Friz überein, daß es das geratenste wäre, Alfred zur Anname jener glänzenden Stellung zu bewegen, die ihn an den Hof des Herschers von Siam berief. Es gelang. Der arme Alfred fülte es ja selbst, daß nur eine gänzliche Veränderung seiner Lebens­verhältnisse, daß Arbeit und beständige Anregung von außen, ja Mühsal und Strapazen selbst, ihm allein das Leben ermöglichen fonten, vielleicht aber, und das war ihm in dieser Zeit eine Art Trost, raffte ihn auch bald das Klima hinweg.

Minna hatte hierauf versucht, den Schmerzdurchsättigten aus dem Zimmer, wo seine Marie rute, zu entfernen. Sie ist nicht mehr tot," sagte sie in ihrer zärtlichen, bedeutsamen Weise, sie, die du liebtest, sie ist in deinem Herzen, dort lebt sie fort, sowie in uns allen, dort müssen wir sie aufsuchen. In der Erinnerung beware ihr Gedächtnis, dort halte es hoch und heilig, und wenn du glaubst, daß du gegen sie gefelt hast, dann suche das Unrecht in dir selbst zu fühnen, versuche dich zu veredeln in dem Ge­danken an sie. So wirkt sie noch im Tode fort. Und wenn du nach Jaren von Indien zurückkehrst, gekräftigt und gesund, dann sollst du in Klein- Marietta, die einstweilen Friz und mir gehört, die wir schon als unser Kind betrachten, dann sollst du in der heranwachsenden Tochter die Mutter wiederfinden. Ich verspreche es dir."

Sie brachte ihm das kleine Mädchen, das lustig strampelte und lachte, und legte es ihm in den Arm; er drückte es an seine Brust, und Tränen der Zärtlichkeit, der Vaterliebe, Tränen der Erleichterung stürzten aus seinen Augen und nezten das frische liebe Kindergesicht.

Der Widerschein erlosch; die erleuchteten Gondeln sind weiter

gezogen.

Noch haben sie Fondamento Venier nicht erreicht, und schon schwirren die Guitarren, und im Chore ertönen die Lieder zu Ehren der Bianka, und es erbraust ein lautes, weithinschallendes Eviva!"

Elvira befindet sich im Gartenpavillon, sie vernimt diese Ova­tionen, sie ist darauf vorbereitet.

Es ist der lezte Abschied, den ihr die Stadt bringt, sie selbst hat schon Abschied genommen von allen. Noch in dieser Nacht wird sie Venedig verlassen, ihre Reise nach Amerika antreten, um alles zurückzulassen, was seit ihrer Kindheit ihrem Herzen teuer gewesen. Nein, nicht alles, Tante Luise, die alte Jungfer, die ihr ganzes Leben in uneigennüziger Weise den Armen und Ver­einsamten geweiht, die stets bereite Helferin und Trösterin der

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andern sie get mit ihr. Elvira hängt weinend an ihrem Halse, der ganze Schmerz der Trennung wült in ihrem Herzen.

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Marie ist tot!" schluchzt sie ,,, und ich verbanne mich selbst; muß fortan leben in einem fremden Lande, unter fremden Menschen; halte mich, drücke mich fest an deine Brust, die einzige, an die ich mich lehnen darfach, außer dir Luise, ist mir ja nichts in dieser Welt, garnichts geblieben!"

Luise strich zärtlich über das dichte dunkle Har ihrer Nichte, das sich an ihre Wange schmiegte.

Dir bleibt ein unvergänglicher Schaz," sagte sie mit ihrer weichen Stimme, der in dir lebt als ein hohes, beseligendes, das dich immer erfreuen und erquicken wird, wo du auch seiſt, und wärest du auch ganz allein. Es ist die Kunst, Elvira." Elvira sah auf, und ein schöner Stral tiesinnerlichen Feuers und geistigen Lebens brach aus den feuchten, von Tränen noch verschleierten Augen. Sie fur mit der einen Hand über die Augen, die Tränenspur hinweg zu wischen, mit der andern drückte sie feit die Hand derjenigen, die ihr die ersten Wege zu dieser Göttlichen gewiesen: Ja, mir bleibt die Kunst, und ich will ihr mein ganzes Leben weihen!" Dann leiser und sich dem Or der Tante zuneigend: Und noch etwas neme ich mit mir fort, das mir in all dem Leid und Weh der lezten Tage wie ein Sonnen­stral im Herzen aufgeglommen, die sichere Empfindung, daß ich mich gereinigt von all den lockeren Anschauungen und all den frivolen Bedürfnissen, die einer verderbten Atmosphäre entfeinit waren. Jezt, auf der Höhe meiner Kunst stehend, ökonomisch frei, jezt erst werde ich das Recht haben, nach meinem Sinne und mir selbst zu leben, und jezt werde ich auch meine Frauen­ehre mir bewaren können."

,, Eviva la Bianca!" erscholl es. Die erleuchteten Gondeln kamen herangezogen, den Kanal in einen Feuerstrom verwan­delnd; am Fondamento Venier stellen sie sich im Kreise auf. Eine begeisterte Menge war da erschienen, um seinem Liebling zu huldigen, und man begehrte nun stürmisch nach seinem Anblick.

Der Chor begann seine Lob- und Liebeslieder, in feurigen Weisen die Kunst besingend und die Künstlerin.

Elvira lauschte, und von Luise begleitet, trat sie aus dem Gartenhause auf die Terrasse; sie verneigte sich dankend, mit ihrem reizendsten Lächeln.

Ein frenetischer Jubel brach los, ein vielhundertstimmiges: Eviva der Göttlichen, der Herscherin!"

Bilder aus dem Privatleben der Griechen und Römer.

Von Dr. Max Vogler.

Nunmehr zu einer näheren Betrachtung des Familienlebens in der Behausung des Griechen und Römers übergehend, haben wir zuerst die Formen ins Auge zu fassen, unter denen bei beiden Völkern die Ehe, durch welche jenes begründet wurde, geschlossen zu werden pflegte. Wir werden dabei auf Grundsäze stoßen, die von denen, welche leider heutzutage in den meisten Fällen bei Eheschließungen bestimmend einwirken, nicht allzusehr ver­schieden sind.

Als der hauptsächlichste Zweck der Ehe war bei den Griechen die Erzielung rechtmäßiger Nachkommenschaft angesehen, und zwar wollte man dadurch einer dreifachen Pflicht genügen, erstens gegen die Götter, denen man Diener hinterlassen soll, dann gegen den Staat, dessen Bestehen durch Hinterlassung von Nachkommen schaft zu sichern ist( in Sparta , wo der Mensch überhaupt nur für den Staat da war, wurde dies sogar als der einzige Zweckt der Ehe angesehen, und die Ehelosigkeit hatte die Beraubung gewisser bürgerlichen Rechte zur Folge, der Hagestolz galt geradezu für ehrlos und mußte sich manchen Schimpf gefallen lassen), und endlich gegen das eigene Geschlecht, das schon deswegen erhalten werden soll, um die Pflichten gegenüber den Verstorbenen, Aus­schmückung der Gräber, Behütung der Familieneigentümer, fort­dauernd zu erfüllen. Die wirkliche Herzensneigung trat gegen diese Rücksichten vollkommen in den Hintergrund, wenn auch na türlich in manchen Fällen und unter besonderen Umständen die gegenseitige Liebe das hauptsächliche bewegende Motiv bei der Heirat bildete,- unter besonderen Umständen, weil ja bei der Abgeschlossenheit, in welcher das griechische Mädchen bis zur Ver­ehelichung gehalten wurde, eine Annäherung der beiden Ge­

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schlechter in der Regel garnicht möglich war. Die öffentlichen Feste, bei denen die Jungfrauen in Chören und Tänzen mit­wirkten, waren vorher für dieselben die einzige Gelegenheit, sich öffentlich zu zeigen und mit jungen Männern in Verkehr zu treten. In den meisten Fällen sahen sich die jungen Leute bei der Ver= lobung zum erstenmal. Oft vermittelte lediglich der Vater die Heirat, und die Rücksichten auf Mitgift, auf den gesellschaftlichen Sang waren die entscheidenden.

Vor allem galt es als das Erfordernis einer rechtsgültigen Ehe, daß Gatte und Gattin bürgerlicher Abkunft waren. Die Kinder aus der Ehe eines Bürgers und einer Nichtbürgerin waren illegitim( ungesezlich), und es stand ihnen nach dem Tode des Vaters nur ein Anspruch auf höchstens tausend Drachmen zu; sie waren auch bereits nach solonischem Gesez( Solon , Gesez­geber der Athener , von 635 bis 559 v. Chr.) vom Bürgerrecht ausgeschlossen, welche Bestimmung späterhin zweimal ausdrücklich erneuert wurde. Zwei Frauen zu haben( Bigamie) war freilich nicht erlaubt, doch geschah es, daß der Mann neben der recht­mäßigen Gattin noch ein Kebsweib hatte, ein Verhältnis, wie wir es schon bei Homer finden. Verwantschaft war kein Hinder­nis für eine Eheschließung; es tamen sogar Ehen zwischen Halbgeschwistern vor, wengleich dieselben wol nicht häufig waren und warscheinlich vor dem allgemeinen Sittlichkeitsgefül keine Billigung fanden. Bei entfernteren Verwantschaftsgraden wurde die Ehe zwischen Verwanten selbst als wünschenswert ange­sehen und in dem Falle, daß in einer Familie keine mänliche Nachkommenschaft vorhanden war, sogar durch das Gesez be­günstigt.