Augenblicke, die ihre Neigung ihm geschenkt hatte, lebten in seiner Erinnerung wieder auf. Wie glücklich waren sie beide gewesen, wie rein war ihr Verhältnis geblieben!

Minna war allein auf seine Stube gekommen, wie oft, und voll Vertrauen war sie bei ihm geblieben. Dann war die Er­frankung Malchens eingetreten, und er gedachte der Nacht, die sie zusammen am Krankenbett der Kleinen zugebracht.

Minna, in ihrer Uebermüdung, war an seiner Schulter ein­geschlafen; er hatte sie in seine Arme genommen, sanft sie auf das Bett gelegt. Er hatte ihren Schlummer belauscht und keine Begierde war in dem Zauberkreise jener reinen Jungfräulichkeit in ihm erwacht. Und doch hatte man Minna um seinetwillen verdächtigt, sie verleumdet, und sie war unter diesen Böswilligen zurückgeblieben, weil sie ihm seine Laufbahn nicht erschweren wollte; und sie hatte eine franke Schwester zu pflegen und für sie zu arbeiten. Und so hatte sie ihr Glück und ihr Lieben hinaus­geschoben im frölichen Hoffen auf die schöne Zeit, die ihr all das wieder bringen sollte, im unerschütterlichen Vertrauen auf die Ehrlichkeit, auf das Manneswort des Geliebten. Und nun war er daran, dies edle Vertrauen zu täuschen, dies Wesen zu be­trügen, zu verlassen, weil das heiße Verlangen nach einem schönen, reizbegabten Weibe in ihm aufgestiegen? Und er wollte seine Minna vergessen, um in Elviras Armen glücklich zu sein?! Glücklich!

Er lachte laut auf. Wild, grell klang es durch die stille Nacht. Glücklich! Seit er sich in den Banden Elviras fülte, war er auch keine Minute noch glücklich gewesen, und er fülte es jezt, er würde es nie sein.

Aber sie liebt dich, rief es dann doch wieder in ihm, und sie hat eine glänzende Verbindung von sich gewiesen, um dir anzu­gehören. Du hast dies Opfer, das sie dir gebracht, herausge­fordert, du hast es angenommen.

Seine Zähne preßten sich aufeinander, seine düsteren Augen blickten hinaus in die ihn umgebende Dunkelheit. So oder so So oder so ein Schurke, murmelte er.

Er ward aus seinem Sinnen durch eine Anzal rasch vorbei­kommender Personen aufgeschreckt. Sie sprachen von der Bianka. Die Vorstellung war zu Ende.

Sie erwartete ihn nach derselben; er mußte zu ihr. Er rich tete sich empor, es lag eine ernste Entschlossenheit in seinen Zügen. Ich will hin, ich will ihr alles sagen; ich will ihr meine ganze Niedertracht enthüllen, ihr gestehen, daß meine Augen nur sie sahen, nur nach ihr verlangten, daß meine heißen Lippen um Gegenliebe bettelten, indes ich doch in meinem Gemüt, im in­nersten Herzen noch jenem Mädchen anhing, dem ich versprochen, daß sie die Meine wird.

Er empfand gleichwol, daß diese Aufrichtigkeit eine Grausam­feit war, eine Brutalität vielleicht, aber sein ehrlicher Sinn wußte keinen andern Ausweg.

Mit raschen Schritten ging er vorwärts; er schlug indes eine von Elviras Behausung entgegengesezte Richtung ein und ging nach der Calle Minio.

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Es schien ihm zu früh zu diesem Besuche, Elvira konte aus dem Teater noch nicht zurückgekehrt sein.

Er besaß einen Schlüssel zu der kleinen Haustür und eilte über die Treppe nach seinem Zimmer. Seit dem Morgen war er abwesend, konte indes nicht etwas vorgefallen sein?

Seit er in Venedig   war, und es waren fast vierzehn Tage vergangen, hatte er keinen Brif von ihr erhalten. Dieses lange Stillschweigen, daß ihm unter den Zerstreuungen und Erregungen seines neuen Aufenthaltes kaum aufgefallen, es erfüllte ihn mit einemmale mit banger ängstlicher Sorge. War etwas vorge­fallen? Oder war es ein Zeichen erfalteter Neigung?

Der Gedanke, daß seine Minna ihn weniger lieben könte, brachte ihm ein tiefes Weh, versezte ihn in die schmerzhafteste Unruhe, die durch den peinigenden Gedanken noch vermehrt wurde, daß er es wol verdient hätte.

Er machte Licht und sah umher. Täuschte er sich nicht, etwas Weißes schimmerte ihm von dem Tische entgegen.

Es war ein Brif. Er besah die Aufschrift; er war von Minna an ihn. Er öffnete rasch, fast zitternd. Der Brif ent­hielt die Nachricht von Amaliens Tod.

Er las: Mein Friz, sie ist dahin gegangen, und ich und Luise liegen uns weinend in den Armen. Sie war unser Kind; durch all die Sorge, die sie uns gemacht, durch all die Angst, die wir um sie gelitten, ist sie uns so fest an das Herz gewachsen. Ich habe sie geliebt, wie nur eine Mutter ihr Kind lieben kann, und jezt ist sie kalt, tot, und sie nemen sie uns fort- ich werde sie nie mehr wiedersehen! Friz, ich will dir nicht schildern, was ich dabei empfinde, ich kann es nicht aber nun hält mich auch nichts mehr hier zurück, und ich komme zu dir Liebster; nichts soll uns fortan trennen! O dieser Gedanke bringt mir in all meinen Schmerz einen Schimmer so heller Freude, so unsäg­lichen Glückes, daß es mir eine Sünde bedünkt. Aber ich liebe dich eben über alles! Jezt kann ich dirs sagen, mein Friz, was es mich gekostet hat, so lange von dir fern zu bleiben. Dein armes Mädchen meinte oft, es müsse vergehen in Sehnsucht nach dir. Dabei mußte ich trachten, meinen Kummer vor unserer Kranken zu verbergen. Sie erriet es dennoch immer, wenn es mir schwer ums Herz war, und sie sah mich dann mit ihren bangen, von Angst vergrößerten Augen fragend an. Du denkst schon wieder an ihn, nicht war? flüsterte sie, aber du bleibst bei mir, Minna, du wirst nicht zu ihm gehen; und dann faltete sie flehend die abgezehrten Händchen: Ich bitte dich, Minna, bleib bei mir, verlaß mich nicht, sieh, ich müßte sonst sterben, und ich will nicht sterben! Ach du armes, blasses, freudloses Kind, ich wußte es längst, daß meine Mühe, daß all meine Liebe dich nicht am Leben erhalten würde, aber du solltest auch nicht gewar wer­den, was es mich kostete. Ich kann nicht weiter, meine Kraft hat bisher vorgehalten, heute bin ich erschöpft, aber bald werde ich wieder an deiner Brust ruhen, und dann wird alles gut ge­worden sein. Das Glück wird frische Blüten in meinem Herzen treiben und die sollen uns nimmer verwelken. Ich küsse dich, Friz, meine Liebe, mein Leben!" ( Fortsezung folgt.)

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Die Sachsenkämpfe wider die Harzburg  .

Historische Stizze von

Natur, Sage und Geschichte wirken zusammen, um der Stätte, nach welcher wir den Geist des Lesers im folgenden versezen, den Reiz ureigner Schönheit und merkwürdiger Erinnerungen zu ver­leihen. Das tapfere Volk der Cherusker  , dem Deutschland   seine Befreiung vom römischen Joch zu danken hat, war es, das einst in diesen Wäldern, Tälern und Schluchten hauste, bis die schon damals zwischen den deutschen   Stämmen herschende Eifersucht die Chatten zu den Beherschern der Gegenden am Harz   machte. Nach diesen traten die kühnen Thüringer auf und ſezten sich auf diesem Boden fest; aber auch sie mußten einem stärkeren Stamme, dem der Sachsen  , weichen. Die lezteren namen nach der Besiegung und dem Tode des thüringischen Königs Hermannfried die nörd­lichen Abhänge des Harzes ein, wärend die südlichen nach wie vor von den Thüringern bewont wurden, wie denn noch jezt die auf dem Gebirge scharf sich trennenden Mundarten auf diese Teilung deutlich hinweisen. Wärend der Herschaft der Sachsen  , die diese bis an die Elbe   und Saale  , bis zum Rhein   und dem Meere ausdehnten, bildete der Harz   einen besonderen Gau, den

Sigismund Thalens.

Hartingav, dessen wichtigster Punkt, der sich bis zu 500 Fuß Höhe über die an seinem Fuße vorüberrauschende Radau erhebt, der Hartisberg, d. i. Spizberg war. der Hartisberg, d. i. Spizberg war. An diesen frei in die weite Ebene, die an seinem Nordfuße sich unabsehbar ausbreitet, hinaus­blickenden Berg hat schon die Sage ihre bis in die dunkle Zeit des Heidentumis zurückgehenden Erinnerungen geknüpft. Die Sachsen   sollen auf seinen Höhen ihren Hauptgott Krodo   verehrt haben, und in der Tat scheint es, wenn es auch keineswegs be­wiesen ist, ziemlich warscheinlich, daß diese die Stätte heidnischen Opferkultus gewesen sind. Entspricht es doch dem Gebrauch der Germanen, ihre Götter in Wäldern, auf Bergeshöhen und an Quellen zu verehren, wenn uns noch in unseren Tagen manche Namen der umliegenden Berge und Wälder den Beweis für die Richtigkeit jener sagenhaften Ueberlieferung zu erbringen scheinen, So finden wir in der Bezeichnung Woansberg"( der am An­fange des sogenanten Schimmerwaldes liegt) einen Anklang an den Namen des obersten Germanengottes Wodan, so erinnern wir uns in dem dicht dabei liegenden Wäldchen Thorla" an