Dabei sind die Dinge mit allen ihren Eigentümlichkeiten schon im Weltenkeime, also in Brahma  , vorhanden, bevor sie in die Welt der sinlichen Erscheinungen traten. Wie wenig aber die Lehren der indischen Teologen mit der Religions­philosophie der Wedas übereinstimmen, zeigt eine Hymne des Rigweda, aus der wir nur die beiden Schlußstrophen hierhersezen:

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,, Wer weiß es denn, wer hat es je verkündet, Woher sie tam, woher die weite Schöpfung? Die Götter tamen später denn die Schöpfung Wer weiß es wol, von wannen sie gekommen? Nur Er, aus dem sie kam, die weite Schöpfung, Sei's, daß er selbst sie schuf, sei's, daß er's nicht tat, Er. der vom Himmel her herabschaut

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Er weiß es warlich! Oder weiß auch er's nicht?" Die Antwort auf die lezte Frage hat der alte indische Dichter, dessen Werk vor mehr als 3000 Jaren erstand, in seiner Bescheidenheit, die auch den christlichen Teologen als Muster dienen könte, nicht gegeben,

aber seine Meinung, daß

Liebe überkam zuerst das Eine,

Der geistigen Inbrunst erster Schöpfersame."

ist jedenfalls viel schöner wie die oben angefürte und von den heutigen Teologen in Indien   vertretene Philosophie der Weltwerdung. Die Brahmanen waren es denn auch, die aus diesem unbestimten Etwas, das ,, hauchte hauchlos in sich selbst", ihr Religionssystem zurechtbauten. Andererseits tam ihnen dabei die Unwissenheit der Volksmassen, denen der Panteismus der Wedas ein Buch mit sieben Siegeln war, ent­gegen. Der Ernteertrag hing in dem heißen Klima lediglich von den aus dem indischen Ozean heranziehenden feuchten Winden ab und an­dererseits, wenn die Feuchtigkeit überhand nam, war es wieder die Sonnenwärme, welche den Ernten und der Vermehrung der Herden den woltätigsten Einfluß brachte. Es entstand daher ein Naturdienst, der Regen und Dürre, Hize und Kälte personifizirte. Oberster Gott wurde Indra  , als Herscher über den leuchtenden und regenspendenden Himmel; unter ihm stand Waruna  , der Herr der Gewässer, der Nacht und des Westens; dann Agni  , der Gott des woltätigen Feuers, und neben diesen vornemsten Göttern stehen dann noch die Lichtgötter, voran der der Sonne, und Rudra, der Windgott. Eine unzälige Schar von Genien, Helfern und Geistern schüzen daneben noch den Menschen und seinen Besiz. In diesem Volksglauben war aber kein System; jeder Inder gab dem Gotte, von dem er am sichersten Schuz erwartete, alle Namen und betete zu ihm.

Die Teologen fnüpften deshalb bei Gründung ihrer Lehre an Opfer und Gebet an. Als Vermittler zwischen Menschen und Göttern mußten diese auch gewinnen, je mehr ihre Notwendigkeit und Kraft betont wurde. Gebet und Andacht, das Brahman, wird nun als oberster Gott, der Schöpfer der Welt, persönlich genommen und mit der ge­nanten Allseele identifizirt. Da nun Brahman in der mänlichen Ge­schlechtsform auch den Priester bezeichnet, den Brahmanen, der das Opfer leitet und die Gebete verrichtet, und das Brahman als der Mund der Götter erklärt wurde, so war der Herschsucht der Priester ein sicherer Grund gelegt*). Die alte Schöpfungsteorie wurde wol insofern beibehalten, als alles aus Brahma   ausströmt, aber es wird, um Gründe für die Ungleichheit der Menschen, für Tugend und Laster, für Fähigkeiten, Vermögen, Beschäftigung, Reich, Arm, kurz für die gesellschaftliche Stellung das Kastenwesen zu finden, behauptet, daß das Ausströmende um so unreiner werde, je weiter es sich von Brahma entferne. Da Brahma   das Vollkommene war und außer ihm nichts existirte, so machte sich diese Lehre eines logischen Schnizers schuldig; Logik ist jedoch nie die Stärke der Teologie gewesen. Nach dieser verschmizt schlauen Lehre gingen die Brahmanen bei der Schöpfung, wie selbstverständlich, aus Brahmas Munde, die Krieger aus seinen Armen, die Ackerbauer aus den Schenkeln und die dienende Kaste, die Sudra, aus seinen Füßen hervor. Aber auch die Götter vollbringen ihre Taten nur durch Brahmas Kraft. An seiner Unreinheit kann das

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zu wandeln. Nach Scherr find selbst ihre Geseze, Lehrbücher der Grammatik, Geschichte, Matematik, Medizin und Geographie meist in Versen abgefaßt, wärend ihre Philosophie gradezu Lehrdichtung ist.

*) Siehe die treffliche Abhandlung über die Religion der Hindu in ,, Indien in Wort und Bild" von Emil Schlagintweit  .

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Individuum, so lange es lebt, nichts ändern; es kann jedoch durch Ausdauer für das Leben nach dem Tode die Wirkungen derselben auf­heben. Gänzlich beseitigt wird die Unreinheit nur durch Wiederver­einigung mit Brahma  , die jedem Inder zur Pflicht gemacht wird. Sie wird ermöglicht durch Einsicht in das Wesen der Dinge, durch Forschung und Benüzung der in den heiligen Büchern niedergelegten Weisheit. Die Ergründung dieser Bücher der Wedas!- ist jedoch Vorrecht der Brahmanentaste. Diese wendet aber auch andere Mittel an, wie Askese, Opferspenden, Nachsinnen über die Gründe des Seins und eifrige Gebete. Nach dieser Religionslehre ist das Leben eine Strafe, denn die menschliche Seele ist nur durch die irdische Gestalt bekleidet, weil sie in einem früheren Dasein sich nicht zu der nötigen Reinheit aufge­schwungen. Daher hängt auch von dem Verhalten des Menschen im Leben die Form ab, in der die Seele wiedergeboren wird: ob reich, arm, als Mensch oder Tier, Pflanze oder Stein; und dan bestimt sein Lebenswandel in der neuen Form hinwiederum sein Leben für die Zu­kunft. Kann also die Seele schon nach einem Dasein zu Brahma  zurückkehren, so können auch Jartausende unter den größten Qualen vergehen, ehe sie dieses Ziel erreicht.

Aus alledem get hervor, daß dieser Brahma nie volkstümlich werden konte, denn den niederen Volksklassen ist demnach das Zurück­kehren zu dem Urquell nach einem Dasein geradezu unmöglich ge­macht. Bedenkt man nun noch, daß ein Opfer nur dann Wirksamkeit hat, wenn es richtig vollzogen wird, und daß der Arme nicht die Mittel besizt, um den Priester zur richtigen Durchfürung genügend zu be= solden, so ist, abgesehen von der hochgradigen angebornen Unreinlich­teit seines Wesens, gar kein Gedanke, daß die Erlösung für den Paria in Indien   praktisch eintrete. Außerdem opfert der Inder nicht aus Dank oder um die Götter zu versöhnen, sondern um irgend welchen Wunsch erfüllt zu sehen.

Diese Umstände waren es auch, die den Buddhismus  *) hervor­riefen, der gegen das starre Kastenwesen nebst Zubehör ankämpfte und auch seine Erfolge wesentlich den Misständen, die das Brahmanen­Helfer in menschlicher Gestalt zu den Menschen, ganz gleich ob reich tum herbeigefürt, zu verdanken hat. Die Lehren Buddhas, der als oder arm, herabstieg, gaben aber auch die Veranlassung, daß meistens da, wo man nicht sein Glaubenssystem annam, nach einem Erlöser ver­langt wurde. Die Aufgabe des Erlösers erhielten Siwa und Wischnu. Ersterer wurde infolgedessen im Süden, lezterer im Norden Indiens  Volksgott, durch welche Spaltung im indischen Mittelalter die fana­tischsten Bekämpfungen zwischen den beiden Konfessionen stattfanden. Jezt soll jedoch Toleranz vorherschen. Ist nun Siwa ein schrecklicher, so ist Wischnu ein gnadenreicher Gott, der auf die Erde niedersteigt, um die gestörten Geseze und dgl. wieder herzustellen. Neunmal hat er sich dieser lobenswerten Aufgabe bereits vollzogen und die Sage, welche seine Gestalt für diese Gelegenheiten mit dem romantischen Zauber um­stricte, karakterisirt wieder den Karakter des indischen Volkes. So tam er als Fisch, Schildkröte, Eber, Mannlöwe, Zwerg und in ver­schiedenen anderen, warscheinlich historischen Gestalten. Dabei sind die Taten, welche er verübte, oft ganz ungeheuerliche, so nimt er sich um nur eins anzufüren gelegentlich seines achten Besuchs nicht we­niger als 60 000 Frauen! Zum neuntenmale soll er als Buddha dage­wesen sein, um die Lehren des gleichnamigen Reformators auszurotten und die zehnte Wiederkehr hat sich noch nicht erfüllt.

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Einzelne Reformatoren traten nun auf, namentlich im 14. und 15. Jarhundert, aber sie vermochten nicht die Ausartungen aufzuhalten. Das starre Regiment der Brahmanen einerseits und der indische Volks­karakter andererseits mußten sie beschleunigen; wie viel der Einfluß der fremden Eroberungen dazu beigetragen, mag dahin gestellt sein. Kurz, man machte dem Volksaberglauben die weitgehendsten Konzessionen; unanständige, ausschweifende Handlungen kommen in der Wirklichkeit und bildlich in den Tempeln und bei den Religionsfesten zur Dar stellung und die Götter vermehren sich derart, daß die Hinduliteratur deren 300 millionen angibt. Dann versuchte man im 15. Jarhundert Wischnu und Siwa mit Brahma   unter dem Namen Trimurti zu einer Einheit zu vereinigen. Brahma   ist der Schöpfer, Wischnu Erhalter und Siwa Zerstörer. Aber auch diese oberflächliche Manipulation nüzt nichts. Der entartete Brahmanismus wird nun Hinduismus   genant, dieser spaltet sich in Konfessionen und diese wieder in Sekten. Jede Unterabteilung hat ihre besonderen Götter und Tempel, wie wir bereits eingangs angefürt. Neuerdings, in diesem Jarhundert, sind jedoch einige Religionslehrer aufgestanden, die radikaler vorgehen sollen. Ob sie Er­folg haben werden, bleibt jedoch abzuwarten. Jedenfalls ist dieser erst dann sicher, wenn man die Kultur überhaupt in Indien   ernsthaft fördert, vor allem aber geistige Bildung im Volke verbreitet. Das Christentum, welches von den Europäern immer jo gern als Heilmittel angewant wird, kann es jedenfalls nicht tun oder kann doch erst dann wesentlich helfen, wenn im wirtschaftlichen und politischen Leben die nötigen Grund­lagen gegeben sind. Aber auch dann dürfte dem phantasiereichen Indier diese Lehre schwerlich genügen. Und so dürfte es denn am Ende wol kommen, daß man schließlich wieder mit den Grundideen begint, nur daß man diese den Verhältnissen der Jeztzeit gemäß zur Anwendung wird bringen müssen.

nrt.

*) Wir verweisen hier auf die Abhandlung: ,, Tschunkus, das Reich der Mitte" Nr. 8, S. 95 d. Bl., welche eine Darstellung der Lehre Buddhas enthält.