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Von London   nach North- Berwick  .

Zweiter Reisebrif aus Schottland   von L. Viereck.

( Firth of Forth  . Das Panorama von North Berwick Law. Das ,, Reservegeschwader." Zur Geschichte der Panzerflotte.- Flotten­Flotten manöver vor den Häfen. Schottisches Wetter.) Der Firth of Forth   hat von der Stelle, wo sich der Forth meerbusenartig erweitert, bei Grangemouth, bis zur Insel May  , die schon als in offener See liegend betrachtet werden kann, eine Ausdehnung von etwa 50 englischen Meilen, an den breitesten Stellen sind die Ufer nicht mehr wie 10-14 Meilen voneinander entfernt. Diese bescheidenen Dimensionen ermöglichen von meh reren Stellen aus Totalüberblicke, so vom Arthurs- Size" bei Edinburg   und ganz besonders vom sogenanten North- Berwick Law aus. Dieses Law" hat keinen Zusammenhang mit dem Worte law, lex, Gesez, sondern soll, wie die Etymologen wissen wollen, von dem angelsächsischen hlaew"-Vorgebirge, Hügel abstammen. Wie dem auch sein möge, der Blick vom North Berwick Law ist an einem schönen Tage geradezu überwältigend. Vor uns liegt die weite Wasserfläche des Forth, aus welcher sich ganz nahe vor dem Auge ein mächtiger steiler Basaltfelsen, der Baß- Rock, erhebt. Das alte Schloß auf dem Felsen war früher ein troz seiner pompösen Aussicht über Meer und Küste sehr ungemütliches Gefängnis, das z. B. im Jare 1671 eine Partie Covenanters" aufnam, eine Puritanerverbrüderung, die ihre Glaubensartikel mit eigenem Blut zu unterzeichnen pflegten. Wie Dr. Hartwig in Ostende   mitteilt, komt es vor, daß bei ungewönlich starken Stürmen die Wellen bis fast an das Schloß heraussprizen, so bei dem gewaltigen Sturme vom 20. November 1827. Jezt sind die einzigen Bewoner zalreiche Eidergänse, die ihrer Daunen wegen dort gehalten werden und die zu töten bei 5 Schilling Strafe untersagt ist. Die Tiere sind infolgedessen sehr zahm und verlassen kauni ihre Nester, wenn Besucher was jezt selten genug vorkomt diesen schlüpfrigen Felsen besteigen. Die Gänseriche sind ware Musterfamilienväter. Wenn das Weibchen ihren Daunenvorrat für die Ausfütterung erschöpft hat, so gibt das Mänchen unweigerlich sein schneeweißes und rosenrotes Pracht­kleid zum Besten seiner Jungen her.

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Das nördliche Ufer des Forth bilden die Höhen in Fifeshire, die sich in den verschiedenartigsten Abschnitten und Formationen präsentiren. Westlich siet man bis zu dem Hafenstädtchen Burn­tisland, welches gerade gegenüber von Leith reizend gelegen ist und einen Lieblingsausflugsort für die Edinburger bildet. In dem Wasser zwischen beiden leztgenanten Pläzen heben sich deut­lich zwei Inseln ab, Inchcolm und Inchkeith, die beide von großem Interesse sind. Inchcolm ist nämlich die Hafenfestung und zu­gleich der Schlüssel zu Edinburg  . Wenn man vorbeifärt, staunt man über die riesigen Kanonenläufe, die weit über das Wasser weg herausragen und, wie mir eine alte Wasserratte versicherte, den Felsen ganz uneinnembar machen. Es ist sozusagen das schottische Gibraltar  . Harmlos und friedlich ist dagegen Juch keith, das weiter landeinwärts liegt. Die Ruinen des alten Klosters weisen auf eine sehr lange Geschichte hin, die bis ins 12. Jarhundert zurückreicht. Die Abtei von Inchcolm war so reich, daß sie die Habgier der Engländer reizte, die zur Zeit Eduard III.  ( 1327-77) das Kloster überfielen und plünderten. Der Himmel duldete aber diesen Frevel nicht. Ein gewaltiger Sturm brach los, ein großer Teil der englischen Flotte litt im Forth Schiffbruch, der Rest war froh mit heiler Haut davonzu

kommen.

Auf dem südlichen Ufer siet man ganz deutlich Arthurs Siz", den gewaltigen Felsen, an dessen Nordseite die Hügel und Ter­rassen Edinburgs sich anlehnen. Er ist dadurch karakteristisch und prägt sich dem Gedächtnisse ein, daß er die Form eines schlafenden Löwen hat und unwillkürlich an den weltberühmten thorwald sen'schen Löwen in Luzern   erinnert. An ihn schließen sich die Pentlands, die Hügelkette südwestlich von Edinburg  . Zu unserer Rechten erheben sich die Ruinen vom Schloß Tantallon   und dahinter, soweit das Auge reicht, die Fluten der Nordsee  , die erst in Norwegen   die nächste Küste erreichen.

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Mein Aufenthalt am Firth of Forth   fiel in eine durch zwei Ereignisse ausgezeichnete Zeit die Eröffnung des großen Edin­burg- Docks in Leith und den Besuch des Reserve- Gesch: vaders" der englischen Panzerflotte. Wir haben uns oben ein wenig mit

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der britischen Handelsmarine bekant gemacht, werfen wir auch einen Blick auf den Teil der Kriegsmarine, der bei der modernen Ausbildung der Kriegstechnik allein in Betracht komt, nämlich die mit Eisenplatten gepanzerten Schiffe. Eine ältere Idee, die Schiffe in dieser Weise gegen die verheerenden Wirkungen der Kanonen zu schüzen, wurde erst nach den Erfarungen, die man im Krimkriege gemacht, in die Wirklichkeit umgesezt. Die russischen Hafenbatterien von Sinope und Sebastopol hatten mit großer Gemächlichkeit die angreifenden Holzfregatten der Alliirten zerstört, one daß diese imstande gewesen wären, sich nachhaltig zu ver­teidigen. Napoleon III.   ließ darnach das erste Panzerschiff, die Gloire" erbauen, die 1860 von Stapel lief. Die nachfolgenden 2 Jarzehnte benuzten die Engländer, um abgesehen von Kanonen­boten, schwimmenden Panzerbatterien zur Hafenverteidigung 2c. eine Kriegsflotte von über einem halben Hundert Panzerschiffen des größten Kalibers fertig zu stellen, die als dem derzeitigen Stande der Technik entsprechend brauchbar gelten dürfen. Der kostenpunkt spielte dabei für John Bull   keine Rolle. Die Schiffe verursachten durchschnittlich per Stück 4-600 000 Pfd. St. oder 8-12 millionen Mark Herstellungskosten. Dabei wurden Un­summen für Versuche verausgabt, mehrere nach neuen Systemen gebaute Schiffe gingen bei den Probefarten zugrunde, so der " Captain" im Sommer 1870 mit 472 Wann bei Kap Finisterre  und der Vanguard", der 1875 an der irischen Küste vom Fron Duke" in den Grund gerant wurde. Den bedeutendsten Posten bildete aber unzweifelhaft die Entwertung der hölzernen Wälle", die so lange Jarhunderte die Stärke und der Stolz Altenglands gewesen waren. gewesen waren. So famen von 1859-1867 nicht weniger wie 150 hölzerne Kriegsschiffe unter den Hammer und wurden sozu­sagen für ein Butterbrod losgeschlagen. Beispielsweise wurden damals 7 Linienschiffe und 6 Fregatten, die zusammen weit über 1 mill. Pfd. St. an Wert repräsentirten, für 87,543 Pfd. St., also etwa 112, abgesezt! Für die großen Rheder stellte sich im Gewinn­und Verlust- Konto dieser Posten natürlich auf die entgegengesezte Seite!

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Die Veränderungen, welche im Bau der Panzerschiffe selbst in dieser Periode plazgriffen, bezogen sich hauptsächlich auf die Stärke der Panzerfregatten, die von den anfänglichen 41, 3oll, die der Warrior", das erste englische Panzerschiff aufwies, bis zu einer vierfachen Stärke hiervon bei den Fregatten 1. Klasse anwuchs, und sodann in der Verlegung der Geschüze von den Schiffswänden in einzelne drehbare oder feststehende Panzertürme auf dem Verdecke, was eine direkte Folge war der im ameri­ kanischen   Bürgerkriege gemachten Erfarungen man erinnere sich des berühmten Duells von Merrimac" und ,, Monitor" aus jener Zeit. Nach diesen Gesichtspunkten, dem Kaliber und der Anzal der Kanonen, der Pferdekraft der Maschinen, der Geschwin­digkeit und Lenkbarkeit des Schiffes, und endlich dem Tonnen­gehalte des Schiffsraumes richtet sich die Einteilung der großen Banzerfarzeuge in 5 Klassen, von denen ich die entsprechenden Dimensionen für je eins der ersten und der fünften Klasse an­füren will. Das größte britische Kriegsschiff, und vielleicht auch das größte in der ganzen Welt, ist der Inflexible", der mit 18 zölligen Platten im Gesamtgewichte von nicht weniger als 3155 Tons( d. 1. einige 60'000 Centner!) gepanzert ist und in Portsmouth  , April 1876, vom Stapel gelassen wurde. Die Kraft und Stärke dieses Schiffes ist koncentrirt im mittleren Teile, der eine eiserne Citadelle bildet, halb über, halb unter der Wasserlinie. Zwei drehbare Türme enthalten jeder zwei 81 zöllige Kanonen, welche imstande sind, Geschosse von 1650 Pfund Gewicht mit einer Labung von 300 Pfund Pulver abzufeuern. Der Tonnengehalt ist etwa 11 000, die Geschwindigkeit 14-15 Knoten in der Stunde, das sind etwa drei deutsche Meilen, dieselbe Geschwin­digkeit, welche die schnellsten Personendampfer zwischen Amerika  und Europa   haben. Mit diesem Prachteremplare tann sich der schon erwänte ,, Warrior", der fünfter Klasse ist, nicht messen, ob­gleich auch seine Dimensionen und Leistungsfähigkeit wirklich er­staunliche sind. Er ist 380 Fuß lang, hat eine Pferdekraft von 5469 und einen Tonnengehalt vou 9137. Seine Armatur bestet aus 32 Kanonen im Kaliber von 62-9 Zoll.

Das Reservegeschwader" umfaßte teine Schiffe erster oder zweiter Klasse, ich muß aber gestehen, daß trozdem seine 8 Eisen­