Man hörte im Vibriren der Stimme das Grollen über des Gastes Ungebür, der vor Verlegenheit nicht wußte, was er sagen sollte. " Verzeit, Herr Syndikus; des Kriegers Art ist rauh; auf unsern Schneebergen wachsen keine Komplimente, entschuldigt

mein-!"

" Schon gut!"

Jezt erschien Jutta mit dem Schlüsselbunde, hüpfte leichtfüßig die Wendeltreppe hinauf und rief von oben:

Komt, Herr Lieutenant, und nemt Euer Gemach in Besiz!" Sie stieß die Fensterläden auf und ließ die Aprilsonne ins Gemach; dann wollte sie schnellfüßig hinunter, aber Verr ver­sperte ihr den Weg. Bewundernd stand er in der Tür, entzückt von der herlichen Gestalt und dem Adel des Gesichts. Auch Very war ein schöner Mann, nur sein Auge hatte etwas unstätes und wildes.

" Gebt Raum, Herr Schwede," meinte sie launig, daß ich Euch nach des Vaters Weisung Azung und reichlichen Trunt bringe!" Doch der Krieger haschte nach ihrer Hand, die sie schnell barg. Brecht Ihr in der ersten Viertelstunde so das Gastrecht und wollt ein Freund der Stadt sein, Herr Schwede?- Hütet Euch!"

Sie sah ihm so hart und so ernsthaft ins schwarze, unstäte Auge, daß er beschämt zurückwich und sie freigab. Bald war der Herr Schwede" versorgt, aber Jutta betrat die oberen Räume von diesem Tage an nicht wieder, indem sie die Bedienung des Fremden Sybille, der alten Magd des Hauses, übertrug. Very blieb auch vom Familienverkehr auf immer ausgeschlossen.

Eine Weile später verließ der Syndikus behufs einer Rats­fizung das Haus.

Gustav Adolf   sante dem Administrator sechs erfarene Offiziere zur Leitung der Verteidigung, darunter Dietrich von Falkenberg  , seinen Vertrauten, und Hoyer von Mansfeld, seinen Liebling, beide Obristen in der Armee, alsdann zwei Rittmeister und zwei Lieutenants. Er selbst, so ließ er berichten, sei noch mit Ver­handlungen mit Kurbrandenburg und Sachsen   beschäftigt; one Sicherung im Rücken könne er sich nicht soweit nach Süden vor­wagen. Dietrich von Falkenberg   ward mit der Belagerung, Hoyer von Mansfeld mit den Verhandlungen beauftragt; diesen beiden bat der König alles Vertrauen zu erweisen.

Groß war die Freude des Wiedersehens zwischen Hoyer und Rauet; ersterer erkante den Syndikus sogleich, lezterer aber hatte Mühe, sich den stattlichen schwedischen Obristen als den einstigen blassen Knaben Mansfeld Hoyer vorzustellen. Arm in Arm wan­delten sie unter dem Gedröhn der Kanonen und Kartaunen den Breiten Weg hinauf; manches Frauenauge blickte dem schmucken Offizier wolgefällig nach, bis beide im Hause des Syndikus ver­schwanden.

Jutta hatte unterdes mit Fleiß ihren Verrichtungen obgelegen; nun gab sie der kranken Mutter labende Tropfen, dann ordnete sie den Mittagstisch, auf dem zinnerne Teller, die an Festtagen durch silberne ersezt wurden, schimmerten. Vor dem Size des Syndikus aber glänzte ein großer Silberbecher, eine Gabe des Rates der Stadt. Dem fremden Gaste hatte man oben getafelt, er sollte nie in das Familienheiligtum kommen. Jezt saß sie, mit den beiden langen schweren blonden Zöpfen spielend und träumend am Fenster im Lehnstule. Ihr Blick schweifte weit, weit hinaus nach Ingolstadt  . Da sah sie sich in dem düstern, wunderlich ausstaffirten Zimmer auf einem Tische sizen; vor ihr der alte Stürig, neben ihr Mansfeld   mit den blonden Locken und den prachtvollen blauen Augen; sie hörte seine Stimme, wie er sie, sich sehnend nach der Spielgefärtin, rief. Wie er wol aussah, ob er ihrer noch gedachte, die ihn nie vergaß? Aber wie war ihr denn? War das nicht seine Stimme?

Eben trat der Vater mit einem schwedischen Obristen in den Korridor. Jezt öffnete der Syndikus die Tür zum Wonzimmer und nötigte den Gast, voranzutreten. Ein Ausruf von beiden Seiten klang fast zusammen wie ein harmonischer Akkord: " Jutta!"" Mansfeld  !"

Sie hielten sich lange umarmt; die Frau Syndikus nickte be­friedigt, Rauek aber sah das Par verwundert an. Als Hoyer seine Arme öffnete, um die Tante ebenfalls zu begrüßen, sank Jutta fast wie in Onmacht zurück. Nachdem ihr die Besinnung wiedergekehrt, da wandelte sie umher wie im Traume, und änlich erging es auch Hoyer. Ob denn das nur die rechte Liebe war, das Wolgefallen, das er beim Anblick dieses herlichen Meister werks der Natur verspürte? Daß sich ihre holden Züge so bei

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ihm eingeprägt, daß er Jutta sogleich wiedererkante? Jutta war schön, schön wie der Früling draußen. Was war Erna dagegen, was ihre Ueppigkeit gegen die keusche Jutta?

Die leztere holte unterdes eine Kanne des alten vom Vater befolenen Weines aus dem Keller herauf, und obwol sie im Finstern dahinwandelte, so war es ihr doch, als brenten tausend Christ­bäume um sie her, und ihre Lippen murmelten das ,, Geständnis": ,, Nur einmal traf mein Auge seinen Blick, Da war es mir, als wär' mein Herz entflamt, Als wollt der Lebensfunken, Gott entstamt, Zu seinem Ursprung wallen gleich zurück. Nur eins lag meinem geist'gen Auge blos: Mehr als die Welt lieb' ich ihn namenlos." Jezt betrat sie, mechanisch den Krug tragend, den Korridor. Da legte sich von hinten ein Arm um ihren schlanken Hals und zog den Kopf zurück, ein glühender Atem streifte ihre Wange. Sie bog den Kopf zur Seite, nicht anders meinend, als Hoyer füre einen seiner Knabenstreiche wie damals aus, als sie zu Ingolstadt  am ,, langen Chim" spielten, und erblickte das Gesicht des Lieutenants Vergy.- Ein Schrei, ein Fall- der Krug lag zer schmettert auf der Erde.

Gleichzeitig erschienen Hoyer und der Syndikus vor der Tür des Familienzimmers.

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" Vater, Hoyer," schrie die Jungfrau geängstigt, schüzt mich vor den Nachstellungen dieses dieses Menschen!" Ein strenger Blick des Syndikus traf den unglücklichen Verx; da aber trat Hoyer vor:

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Ueberlaßt das mir zu ordnen, Onkel! Herr Lieutenant Berg, gebt Euren Degen! Ihr habt zehn Tage Hausarrest, ver­laßt zur Stelle dieses gastliche Haus, dessen Frieden Ihr gestört, und begebt Euch dahin, wohin Euer Quartierschein lautet; ich werde sogleich in dieser Sache dem Nat Mitteilung machen!"

So geschah es. Noch zur selbigen Minute verließ der Schwede racheschnaubend das Haus; auf der Straße hob er drohend die Faust:

"

Er und sie, sie sollen es beide büßen!"

Dann ging er aufs Rathaus und fand bald darauf am andern Ende der Stadt eine Aufname.

Einigermaßen erregt sezte man sich nun im rauekschen Hause zum Mittagsmale nieder, bei dem diesmal die beiden Männer hauptsächlich das Wort fürten. Man erörterte ausfürlich die Lage der Stadt, fürte die Mittel der Belagerer und Belagerten auf und kam zu dem Schlusse, daß man sich reichlich halten könne, bis Gustav Adolf   komme. Dann fragte man nach den Lebensschicksalen Hoyers, und dieser hielt seinem Könige eine glänzende Lobrede, der alle gerürt lauschten.

Er schloß mit den Worten: Nun müssen sich auch die Kur­fürsten von Brandenburg   und Sachsen   erklären, sonst wischt sie Gustav Adolf   von der Landkarte; Magdeburg   wird nicht ver­lassen! Kaiser Ferdinand   aber mag sich hüten vor dem, Schnee­könig', der seinen Tron noch wird wackeln machen!"

Das Mal war zu Ende. Juttas Blick hing an dem geliebten Manne, der Syndikus aber nam den großen, gefüllten Becher und brachte den Trinkspruch aus:

" Auf den König Gustav Adolf  , den Vorkämpfer unseres Glaubens!"

Der Becher kreiste, dann gingen die drei in den Garten, die Kranke aber blieb in ihren wollenen Decken im Lehnstul zurück.

Der Syndikus ging in den Anlagen voll blühender Bäume bald hierhin an ein Beet, bald dorthin an ein Feld und besah seine Lieblingsblumen; bald warf er einen besorgten Blick auf die Geschosse, die hoch über ihnen durch die Luft zogen. Hoyer aber und Jutta wandelten Arm in Arm den Gang hinab und hinauf, selig flüsternd von ihrer Kindheit, ihren Spielen, bis endlich an einem eben grünenden Stachelbeergebüsch plözlich Hoyer niederkniend rief:

,, Jutta, Geliebte meines Herzens, verzeihe meine Eile; du weißt, ein Krieger fragt nicht lang; höre mich und sage mir, daß auch du mir gut bist, denn ich liebe dich mehr als mein Leben, liebe dich bis in Ewigkeit!"

Jutta aber hob ihn wie eine Rose erglühend empor und lag weinend und lachend an seinem Halse:

,, Haben wir uns denn nicht je und je geliebt? Kontest du Jutta wol einmal ganz vergessen?"

Es zog etwas wie ein Schatten vor der Seele Hoyers vorbei bei diesen findlichen Worten, aber auch ein wirklicher Schatten fiel plözlich auf die Liebenden: Syndikus Rauek stand zum zweitenmale