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Die deutschen Frauen der Vorzeit in Leben und Dichtung.
Von Manfred Wiffich.
Eine uns Modernen auffällige Seite ist die enge Beziehung welche die Frau zu der recht eigentlichen Männerarbeit, zum Kriege hat. Ihr heutiger Dienst unter dem roten Kreuz ist altes Erbe. Als Pflegerinnen der Verwundeten, heilmittelkundige Aerztinnen treten sie bereits in frühester Zeit auf. Aber damit ließen sich unsere Urgroßmütter nicht genügen, sie brachten den Kämpfenden Labung und trieben die feige weichenden zurück in den Kampf. Schmährede der Frauen war die bitterste Schelte für den Feigling; bei der Uebergabe Ravennas durch die Goten an die Oströmer spien die Frauen ihre Männer an ob dieser Schmach. Diese Demütigungen, welche von Frauen geübt, so tiefen Eindruck machten, wurden denn auf das stärkste gefürchtet. König Herwig von Seeland, im Kampfe mit Ludwig von Normannenland, wurde geschlagen, erhebt sich rasch und mit äußerster Anstrengung, da er die Vorwürfe seiner geliebten Gudrun fürchtet, die ihm sicher scheinen, falls sie von seinem Schimpf erfüre.
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Das liebste Schauspiel waren den Frauen und Jungfrauen die Schwerttänze und Wettkämpfe der Jünglinge und Männer, bei denen es ja oft gar unsänftiglich zuging. Aber sie wußten nicht nur am Manne streitbare Tüchtigkeit zu schäzen, sondern stärker Genaturte unter ihnen griffen wohl selbst zu den todspendenden Waffen. So die smaländischen Frauen, welche, von raubziehenden Dänen überfallen, unter Anfürung der Blända von Kungahärad, da ihre Männer im auswärtigen Kriege abwesend waren, die Eindringlinge vernichteten. Die Weiber der fünf beteiligten Landschaften erhielten für diese Heldentat unter anderen das Vorrecht, in Helm und Brünne( Panzer) auf der Brautbank zu sizen und sich Kriegsmusik spielen zu lassen. Radger, König der Varner, hatte aus politischen Rücksichten eine anglische Königstochter verschmäht, welche diesen Schimpf zu rächen ein Heer sammelt, mit diesem landet und den Ungetreuen in blutiger Feld schlacht aufs Haupt schlägt, dann aber läßt sie sich begütigen und reicht dem Radger doch noch ihre Hand. Thornbjörg, Techter König Eilriks von Schweden , war sachverständig in allem Frauenwerk, aber höher noch schäzte, liebte und übte sie die Kunst der Waffen, wie ihr denn noch bei Lebzeiten ihr Vater ein Dritteil seines Reiches abtrat, das sie dann unter angenommenem Män nernamen verwaltete. Die Longobarden ließen öfter Weiber und Mägde sich bewaffnen und Raubzüge ausführen. Dadurch fand denn in Deutschland auch die antike Amazonensage wieder Gläubige. Am Flusse Thermodon sollen solche bis zu Cäsars Zeit gesessen haben; als aber jene Gegenden immer mehr bekannt wurden, verlegte man dieses Reich an die nördlichen Küstenstriche Ger maniens , wo sie noch Paulus Diaconus ansäßig glaubte. Es ging von ihnen die schreckliche Sage, daß sie sich mit Ungeheuern gesellten und nur ihre Töchter leben ließen, da die Söhne gemeinlich mit Hundsköpfen zur Welt kämen!
In den geschichtlichen Zusammenstößen mit den Römern treten auch unsere Aeltermütter handelnd auf, und eben dieser mannweibliche Zug derselben, von dem wir hier sprechen, wird viel fach besonders hervorgehoben. Auf dem Schlachtfelde von Aquä Sextiä , dem heutigen Aig*) in Frankreich , erlagen 102 vor Chr. Cimbern und Teutonen den überlegenen römischen Waffen und dem Feldherrengeschick des Marius . Da brachen die Weiber mit Aexten und Schwertern hervor und drängten die fliehenden Ihrigen und die verfolgenden Römer wütend zurück. Mit nackten Händen faßten sie die Schilde und die blanken Schwerter der Römer, und ließen sich in Stücke hauen.
Der Frauen Plaz war wärend des Kampfes der Männer im Lager, eigentlich besser Wagenburg zu nennen, da es von den Habe und Familien tragenden Wagen gebildet wurde. Um den Kampfesmut der Ihrigen anzufeuern trommelten sie mit Fäusten und Knütteln auf die übergespannten Fellplanen der Wagen und erhoben entsezliches Geheul und Schlachtgefänge. Als nach dem Fall der tapfersten Cimbern bei Vercellä das Lager von den Römern genommen ward, bot sich diesen lezteren ein furchtbares Schauspiel dar.( Siehe Bild S. 20 n. 21). Von ihren Karren herab töteten die schwarzgekleideten Frauen die Flüchtlinge ihres Heeres, die sie erreichen konnten, Bruder, Vater und Gatten nicht schonend, ihre Kinder erwürgten sie und warfen sie unter die Räder der
*) Sprich: Ach.
( 1. Fortsezung.)
Wagen und die Hufe der Bugtiere, dann legten sie Hand an sich selbst. Von hochaufgerichteter Deichsel hingen ihre Leichen herab; eine von ihnen hatte zuvor ihre Kinder mit Stricken an die Knöchel ihrer Füße angebunden und sich mit ihnen zugleich erhängt. Aus den Kämpfen mit Drusus berichtet Drosius, daß Germanenweiber nach erbitterter Gegenwehr und in der verzweiflungsvollen Gewißheit des Todes und Untergangs ihre Kinder bei den Füßen faßten, sie mit den Köpfen auf den Boden stießen, ihnen so das Genick brachen und den Feinden die Leichen ins Gesicht schleuderten, um dann sich selbst in die Lanzen der Römer zu stürzen.
Das sind Züge, wie sie der Berserkerwut der Nordlandsrecken beim ersten Dämmern germanischer Geschichte angemessen wären, aber Züge, die wir auch für ein treues Bild unserer Aeltermütter brauchen. Und solch Gebaren war notwendig, um uns die Scheu der Männer jener Zeit vor Frauenschelte wegen Feigheit zu er klären. An der angezeigten Stelle werden wir geschichtlich beglaubigte Beispiele ähnlichen übergewaltigen Heldensinns aus neuerer Zeit zu erwänen nicht vergessen.
Diese frauliche Tapferkeit und Todesverachtung in jenen wilden Totschlagzeiten fand aber auch ihre religiös- mythologische Verklärung. Wir meinen damit die Walkyren oder richtiger Walfürjen, göttliche oder halbgöttliche Jungfrauen, welche in Odins Dienst die Schlachten leiten, Tod und Sieg zu verteilen, die tapfer Gefallenen aus den Toten vom Schlachtfeld zu küren oder auszuwälen, nach Walhalla zu führen und dort ihnen bei ewigen Gelagen das Trinkhorn zu reichen hatten. Freute sich doch auch die Gattin, Braut und Mutter, wenn ihr Held in der Schlacht gefallen war und sie recht viel rühmlicher Wunden zu zählen hatte an der geliebten Leiche, und sie schöpfte daraus Trost und Ruhe oder auch den Mut, dem Teuren freiwillig in den Tod zu folgen.
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Diese geschichtlichen und religiösen Momente müssen wir uns vergegenwärtigen, wenn uns die überlebensgroß gezeichneten Gestalten der beiden Heldinnen des Nibelungenliedes, Brunhild und Kriemhild , verständlich sein sollen. Hinter der ersteren, die nur dem Manne sich als Weib ergeben will, der sie im Speerwurf, Steinstoß und Weitsprung besiegt, die dem schwächlichen Gunther in der Hochzeitsnacht mit ihrem Gürtel Hände und Füße bindet und ihn an der Wand aufhängt, ist deutlich eine Walfürje zu erkennen, war doch diesen verboten, einem sterblichen Manne sich in Lieb beizugesellen. Kriemhild , anfangs männerschen, dann ganz in glutiger Vollliebe zu Siegfried entbrennend, wird der wütenden Löwin gleich, der man ihr Junges geraubt oder getötet, als man ihr den teuren Helden tot vor ihre Kammertür hinstellte. Nicht ihres Geschlechtes Untergang schmerzt sie bei ihrem Rachewerk, und mit eigener Hand schlägt sie mit Siegfrieds Schwert Balmung das Haupt ab Hagen , dem Verräter, der ihren Gatten getötet. Sind die oben angefürten geschichtlichen Thatsachen nicht Belege dafür, daß den Hörern des alten Liedes, auch den Frauen, der stolze Gedanke kommen mußte:„ Das ist Fleisch von unserem Fleisch, das ist Bein von unserem Bein?"
Aber dieses Heldenmäßige im Frauencharakter warb ihnen gewiß zugleich auch Bewunderung der Männer, so sehr es uns unweiblich erscheinen mag. Wie oft kehrt in den Sagen der Zug wieder, daß eben Rauheit, ja Grausamkeit stolzer Schönen die Anziehungskraft, die sie ausüben, nicht nur nicht mindert, son= dern vielmehr hochgradig steigert!
Ein Punkt, der bei Beginn schon flüchtig angedeutet wurde aus Anlaß des bekanten Tacituswortes, bedarf noch einer weiteren Betrachtung. In schöner Jungfräulichkeit ist ein süßes Geheimnis beschlossen, welches das Mädchen umwittert mit einer zauberhaften Atmosphäre, die auch heute noch jedes fülsame Herz mit Schauern der Wonne anweht. Es ist dies jener Zauber, den Goethe meint, wenn er singt:
In unsres Busens Reine wogt ein Streben, Sich einem Höhern, Reinern, Unbekannten Aus Dankbarkeit freiwillig hinzugeben, Enträtselnd sich den ewig Ungenannten:
Wir heißen's: fromm sein! Solcher sel'gen Höhe Fül ich mich teilhaft, wenn ich vor ihr stehe.
Oder wenn am Schluße seines Faust derselbe Dichter dem chorus mysticus die Worte leit: