Süße, beruhigende Worte flüstert er ihr zu, ein Gegenwort ersehnend, und er forscht bittend, in banger Sorge in dem lieben, blassen Gesichtchen, in den festgeschlossenen Augen, die er noch nicht zu füssen wagt, nach einem Zeichen rückkehrender Besinnung. Sie seufzt schwer auf.
Komm," sagte er in einem Ton, so fürsorglich, so weich, so wie eine Mutter zu ihrem Kinde spricht, dieser Vorgang hat dich maßlos erschreckt, ich bringe dich nachhause. Dann wante er sich gegen de Vita und auch Ernesto streifte sein Blick: ,, Sie wissen, meine Herren, wo Sie mich zu finden haben, Salute!"
Er verbeugte sich gegen Juanna, die, ernst und blaß, ihm ein stummes Lebewol mit der Hand bot, und seine Frau wie ein Kind in den Arm nemend, verließ er mit ihr das Haus.
Cencio und die Castalda waren ihm gefolgt, leztere wollte das Tor öffnen, aber es stand weit offen, de Vita und Ernesto hatten es, nachdem sie vergeblich versucht, die Mauer zu ersteigen, gewaltsam erbrochen.
Alfred schickte sie und Cencio zurück. Der leztere sollte mit den Barkenfürern heimkehren, die seine Frau hierhergebracht, er selbst wolle die Gondel benuzen, die hier zunächst seiner wartete. Er schritt dem Wasser zu, aber er kam in dem hohen Flugsande, der das Uferland bedeckte, nur langsam und mühsam hinweg. Jezt war er am Strande, und mit lauter Stimme rief er die Gondel heran.
Marie erbebte in seinem Arm. Die Luft, die vom Wasser Die Luft, die vom Wasser ihr entgegenwehte, noch mehr aber der laute Ton seiner Stimme hatten ihr das Bewußtsein zurückgebracht. Sie sah um sich; sie hörte das schwache, plätschernde Anschlagen der Wogen und sie fülte sich in dem Arm ihres Mannes, der mit ihr heimkehren wollte, zurückgezwungen zu seinen ehelichen Pflichten, zu einer entweiten Häuslichkeit.
Nein, rief es in ihr, ihr innerstes Empfinden schien sich da gegen aufzulehnen und in jeder Fiber ihres Körpers zuckte es in schmerzhafter Empörung: nein!
Schon hatte sie sich seinem Arm entwunden,- er will sie wieder fassen, sie stößt ihn zurück:„ Geh, laß mich, kehre zu ihr zurück, ich entbinde dich deiner traurigen Pflicht, du bist frei!"
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Laut, in bebender Energie, wie im Zusammenfassen all' ihrer Lebenskraft, schleuderte sie die Worte ihm entgegen. Aber als hätte diese Lossagung von dem Teuersten ihr das arme Herz gebrochen, wankte sie plöglich, ihre rechte Hand fur in der Luft herum und sank gelähmt an ihrer Seite herab; sie selbst glitt lautlos, one Widerstand in die sie umschlingenden Arme ihres
Gatten.
Kein Leben schien mehr in ihr. Weinend trug er sie nach der Gondel.
Die Gondoliere hatten ihre Passagiere schon mit Ungeduld erwartet. Alles deutete auf das Hereinbrechen des Sturmes. Schnell war die Gondel losgemacht, und all' ihre Kraft einsezend, versuchten die Gondoliere, so rasch wie möglich vorwärts zu kommen.
Der Kanal von Murano war bald durchschifft, und jezt hatten sie die offene Lagune erreicht. Der Mond war hinter schwerem Gewölk verborgen, das, Trauerflören gleich, tief herabhing; kein Sternlein spiegelte sich in der schwarzen, weiten Wasserfläche wieder, die unbewegt schien, wie erstart; und rundumher ein leeres, dunkles, dem Auge unfaßbares.
Die Atmosphäre ist drückend, sie lastet auf der Brust in ihrem geringen Druck und wirkt beängstigend. Den armen Ruderern rann der Schweiß bächengleich von der Stirne, einer nach dem andern mußte auf Minuten ruhen. Bald fülten sie sich gänzlich abgemattet, kaum imstande, die Hände zu heben, und doch tat Eile dringend not.
Dort über dem Meere zeigten sich seltsame Gebilde, rötlich graue Wolfen, lichter als die übrigen; ein rascher Bliz zuckt daraus hervor und jezt ging ein Pfeifen durch die Luft, hoch und schneidend, das allmälich zu einem Brausen anschwoll, das in tiefen, holen Tönen heranzog. Von Südwest jagte es daher in rasender Sturmeseile. Es zerriß die Wolken, und in dem Licht des Mondes, der für einen Augenblick zum Vorschein kam, konte man die drohende Gefar nur deutlicher erkennen. Als wenn das glatte Element plözlich von wilder Wut erfaßt wäre, wälzten sich die weißen Schaumfämme daher, sich überschlagend und ineinander borend.
,, La garbinada!" schrien die Gondoliere.
" La garbinada!" wiederholten vier andere Kehlen; es war die Bemannung der zweiten Gondel, die so dicht an die erste
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heranfur, daß Cencio in seiner Behendigkeit sich hineinzuschwingen vermochte. Und jezt, man sah die Wellen von weitem fommen, man hörte ihr Rauschen, sie erfaßten das Bot, sie hoben es und rollten darunter hinweg. Und jezt eine zweite, eine dritte und so fort.
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Das Schiff gehorchte nicht mehr dem Steuer, und sie waren jeden Augenblick in Gefar, gegen die mächtigen, den Weg vorzeichnenden Pfäle geschleudert zu werden und, daran zerschellend, zu versinken. Die Männer jammerten und fluchten, dann stammelten sie Gebete oder suchten sich gegenseitig Mut einzusprechen. Und inmitten dieses tosenden Aufrurs saß Alfred ernst und düster, sein Weib im Arm, um nichts bekümmert, als ihre falten Glieder zu wärmen, den Schlag ihres Herzens zu zälen, der, ach, so schwach war und teilweise ausblieb. Der Sturm hatte ihm den Hut vom Kopfe gerissen, das dunkle, lockige Har umflatterte ihn wild. Auch in ihren Kleidern verfing er sich; er preßte sie zusammen, und sorgsam zog er die leichten Hüllen gegen den zarten, entblößten Hals hinauf, damit kein rauher Lufthauch ihn berüre, schüzend beugte er den eignen Körper über sie und drückte sie fest und fester an seine laut klopfende Brust.
Es lag etwas tief ergreifendes in dieser Unempfindlichkeit des Mannes gegen die ihn umgebende, mit jeder Minute anwachsende Gefar, die auch sein Leben bedrote, und in dieser stummen Zärtlichfeit gegen das arme, hülflose Wesen an seiner Brust. Es lag etwas so düsteres in seinem Ernst und seiner Blässe, in den tiefen Augen mit dem gramvollen Blick.
Und der Sturm nam zu und er umheulte ihn, und wie ein Rachelied war's, was er ihm in die Ohren sang, und das Meer, das außer den Dünen lag, donnerte dazwischen, und grelle Blize, ein Horizont in Flammen, erleuchteten von Minute zu Minute dies Bild wildbewegter Naturgewalten und menschlicher Bedrängnis. Die Gondel schaukelte, von Vernichtung bedrot, auf den empörten Wellen, und wäre sie gesunken, Alfred wäre im Banne seines Schmerzes, lautlos, sein Weib an sich gedrückt, hinabgetaucht in die ineinanderstürzenden Wogen.
Aber das Bot kämpfte sich durch, es näherte sich Venedig ,- und jezt hatte es die Einfart in den Kanal gewonnen.
Achtzehntes Rapitel.
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Es waren traurig ernste Tage gewesen, die der Katastrophe gefolgt waren. Mariens Zustand war von dem Arzte als ein bedenklicher, als ein fast hoffnungsloser bezeichnet worden.
Embolie, lautete die Diagnose: Verstopfung einer Gehirnarterie durch Gerinsel von Blutfaserstoff, das sich im Herzen gebildet hatte. Die heftigen Selbstanklagen, die Verzweiflungsausbrüche Alfreds suchte der Arzt dadurch zu mäßigen, daß er ihm anvertraute, daß seiner jungen Gattin auf keinen Fall ein langes Leben beschieden sei. Ihr Herzleiden habe derartige Fortschritte gemacht, daß selbst bei der größtmöglichsten Schonung doch in Jaresfrist ihr Ende erfolgen dürfte.
Alfred beschwor ihn, alles zu tun, seine ganze Kunst anzuwenden, um sie ihm zu erhalten, für dieses eine Jar wenigstens zu retten; nur jezt sollte sie ihm nicht sterben, nur nicht an den Folgen dieser entfezlichen Nacht; er selbst würde es nicht überleben. Und in diesem entsezlichen Bangen vor diesem schlimsten war er selbst mit allen Kräften bemüht, es hintanzuhalten. Er blieb Tag und Nacht an ihrem Bette, jeden Atemzug der Kranken belauschend, in peinlicher Fürsorge auf alles bedacht und jede Anordnung treffend, die woltätig und erleichternd sie berüren fonte.
Frizens Zimmer war zur Krankenstube hergerichtet worden. Marie lag mit stark gerötetem Antliz, das diesem schönen, sanften Gesicht den Anschein von Frische und erster Jugendblüte verlieh, in den weißen Kissen. Ihr Herz klopfte in verdoppelten Schlägen, und sie fur von Zeit zu Zeit mit der linken Hand gegen dasselbe, als wenn sie dadurch den Schlägen Einhalt tun wollte. Ihre rechte Hand und ihr linker Fuß blieben gelähmt. Auch in ihrem Vorstellungs- und Ausdrucksvermögen zeigten sich Lücken. Sie schien sich der lezten Vorgänge nicht mehr zu erinnern, und nicht des Wehes, das man ihr zugefügt; ein woltätiges Vergessen hatte da plazgegriffen. Aber selbst in dem ihr noch gegenwärtigen schienen in der Gehirnfunktion kleine partielle Störungen zu unterlaufen, es felten ihr einzelne Worte, einzelne Buchstaben, die, wie Töne aus einem verdorbenen Spielwerk, regelmäßig ausblieben. Absolute Ruhe und Stille wurde als die erste Bedingung der Genesung strenge eingehalten und alles vermieden, was die Kranke einer Erregung ausgesezt hätte.