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versichert, es wäre als ein günstiges Zeichen zu betrachten, wenn die Kongestionen nachließen? Und sie schlief so sanft, so fest, die Brust hob sich kaum unter dem immer noch raschen, aber matteren Schlage des Herzens. Möchte dies alles ein Zeichen der Ge­nesung sein!

Es war ein brünstiger Wunsch, der aus der Tiefe eines Freundesherzens tam.

Er entfernte sich. Er ging nach dem Bahnhofe. Er war eine halbe Stunde vor Ankunft des Zuges erschienen und mußte warten:

Jede Minute erschien ihm eine Ewigkeit.

Endlich brauste der Zug heran. Die Waggontür wurde ge­öffnet seine Augen hatten die schon gefunden, die er suchte. ,, Minna!" Jm nächsten Augenblick hält er sie in seinen Armen und er küßt sein Mädchen im stürmischen Entzücken des Wieder­sehens, küßt es wiederholt und heftig, troz all der müssigen Gaffer, die sie umstanden.

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Sie ist dieselbe ganz seine Minna, die lange Zeit hat sie nicht verändert, Arbeit, Kummer und Sorge haben diesem fräftigen gesunden Körper, diesen jugendlichen Zügen nichts an­haben können; nur das Auge blickt größer, bewußter noch; ge­flärter erscheint sie ihm deshalb, fast verklärt; als sie aber nun, sich enger an ihn schmiegend, voll Glückseligkeit ihm tief ins Auge schaut und lächelt, da findet er in diesem Lächeln, in den Grübchen, die sich in den Wangen bilden, den alten füßen Schelm; ach ja, dies Lächeln, so gut, so mild, so voll Herzensfreudigkeit, es bringt ilm alles Glück, es bringt ihm seine ganze Jugend wieder.

Tante Luise erlaubt sich, endlich sich ihnen bemerkbar zu machen, und Friz umarmt die alte gute Freundin und ist sofort ernstlich bemüt, diese Vernachlässigung wieder gut zu machen. Sie fragen nun beide, wie aus einem Munde, in besorgter Dringlichkeit nach Marie.

Besser," lautet die Antwort ,,, wir haben wieder Hoffnung." D, dieser Schimmer von Hoffnung, er gibt ihnen den Mut, sich ihrem Glücke ganz hinzugeben, und es scheint zu wachsen mit jedem Blick, mit jedem Händedrud.

Die Damen saßen in der Gondel auf dem dunklen Kissen, Friz auf einen Tabouret vor ihnen; der aufgespante Leinen­baldachin schüzt sie vor der Mittagssonne und jedem zudring­lichen Blick, und er hält die Hände seiner Minna in den seinen und sie tauschen in Wort und Blick die vertraulichen Geständ­nisse ihrer alten Liebe und einer verschämteren neuen, die mit noch süßeren Ahnungen sie erfüllt.

Er gehört ihr ganz und fürs Leben, er braucht es ihr nicht zu sagen, sie weiß es, und sie weiß auch, daß in ihrer Liebe jene Macht und jener Geist liegt, die die Ehe zu einer alles befrie­digenden Gemeinschaft macht. Was sie aber nicht weiß, daß ist, daß seine Treue einen so gefärlichen Strauß zu bestehen hatte, und daß es einen Augenblick sehr fraglich gewesen, ob er als Sieger daraus hervorgehen würde. Sie wird nie davon erfaren, und ihre Ruhe und Heiterkeit wird durch nichts getrübt werden, und so wird sie eine unter der kleinen 3al jener glücklichen Frauen sein, die arm, one Mitgift, von einem ehrlichen, braven und kräftigen Mann geliebt und geheiratet wird und Ehre, Frei­heit, Liebe, diese höchsten Güter auch des Weibes, als ein Ge­schenk dem einen hingeben darf, den sie selber liebt und dem ihr ganzes Herz gehört. Ein seltener Fall! ein viel seltenerer, als man zu glauben geneigt ist, und er wird unter den heutigen wirtschaft­lichen Verhältnissen immer seltener werden; und doch hat unsere Gesellschaft in Beziehung auf das Weib nur diesen einen Fall vorausgesezt, in ihren Sitten und Gesezen nur diesen einen in Be­tracht gezogen. Nur in diesem kann das Weib Glück und Achtung und alle Annemlichkeit des Lebens finden, aber für die Millionen, die dies schöne Ziel nicht erreichen, die garnicht heiraten, oder die, die unter dem Druck der Verhältnisse oder infolge ihrer Un­wissenheit ihre Freiheit, ihre Ehre, ihre Liebe einem Unwürdigen, oft einem Elenden hingeben müssen, für alle diese hat das Leben nur Enttäuschungen, Gefaren, Jammer und Verhöhnung.

Die Gondel hält an der schönen altersgrauen Façade des Palazzo, den Alfred in Miete genommen, Friz hilft den Damen heraus und sie steigen die breite Treppe hinauf. Niemand komt ihnen entgegen, alles bleibt stumm.

Ein banges Gefül des Schreckens erwacht in ihnen. Friz fürt die Damen in ihr Wonzimmer.

Das Kindchen sizt hier in seinem Körbchen, es ist allein und es streckt den Ankommenden im frölichen Jauchzen die Händchen entgegen.

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Aber was ist das? Ein Weinen dringt aus dem Gemach nebenan, sie begeben sich dahin. Domenika, die Schürze über den verrauften Kopf gezogen, kauert in einer Ecke des Ateliers und schluchzt herzbrechend unter ihrer Hülle; Cencio sizt neben ihr, sucht sie zu beruhigen und schluchzt dabei kaum minder heftig. Domenika ziet, als sie die Eintretenden bemerkt, die Schürze von ihren tränenüberströmten Augen, sie will sprechen, aber sie bringt keinen Laut aus ihrer Kehle.

Friz stürzt nach dem Krankenzimmer, in äußerster Bestürzung und dennoch vorsichtig auftretend folgen die Frauen.

Marie liegt wie vorhin, als Friz sie verlassen, in ihrem Bette, blaß und ruhig, ein Lächeln fast der Befriedigung auf dem schönen sanften Gesicht; sie schläft noch immer?!

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Ach, ein Blick auf den Gatten sagt ihnen alles. Der Un­glückliche siet an ihrer Seite, die Hände ineinander gepreßt, den großen leeren Blick starr auf sie geheftet, als könne er das Schreckliche noch nicht begreifen, nicht erfassen als müsse er eine Bewegung noch erspähen, ein Zeichen, daß sie lebe, und er schreckt auf, er siet die Schwester, er erkent sie, und aus der Betäubung, die das Entsezen über ihn gebracht, erwachend, stürzt er mit dem herzzerreißenden Aufschrei: Sie ist tot!" onmächtig zusammen.

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Neunzehntes Kapitel.

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Es ist völlig Nacht geworden. Eine heiße, zauberhaft schöne Nacht Venedigs .

Die Sterne spiegeln sich im ruhigen Glanze in dem dunklen unbewegten Wasser des Kanal Grande und überall herscht Ruhe; eine sanfte, träumerische Stille.

Sie wird plözlich unterbrochen durch eine lange Reihe heran­ziehender Gondeln, die, dicht besezt, eine fröliche, entusiastische Schar vorüberfüren. Und der Sternenschein erbleicht und die dunklen Ufer erscheinen noch dunkler im Kontraste zu dem glän­zenden Schauspiel all dieser lichtstralenden Schiffe, die mit Lampen und Lampions besteckt sind, und an deren Vorderteil von Zeit zu Zeit ein farbiges Bengalfeuer aufflamt.

Und die weiche Luft durchziet ein Singen und Klingen, und immer lautere Lust, Rufen und Lachen ertönt weithin aus diesen Gondeln, in denen die Jugend Venedigs einherziet, den Kanal Grande enklang, nach dem Fondamento Venier.

Dort ist das Ziel, dort, wo die göttliche Bianka, die Diva Venedigs , ihren Wonsiz aufgeschlagen, und sie kommen alle, all ihre Verehrer und Bewunderer, um ihr einen lezten Gruß, die lezte Huldigung darzubringen, ehe sie den Dampfwagen besteigt, der ihnen die angebetete Künstlerin entfüren wird für lange Zeit.

Und jezt drängt sich die Menge nach den Brücken und siet dem Zuge nach und lacht und schreit voll Entzücken und winkt und flascht in die Hände. Und die vorüberziehenden Gondeln werfen auf die düstern verwitterten Paläste ihren leuchtenden, grellen Schein; er dringt durch die offenen Fenster und huscht - hier fällt sein Widerschein die hohen Zimmerdecken entlang auf die Bahre, in der Marie liegt, in Weiß gehüllt, von duftenden Blumen umgeben; er erhellt ihr Gesicht, einst so schön, nun blaß und starr, so fremd schon so vergangen. Armes Veilchen , du Poesie einer vergangenen Zeit, das im Kampfe ums Dasein, in Konkurrenz mit stolzeren und kraftvolleren Organisationen nicht einmal den fargen Boden mehr findet, der seine geringen Lebensbedingungen ihm erfüllen würde, du zarte Frauenblüte wirst aussterben!

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Der Widerschein huscht weiter.

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Im nächsten Zimmer sind Minna und Friz, der schmerzge­beugte Gatte, in ihrer Mitte.

Gebrochen rut er an der Brust der Schwester, sie ist die ein­zige, die Macht über ihn gewonnen, die ihn vor Verzweiflung zu schüzen wußte und ihn gelehrt hat, für sein Kind zu leben.

Nicht mit Trostgründen versuchte sie's; nichts kann uns trösten über einen geliebten Toten, denn tief im Innersten, als ein Natur­gesez empfinden wirs, daß dieser eine, den wir liebten, daß diese Individualität für immer, ach für immer uns gestorben ist. Wärs anders, empfänden wir in unserem Herzen nicht die tiefe Trauer, die oft auf lange Zeit hinaus unser eignes Glück ver­nichten kann.

Minna gedachte anfänglich den Bruder nicht von sich zu lassen, aber sie erkante bald, daß jede Anerkennung, welche Frizens Ar­beiten gezollt würde, ihm, dem Darniedergedrückten, nur eine Ent­mutigung und eine Bitternis sein würde; so kam sie denn mit