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berechtigten, die alljärlich am lezten Sontage im Monat April, im Hauptorte Inner- Rhodens, im Dorfe Appenzell, abgehalten wird. Dieses ca. 3500 Einwoner zälende Dorf ist an dieſem Tage gewönlich überfüllt und, wenn auch die angeneme Aussicht vom Klosterspiz, die delikaten Forellen oder die gemütlichen, freundlichen Kapuziner sonst manchen zum Verweilen anregen mögen, am lezten Sontage im April strömt alles zum Lands­gemeindeplaz, um dem feierlichen Aufzuge des zur Wal seiner Regierung sich bewaffnet versammelnden Volkes beizuwonen. Bei Tagesanbruch schon frachen die Böller und von den Kirchtürmen läuten die Glocken. Je mehr der Vormittag vorrückt, desto mehr Besucher, Fremde und Stimberechtigte, Ausländer und Schweizer aus anderen Kantonen erblickt man im Dorfe. Zalreiche Equi­pagen und Furwerke aller Art finden sich aus dem Rheintal, von St. Gallen und anderen nahegelegenen Gegenden kommend, im Dorfe ein.

Wenn zur Mittagszeit der Himmel regendrohend sich ver­finstert, regen die Vorfragen des beginnenden Festaktes schon im vorhinein die Menge auf, denn dann tritt die Frage, ob die Wal und die Abstimmung auf dem Landsgemeindeplag unter freiem Himmel oder in der Kirche vorgenommen werden soll, in den Bordergrund. Daß zur Vorname von Abstimmungen, zur Ab­haltung von Gesangsfesten und Walversamlungen, Vorträgen 2c. die Kirchen der Schweiz vielfach in Anspruch genommen werden, dürfte mehr oder weniger befant sein. Wenn nur irgendwie die Witterung es zuläßt, wird die Landsgemeinde unter freiem Him­mel abgehalten, selbst die feierliche Eidesleistung der Neugewälten findet in Gegenwart des versammelten Volkes unter freiem Him­mel statt. Ein anziehendes, malerisches Bild gewärt zur Mittags­zeit der Landsgemeindeplaz, die nächsten Häuser sind bis hoch zu den Dachfirsten hinauf besezt, und das Volk von Inner- Rhoden ist durch eine, einen weiten Kreis bildende, ca. 3000 Personen zälende Masse auf dem Plaze vertreten, dessen übriger äußerer Raum ca. 2000 weitere, fremde Zuschauer aufweist. Die mun­tere Schuljugend füllt die lange Zeit bis zum Beginn der ernſten Feier mit ihren Späßen aus, bis endlich die Glocken ertönen und mittags 12 Uhr die Klänge eines feierlichen Parademarsches der harrenden Menge das Nahen des festlichen Zuges, das An­rücken der bewaffneten Stimberechtigten verkünden. Gewönlich erhält der Parademarsch durch die Energie und die mitunter etwas vehemente Tätigkeit des Paukenschlägers erst die rechte Würze, d. h. nach der Ansicht der biderben Versamlung. Eine kleine Abteilung Militär in den schmucken eidgenössischen Uni­formen, dann einige alte Hellebardiere in der altnationalen Tracht des Landes eröffnen den feierlichen Aufzug. Endlich langt der Bug auf dem Plaze an und der regierende Landammann nimt nebst Kanzler und Weibel( alle drei in farbigen Amtsmänteln) den reservirten Plaz ein, dessen noch freien Ueberrest die tit. Standeskommission und die Väter der Kapuziner ausfüllen. Da jeder, dessen Stimme bei der Wal gelten soll, mit blanker Waffe erscheinen muß, siet man im weiten Kreise die verschiedensten Säbel, Degen, großen Waidmesser 2c. 2c.

Parademarsch und Glockengeläute( in Außer- Rhoden auch Glockengesang) ist verstumt und der Landammann eröffnet in Mitte der lautlos harrenden Menge die Landsgemeinde mit längerer Rede. Mitunter passirts, daß der Landammann sich so weit ver­steigt, ein Bild von der gesamten Weltlage zu entrollen, wobei dann alles Wichtige und Bedeutende, was sich im Verlauf des lezten Jares zugetragen und vielleicht im Vaterlande oder in fernen Weltteilen die Gemüter erregte, dem versammelten Volke berichtet wird. Dann folgt gewönlich die selten längere Zeit in Anspruch nemende Berichterstattung über den Staatshaushalt, in der Regel mit der Schlußbemerkung, daß der Zustand desselben im ganzen befriedigend sei und die Prüfung der Belege u. s. w. stattgefunden habe.

Der Landammann, der wärend der Dauer eines Jares sein Amt verwaltet hat, hat jezt seine lezte Funktion erfüllt und leitet die Landsgemeinde nur noch bis zur Beeidigung seines Nach­folgers, oder bis eine vielleicht erfolgende Wiederwal seine Amts­periode für die Dauer eines Jares erneuert.

Es fängt jezt an zu regnen, die Zuschauer sowol, als die bewaffneten Wäler entfalten die mitunter recht umfangreichen und schwerfälligen Regenschirme und das souveräne Volf muß jezt be­fragt werden, ob die Abstimmung, das Abmehren" in der Kirche stattfinden soll oder nicht. Durch Händeerheben wird abgestimt und das Resultat stellt fest, daß die Mehrheit des Volkes durch aus die Landsgemeinde unter freiem Himmel abhalten will.

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Die Wal des Landammanns erfolgt jezt und da nur zwei Kandidaten aufgestellt sind, versucht man es auch bei dieser Ab­ſtimmung mit dem Händeerheben.

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Laut erschallt die Aufforderung über den dichtgefüllten Plaz: ,, Wem's wolgefällt, daß N. N. gewält sei, hebe die Hand auf!" und im Nu ragen über den Köpfen der Menge die Hände auf. Es wird die Anzal der erhobenen Hände gezält und jezt erfolgt dasselbe Experiment betr. des anderen Kandidaten; wieder erheben sich zallose Hände und jezt wird die Sachlage durch entdeckte Irrtümer beim Zälen etwas zweifelhaft; vergeblich sucht man abzumehren", das Bureau erklärt schließlich, es sei keine an­dere fichere Entscheidung möglich, als eine genaue Abzälung in der Kirche; und das Volk fügt sich diesem Bescheide. Mit Regen­schirm und Waffe belastet, scheidet man sich, je nach der Partei­name für den einen oder anderen Amtsbewerber in zwei Gruppen und marschirt auf zwei verschiedenen Wegen zur Kirche; nach ca. 14 Stunden wärender Abzälung gibt man dem Volke kund, daß der alte Landammann mit unbedeutendem Mehr wiederge= wält sei, für die Dauer eines Jares.

Ungefär 2500 Stimberechtigte haben an diesem Tage im Dorfe Appenzell an der Wal teilgenommen und weitere Walen werden änlich der ersten vollzogen.

Auf dem Landsgemeindeplaz unterhält man sich nach landes­üblicher, hergebrachter Art wärend den Pausen. Von den Häusern herunter wird Backwerk auf die Köpfe der sich kazbalgenden Gais­buben geworfen und Jubel und Gelächter begleitet diese seitwärts sich abspielenden Intermezzis. Die Landsgemeinde faßt noch weitere wichtigere Beschlüsse; im Jare 1880 z. B. Wiederein­fürung des Todesstrafe, erwägt und entscheidet über Steuervor­lagen und nimt die feierl che Eidesleistung der Gewälten ent­gegen. Ehe noch die zalreichen Trattanden erledigt sind, verläßt jedoch der größte Teil der fremden Gäste das an diesem Tage überfüllte Dorf.

Die Gastwirte des Dorfes aber machen an solchem Tage selbst­verständlich das beste Geschäft, denn ihre Etablissements erfreuen sich eines außerordentlich zalreichen Besuches. Wärend Inner­Rhoden, wie schon erwänt, alljärlich im Dorfe Appenzell am lezten Sontage im April seine Landsgemeinde abhält, wird die Landsgemeinde von Außer- Rhoden in den Jaren mit ungerader Jareszal zu Hundwyl, in den Jaren mit gerader Jareszal zu Trogen abgehalten.

Die Landsgemeinde von Appenzell- Außer- Rhoden bewegt sich in folgendem Ramen: Keine Diskussion. Vorschlagsrecht vom Kantonsrat oder ebenso viel( ca. 57) Bürgern. Wichtigere Finanz­beschlüsse sind vorzulegen. Steuern, Budget und Steuerfuß vom Kantonsrat festgesezt."

Anders gestaltet ist das Statut der Landsgemeinde in Appen­ zell- Inner- Rhoden , es lautet: Vorschläge an die Landsgemeinde, die jeder Stimmberechtigte machen kann, müssen dem Großen Rate mitgeteilt werden. Trägt dieser selbige nicht vor, so kann der Initiand( der Vorschlagende) solche direkt vortragen. Steuern bestimt der Große Rat; er entscheidet auch über den Steuerfuß.

In Außer- Rhoden wält das Volk wärend der Landsgemeinde: Regierungsrat, Landammann, Obergericht und Präsident, Landes­weibel und Bezirksrichter", wärend Kriminalgericht, Bezirksge­richtspräsidenten und andere Beamten vom Kantonsrate gewält werden. Hier gilt die Annamepflicht auch für die Kriminalgerichte!

In Inner- Rhoden wält das bewaffnete Volt in der Lands­gemeinde: Standeskommission, Kantonsgericht, Landschreiber und Weibel. Auch hier ist Annamepflicht eingefürt!

So interessant das" Appenzeller- Ländli" noch in der Jeztzeit nicht blos durch seine lokalen Vorzüge, sondern auch durch seine politischen Einrichtungen ist, so ereignisreich ist auch seine Ge­schichte. Wenn heute noch das Volt in Wehr und Waffen zur Wal und Abstimmung erscheint, erinnert es sich auch gleichzeitig, daß seine Vorfaren ehemals mit den Waffen in der Faust ihre politischen Rechte wahrten und manchen ruhmreichen Kampf glüd­lich und ehrenvoll der Uebermacht gegenüber bestanden.

Die Aebte von St. Gallen hatten das Land urbar machen lassen und dasselbe nach erfolgter Besiedelung in fünf Ländli und zwölf Rhoden ( Steuerbezirke) eingeteilt. Hart und drückend war das Regiment der von den Aebten eingesezten Bögte; als nun im Jare 1377 die in der Gegend des Bodensees gelegenen schwäbischen Städte ein Schuz- und Truzbündnis wider den räu­berischen Adel bildeten, ließen sich die Bewoner des Ländchens mit den Bürgern der Stadt St. Gallen zu Ulm als Mitglieder des Städtebundes um den See" aufnemen( 22. Mai 1378).