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Bilder aus dem Privatleben der Griechen und Römer.

Von Dr. Max Vogler.

Vielleicht fragt sich der Leser, wenn wir ihm hier Bilder aus dem Privatleben der in kultureller Hinsicht höchstentwickelten Völker des Altertums vorfüren wollen, wie es uns möglich ist, genaue Kentnis der Daseinsweise der lezteren zu besizen, über all' die Formen, Re­geln und Ge­wonheiten unterrichtet zu sein, die von ihnen sowol im all­täglichen Gange, wie unter den verschiedenen Umständen

und Wechsel­fällen des Lebens beobachtet wurden. Der Leser würde damit die Frage nach den Quellen und Hülfs­

mitteln ge= schichtlicher Kentnis überhaupt ausgespro= chen haben, und im vor liegenden Falle wäre ihm darauf zu antwor ten, daß wir bereits in den Werken des alten Homer eine Fülle von Mitteilun= gen finden, die uns tiefe und flare Einblicke in das Privat leben des Volkes, dem er angehörte, lassen;

tun

noch

mehr

aber ist dies

bei

dem

Geschicht schreiber He­ rodot ( geb.

verdanken wir dann Julius Pollux , dem Lexikographen und Rhetor, ferner dem geistvollen Biographen Plutarch ( erstes Jar­hundert n. Chr. Geb.), dem im dritten Jarhundert nach Christi Geburt lebenden Sophisten Alkiphron, der in seinen 118 Brifen

Eine Eisenbahnniederfahrt von dem Berg Washington in Neuhampshire.( Seite 612.)

zwischen 490-480 v. Chr.) der Fall. Dann sind es die Lyriker, und von diesen namentlich Pindar , die uns in dieser Hinsicht belehren, ferner vor allem der große Satiriker Aristophanes , der Komödiendichter Menander( zu Alexanders des Großen Zeit), ganz besonders aber der sophistische Philosoph Athenäus ( um 228), der in seinem fünfzehn Bücher umfassenden Werke:" Die gelehrte Tisch­gesellschaft" sich in Gesprächsform über Gegenstände des gesellschaft­lichen und häuslichen Lebens verbreitet und dabei unschäzbare Beiträge zur Geschichte der Wissenschaften und Künste, Sitten und Gewerbe gibt, wodurch uns übrigens, nebenbei bemerkt, zu­gleich eine Menge wichtiger Bruchstücke aus zum Teil verloren gegangenen Werken griechischer Schriftsteller( es werden deren Sarin 1500 aufgefürt), aufbewart worden ist. Weitere Aufschlüsse

in gefälliger Schreibweise eine Schil­derung der Sitten und Kultur­zustände, vornemlich

Athens , durch Vor­fürung ver­schiedener Stände( Fi scher, Bau­ern, Para­fiten und Hetären) entwirft, dem Verfasser des kleinen Epos Hero und Lean­ der ", Mu­fäus, dem Roman= schriftsteller Heliodor­

um 400 n. Chr. und dem in glei cher Richtung schaffenden, ein Jarhun­dert lebenden

später

Achilles Ta­ tius , ferner Chariton, gleichfalls Roman schriftsteller, einer

und Anzal ande­rer Autoren. Dazu kom­men als we­fentlichste Hülfsmittel die Werke der bildenden Kunst, vor allem die Vasen und Reliefs. Von dem Privat

leben der Römer empfangen wir aus den Werken fast aller Schrift­ſteller dieses Volkes, sowie aus den uns sonst überbliebenen Denkmalen des römischen Altertums weitgehende und sichere Kentnis.

Um nun zu zeigen, wie die Griechen und Römer in ihrem privaten Leben sich gaben und gehabten, muß zunächst darauf hingewiesen werden, daß bei beiden Völkern die Scheidelinie zwischen diesem und dem öffentlichen Leben überhaupt sehr schwer zu ziehen ist; denn alle persönliche Betätigung lief auf den Staat, die Deffentlichkeit hinaus, der einzelne lebte nur für den Staat, jede Seite des Lebens erschien als ein Teil des Gesamtlebens der Nation. Unter den Griechen war dies hauptsächlich bei den Spartanern der Fall, bei denen von Geburt an die ganze Existenz