mußte entscheidend gewesen sein, denn man hatte es eilig, sehr eilig, um die Donau zu gewinnen. Hoyer war allerdings stets scharf bewacht; im übrigen behandelte ihn Tilly artig, behielt ihn auch immer in seinem Zelte bei sich und sprach oft mit ihm pietätvoll von seinem tapferen Vater. Wiederholt fragte er ihn auf Umwegen aus, ob Graf Ernst kein Testament hinterlassen, ob er dem Sone fein Geheimnis anvertraut. Hoyer war flug genug, stets alles zu verneinen und einzusehen, daß ein Familiengeheimnis existiren müsse und daß ihn Tilly nur um des willen mit sich schleppe. Da gewann bei ihm der Saz in dem lezten Brife seines Vaters: Besonders achte auf die Stelle fünfzig
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Schritte nach Norden von der großen Buche im sogenanten tatolischen Hofe" eine ganz andere Bedeutung wie bisher. Er kam zu der Ueberzeugung, hier müsse das Geheimnis stecken. Man mußte diesen Brif, der in seiner Ledertasche zusammengefaltet lag, übersehen haben; Hoyer lernte die Stelle auswendig und zerriß dann das Schriftstück in kleine Bruchteile. Auf die Dauer ward dieser Zustand dem Gefangenen aber unerträglich; wenn er jedoch dem General Vorwürfe machte, daß er ihn ganz, gegen das Völkerrecht gefangen halte, so lächelte Tilly- den a seit der leipziger Fatalität sah ihn niemand herzlich lachen ( Schluß folgt.) meinte, im Kriege seien alle Listen erlaubt.
Tendenzkritik wider Tendenzdramatik.
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und
Eine Entgegnung wider die Arbeit ,, Das Teater zur Zeit der französischen Revolution" von V. Sincerus in der ,, N. W." Nr. 47, 48. Von Bruno Geiser.
Wie hätten die französischen Republikaner im lezten Jarzehnt des vorigen Jarhunderts, frage ich, auf einmal wissen sollen und schaffen können, was bis dahin niemand in Frankreich gewußt und niemand geschaffen hatte?
Kein gerechter Kritiker hätte ein Recht gehabt, ihnen einen Vorwurf daraus zu machen, wenn sie mit ihrem Teater genau auf derselben niedrigen Stufe wären stehen geblieben, auf der es ihnen das, in Grund und Boden verfaulte und zermorschte, alles um sich her mit dem Hauche der Verwesung verpestende, nur also noch lebendig geschminkte Königtum der Bourbonen schildern es auch republikfeindliche Geschichtschreiber überliefert hatte.
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Ja noch mehr! Der gerechte Kritiker würde es sogar, wie mir scheint, erklärlich und entschuldbar finden, wenn das wenige Gute, was etwa noch am französischen Teater des vorigen Jarhunderts gewesen, in der Revolutionszeit völlig in die Brüche gegangen wäre. Alle Kräfte konzentrirten sich ja auf dem Gebiete des politischen Lebens, wo im Vordergrund der Szene gewaltige Ereignisse stehen" und sich schauerliche Dramen und Tragödien" abspielen, wie der von Sincerus zitirte französische Kritiker hervorhebt. Freilich hat Sincerus ihm gegenüber durchaus recht, daß er es vollständig begreiflich, ja natürlich" findet, wenn in Zeiten, in welchen das Morgen unsicher und totbringend ist, die Menschen das Heute genießen und sich in ungebändigter Lust des Lebens freuen". Aber genau ebenso begreiflich wäre es gewesen, wenn im Strudel der durch den mächtigen Drang der politischen Ereignisse erzeugten und gewissermaßen trampfhaft gesteigerten Lust die Fähigkeit, Dramen und Tragödien zu schaffen für die Bretter, welche nur die Welt bedeuten, gänzlich untergegangen wäre oder völlig sich in Narrheit und Aberwiz aufgelöst hätte.
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Im GegenAber merkwürdigerweise geschah das nicht! teil, man braucht nur einigermaßen in die Geschichte des Teaters der Kulturvölker eingeweit zu sein, um zu der Anerken nung gezwungen zu werden, daß zum mindesten die dramaturgischen Bestrebungen der französischen Revolutionäre, wenn nicht ihre dramatischen Leistungen, einen höchst bemerkenswerten Fortschritt in der Erkentnis dessen, was das Teater zu leisten habe, bezeichnen.
Wenn Couthon im Konvent erklärte, daß das mit der Aufklärung und der Bildung der öffentlichen Meinung betraute Komitee erwogen habe, daß die Teater die gegenwärtigen Umstände nicht übersehen dürfen", und wenn er hinzufügt, die Teater hätten zu lange der Tyrannei gedient", und es sei Zeit, daß sie endlich der Freiheit dienen", so bekundet er, gleichviel was er unter Freiheit verstanden haben mag, mehr Verständnis für die Aufgabe der dramatischen Dichtkunst und mehr Achtung vor ihr, als heutzutage die meisten deutschen Hofteaterdirektoren, Intendanten und Generalintendanten an den Tag legen.
Und das Programm Billaud- Varennes' ist grade in jenen von Sincerus angefürten Worten so karakteristisch für die dramaturgischen Bestrebungen der französischen Revolutionsmänner, daß man eigentlich nur nötig haben sollte, sie ein einziges mal zu lesen, um vor jenen Bestrebungen Respekt, ganz gewaltigen Respekt zu bekommen.
Wiederholen wir sie hier!
Nemt den Menschen von seiner Geburt an," sagte BillaudVarennes am 24. April des Jares 1794, um ihn schließlich zur
( Schluß.) Tugend zu füren durch die Bewunderung der großen Ereignisse und durch den Entusiasmus, welchen sie einhauchen... das sind lebendige und ergreifende Bilder, welche tiefe Eindrücke hinterlassen, welche die Seele erheben, welche das Gemeine vertiefen, welche den Bürgersinn und das Menschengefül elektrisiren: den Bürgersinn, dieses höchste Prinzip der Selbstverleugnung, welche selbst wieder die unversiegliche Quelle aller großen bürgerlichen und gesellschaftlichen Tugenden ist."
Selbst das famose Programm", wie es Sincerus nent, das der berüchtigte Prokonsul von Avignon ", das Konventsmitglied Maigret , in Marseille veröffentlichte, scheint mir vom Standpunkte des politisch parteilosen Kritikers noch garnicht so übel. Denn warum sollte es damals nicht zeitgemäß erschienen sein, die Teater ,, an einen vernünftigen Zweck zu erinnern, sie zu einer nationalen Institution zu erheben, sie zu republikanisiren und eine nationale Schule daraus zu bilden, welche durch ihre eigenartigen Sitten die Bürgertugenden lehrt und befördert"? Dieses, famose Programm" des ,, berüchtigten Maignet" hat nämlich verschiedenes sehr gewichtige und sehr richtige mit dem gleichfalls und in allem Ernst famosen Programm des berühm testen Dramaturgen und Kunsiteoretikers aller Zeiten, mit unserm Lessing, gemein.
Auch gewiß sehr merkwürdig, aber doch unleugbar war! Auch Lessing wollte dem Teater einen vernünftigen Zweck als ehernes Fundament unterbauen, und auch er wollte es zu einer nationalen Institution erheben.
Freilich weichen die Ansichten Maignets über das, was der vernünftige Zweck des Teaters sein sollte, von denen Lessings ziemlich bedenklich ab, denn Maignet wollte vor allem durch das Teater die Bürgertugenden gelehrt und befördert haben, er wollte das Teater republikanisirt sehen.
Das ist nun freilich einseitig, es ist beschränkt; solches Verlangen get aus falschen Anschauungen, aus mangelhafter Erkentnis des Wesens und der Aufgabe der Kunst hervor und ist allerdings und in Warheit töricht.
Die Kunst in allen ihren Zweigen findet ihre höchste Aufgabe in der Verschönerung und Veredlung aller Menschenwerke und alles Menschenlebens; sie muß also den ganzen Menschen packen, ihn erheben und läutern, und nicht blos den Menschen, soweit er Bürger ist. Die Kunst soll und kann darum auch nicht republikanisirt", d. h. der Staatsform Republik angepaẞt, und als Mittel zu irgendeinem republikanischen Zwecke gebraucht werden, denn die Kunst stet kraft ihrer Aufgabe hoch über jeder die Staatsformen, gleichviel ob Despotie oder Staatsform Republit, tun das beste, was sie tun können, wenn sie sich in ihren, in der Kunst Dienst begeben und in den Dienst ihrer einzig ebenbürtigen Schwester der Wissenschaft.
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Wissenschaftlich zu untersuchen, welche Staatsform die beste Dienerin von Kunst und Wissenschaft zu sein sich eignet, ist hier nicht am Plaz, dazu bedarf es tiefer kulturhistorischer, mit höchstem Aufwand kritischer Objektivität ausgestatteter Forschungen, und die endgiltige Antwort auf diese Frage kann doch nur erteilt werden von den Resultaten, welche die Kulturentwicklung der Menschheit in den kommenden Jartausenden ans Licht fördern
wird.
Aber daran erinnert möge sein, daß der einzige Staat, welcher nach unsrer, sich in allerdings komischer Anmaßung so nennenden, Weltgeschichte in mindstens annähernd würdiger Weise Kunst und