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Im Dorf der Schmied.

Eine Geschichte aus dem Elsaß von Max Vogler.

Inmitten rauscht der alte Rhein , Der jagt: Ihr müsset Brüder sein!"

Aug. Stöber.

So wundersam süß, und traut und heimlich das Herz uni­fangend, sind nicht alle Dämmerstunden wie die jenes stillen Novembertags, an dem wir, die rauchenden Schlote und das lärmende Getriebe der Fabrikstadt hinter uns lassend, mitsammen hinausschlenderten, den Bergen entgegen, die sich fern unseren Blicken, von leisen Abendnebeln umwogt, in langen Ketten an­einandereiten.

Wo wir gingen, war noch geebnete Fläche, aus der nur hier und da ein mit niederem Schlagholz bewachsener Hügel sich etwas höher emporhob; langsam, trübselig fast zog der tiefgrüne Fluß zu unserer Seite, daß man das muntere, lebensprudelnde Kind, welches er hoch im Gebirg gewesen, kaum wieder erkante freilich, es wartete seiner jezt auch ein wenig freundliches Ge­schick; sollte er doch nun harte Arbeit verrichten, die Räder treiben und Dämpfe aufwirbelu, daß die Spindeln und Eisenwellen, die Stampfen und Sägen in rascher Bewegung sich drehten und hin und hergingen, mußte er doch bald all' den Schmuz und Kot in seine flare, reine Flut aufnemen, der von modernem Maschinen­und Fabrikbetrieb unzertrenlich ist. In gleichförmiger, eintöniger Linie siet man in etwas größerer Entfernung die endlos langen Reihen steifer, allen Reizes entbehrenden Pappeln den Kanal um­säumen, der, auf schwerfälligen Flößen gewaltige Kolenlasten tragend, die Wasser jener beiden größeren Flüsse zueinanderfürt, welche, wie sie gleichfalls in hoher, wildumrauschter Bergwildnis ihren Anfang nemen, hier ebenso wie jenes fleinere Gewäffer sich dem Unternemungsgeist der Menschen beugen müssen und in den Dienst der lezteren gezwungen werden. Unter den grauen Stämmen der Pappelbäume aber neigen sich die hohen Halme des Schilfes melancholisch flüsternd zu einander, hier und da steigt, einem Galgen änlich, ein Krahn dazwischen empor, mit tels dessen man die Lasten der Schiffe, Quadern, Mülsteine und schwere Ballen auf den Damm hebt, ein atembenemender, häß licher Kolengeruch durchdringt die dunstige Luft, und es mag uns noch wie eine angeneme Ueberraschung in dieser farb- und ton­losen Dede dünken, wenn man drüben, um eines der Farzeuge hindurchzulassen, ein Schleußentor öffnet und die angestauten Wasser zischend und sprühend hinabschäumen, die Gedanken we nigstens für Augenblicke in das Quellen und Rauschen geheim­nisvoller Hochgebirgswelt zurückbannend. Jenseits dieser einför­migen Wasserstraße ist sumpfiges Land, und wer des Nachts darüber hinget, mag sich wol hüten, daß ihn nicht ein hüpfendes Irrlicht in das tüdische schwarze Moor mit den kleinen, lauch übersponnenen Teichen und Tümpeln hineinlockt,- er wäre des Verderbens sicher.

Der mit mir war, deutete mit der Hand hinüber und erzälte manch' schaurige Mähr, die sich dort auf dem verräterischen Boden zugetragen; zum Glück dauerte es nicht lange, bis wir diese un­heimliche Gegend hinter uns ließen. Die Berge rückten näher und näher, ein frischer, reiner Luftzug strich von ihnen hernieder, und der Weg schlängelte sich in hochstämmigen, herlichen Buchen­ wald hinein, dessen breitgeästete, noch voll belaubte Bäume, tröst­liche Vorkunde schöner Stunden, tieftönig zu unseren Häupten rauschten und, leisem Gruße gleich, dann und wann ein gelb­schimmerndes Blatt langsam zu unseren Füßen niedergleiten ließen.

Die Sonne war wol schon hinter den Bergen hinabgefunken, als wir unter den hohen Baumkronen aus der Lichtung des Waldes heraustraten und das freie Feld beschritten. Sie hatte sich den ganzen Tag über nicht oft sehen lassen, so unausgesezt wirten und wogten die grauen, undurchsichtigen Schleier, die sich schwer und dumpf über die Talniederung und die Höhen breiteten und auch dem menschlichen Auge jeden Ausblick in weitere Ferne hartnäckig verwehrten. Auf sanft sich höher emporziehendem Wege gingen wir jezt zwischen ausgedehnten Weinbergen hin, die nach dem lezteren auf beiden Seiten durch niedrige Schuzmauern ab­gegrenzt wurden; hier und da sah man in diesen, durch starke Glasscheiben sorgsam gegen Wind und Wetter geschüzt, das Bild nis der heiligen Jungfrau oder des Erlösers aus rasenumwachsener Bertiefung hervorschauen. Eine kleine Strecke noch, und die

Biegung des Weges zeigte uns ein stattliches Dorf mit schmucken, weißgetünchten Häusern, die in ihrer altertümlichen, wunderbar anheimelnden Bauart, von dickem, wettergrauen Kirchturm über­ragt, sich mit den dunklen Bergen, die unmittelbar hinter dem Orte mit ihren runden Kuppen in die nebelfeuchte, dunstige Luft emporstrebten, zu einem äußerst malerischen und farakteristischen, das Auge harmonisch ansprechenden Bilde vereinigten,- ein echt elsässisches Dorf von deutschem Gepräge und einem so trauten, das Gemüt ergreifenden Anstrich, wie er nur je in den stillen, friedlichen Ortschaften des schönen, poesievollen Schwabenlandes zu finden ist.

Gleich am Eingang des Dorfes kündigte ein in doppelter Manneshöhe an eisernem, nach der Straße herausweisendem Arm angebrachtes, arg verrostetes Blechschild das erste Haus rechts am Wege als das Gasthaus zur goldenen Traube" an. Es hatte ein etwas moderneres Aussehen als die anderen Häuser des Dorfes, bei denen sich breites, mannigfach verziertes Fach­werk mit stark hervortretendem braunen Holzgebälk, über die dicken, festen Mauern im unteren Teile, dem Kern des Gebäudes, neigten und die derbe Holzgalerie vom hohen, spizen Giebel sich herausbog. Durchweg aus festen Steinen gefügt und in allen Teilen des Gemäuers mit weißem, blendend hervorleuchtendem Kalk überworfen, ließ es nur durch das seltsam geformte, offen­bar nur erst kürzlich mit Schiefer neugedeckte Dach, die breite Kuppel, die etwa in der Mitte desselben über den ziemlich weiten Haupteingang des Hauses hervorstand, und die breitstufige, von eisernem Geländer umgebene steinerne Stiege, die nach dieser hinauffürte und damit den Zutritt zum ersten und zugleich einzigen- Stockwerk des Gebäudes vermittelte, auf frühzeitigere Entstehung schließen, als man, wenn der schmucke Bau von weitem vor die Blicke trat, anzunemen geneigt sein mochte.

Wir gingen hinein und erhielten, als wir die mäßig große, helle Gaststube betraten, sogleich den Eindruck, daß wir uns in einer außergewöhnlich gut unterhaltenen Dorfwirtschaft befanden. Die Fenster schmückten blendend weiße, geschmackvoll in Falten gelegte Vorhänge, das braune Holzgetäfel der Wände erwies sich blant gescheuert, ebenso war wol in den hellgrauen, fast die nächsten Gegenstände wiederspiegelnden Kacheln des großen Ofens, der abseits am Ende des Zimmers stand, kaum ein Stäubchen zu be­merken, und auch die, wenn gleich einfachen und offenbar schon lange gebrauchten Möbel, die Tische, die Stüle, die Bank längs der ganzen Hinterwand, das mit geblümtem Zeug überzogene Sopha neben dem großen, offenbar für die Vornemeren des Dorfes bestimten runden Tische, der dicht am Ofen stand, sowie das andere Zimmergerät, ein hoher, schwarz gerahmter Spiegel, einige Darstellungen aus der heiligen Geschichte oder Familien­erinnerungen enthaltende Bilder an den Wänden umher und die hohe hölzerne Uhr mit ihrem schweren, lauten Pendelschlag, alles zeigte in seiner äußeren, bei dem und jenem durch hübsches Schnizwerk und andere Verzierungen gehobener Gestalt sowol, als auch in der Art, wie es neben einander gestellt, im Zimmer verteilt und gruppirt war, mehr Schönheits- und Ordnungssinn, mehr behäbigen Wolstand als man sie sonst in der einfach­schlichten, one besonderen Plan und one allzugroße Rücksicht auf äußere Stattlichkeit getroffenen Einrichtung einer ländlichen Her­berge zu finden gewönt ist.

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In der Wirtsstube war tiefe Stille, wir hatten es anders erwartet. Kein einziger Zecher saß darin; nur am Ofen lehnte die derbe, breitschultrige Gestalt eines älteren Mannes von mitt­lerer Größe, im grauen Baumwollenkittel und eine braune Pelz­tappe auf dem Haupte, wie man sie dortlands in der Tracht der Männer am häufigsten antrifft. Er maß uns, als wir über die Schwelle traten und uns anschickten, an einem der Tische am Fenster Plaz zu nemen, mit einem ruhig gleichmütigen Blick, lüpfte dann, faum vernembar einen Abendgruß brummend, die Kappe und ging gemächlich, als müßten wir ihm, der sie nicht nötig hatte, eigentlich diese Bemühung verdanken, nach der, ganz in der Nähe des Ofens in ein Nebenzimmer sich öffnenden Tür und steckte den Kopf durch den Spalt halb hinein. Ob er dabei zu jemand sprach, etwa etwas befelend, davon hörten wir nichts.

Im nächsten Augenblick aber, wärend sich jener wieder lang= sam in seine vorige Stellung am Ofen begab, kam aus diesem