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fallen ließ, lauschte er lange, lange, endlich war er unten angekommen, und an dem Plätschern in der Tiefe konte er merken, daß dort noch hohes Wasser stand. Wie könte man es wol an fangen, daß durch einen Wurf, der in die Tiefe getan, ein Tropfen davon heraufsprizte?

Wie er's dachte, überlief es ihn eiskalt vor Schauder ob des weiten Wegs bis hinab, und er trat von der Brüstung zurück.... Da bemerkte er zur Seite ein hohes, noch ganz gut erhaltenes Gewölbe; er stieg die wenigen Stufen, über die der Weg hinein­fürte, empor und schritt unter dem weit auseinandergeklafften Bogen am Eingang hinweg.

Der erste Blick lehrte ihn, daß hier einst die Kapelle der Burg gewesen; man sah noch die Nischen, wo einst die Heiligen bilder gestanden, und in einer derselben schaute sogar noch ein altes, verwittertes Steinbild melancholisch drein dort hinten, wo die steinernen Platten den Boden bedeckten, mußte der Altar gewesen sein, vielleicht, daß unter diesen großen schweren Platten noch die irdischen Ueberreste der Menschen geborgen wären, die einst hier gewohnt, gelebt, geliebt und gelitten.

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plözlich war es ihm, als ob sich das Steinbild bewege und als flamten Helene Hegmar's dunkle Augen ihn an, er wußte selbst nicht, wie ihm geschah, denn seine eigenen Augen begannen zu flirren, und es drängte sich feucht und heiß daraus hervor, und er schlug beide Hände vor das Gesicht und warf sich zu Boden und schluchzte und weinte laut.

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Was er für die schöne anmutsvolle Tochter des Traubenwirts empfand, von dem ersten Augenblick an, in dem er sie gesehen, was er still und geheim wie ein Träumender die Wochen daher mit sich herumgetragen, das war's, was jezt über alle an­deren Empfindungen volle Gewalt in seinem Herzen erhielt, da drinnen glüte und brante, ihm die Tränen in die Augen drängte und unter dem wilden, süßen Schrecken, mit dem es ihm ins Bewußtsein trat, ihn zu Boden warf er liebte Helene Hegmar, selbst der Zorn, dessen Urheberin dasselbe holde Mädchen war, hatte die weiche Lebensempfindung, die sich seinem Herzen bei der ersten Begegnung mit ihr mitgeteilt, nicht niederdrücken, nicht ersticken können; vielleicht aber war die Tatsache, die seinen Un­willen gegen sie hervorgerufen, Ursache dazu, daß er im pein­vollen Ringen mit sich selbst dieses nun mit nie geahnter Macht zum Ausbruch gelangenden Hiobsgefüls inne ward. Mit unge­ahnter Macht, denn der junge Schmied aus dem Schwarzwald  hatte wol schon hier und dort mit frischen Dirnen getändelt, sich mit ihnen genedt und diese lieber gehabt als jene, wie andre seines Alters auch, aber von rechter, tiefer Neigung hatte er noch nichts gewußt, ein Grund mehr, warum sie, als sie ihn jezt anfaßte, mit so wildem Sturm durch seine Seele ging und unter den äußeren Merkmalen einer heftigen, physischen Erregung, alle seine Fibern durchschüttelnd, den Bann, der über seinem Wesen lag, durchbrach.

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Nun schwebte ihm, als er die einsamen Burgtrümmer ver­lassen und den Berg hernieder wieder heimwärts schritt, das Bild Helenens in einem vor, immer tiefer und tiefer träumte er sich in den Zauber ihres Wesens hinein, er war mild, weich ge­stimt, und wenn es ihn dazwischen selten noch wie eine leise Regung des Unwillens wider die stolze Schöne, die ihn zurück­gewiesen, ankam, so weckte eine solche zugleich nur stets auf's neue wieder sein Bemühen, sie in seinen Augen entschuldbar er­scheinen zu lassen, indem er dem Gedanken immer mehr Raum gab, daß sie ja in dieser Umgebung nicht wol anders gegen ihn zu fülen, über ihn zu urteilen vermöchte.

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Noch eins spielte in diese Gedanken hinein, leise erst und wie etwas, das nicht zu ihnen gehörte, von ihm zurückgedrängt, dann aber deutlicher und größere Beachtung fordernd; er erinnerte sich, wie Friz Kolin, nachdem ihm von Helene der erbetene Tanz abgeschlagen worden, diese zum Walzer gefürt und auch vorher mit ihr schon wiederholt im Reigen an ihm vorübergeschwebt und es kam ihm der Gedanke, sie könne ihr Herz schon vergeben, ihre Neigung jenem jungen Burschen zugewendet haben. Und damit bemächtigte sich seiner wieder eine düstere Stimmung, eine Art finsterer, quälender Eifersucht begann an seinem Herzen zu nagen, er wurde unruhiger und unzufrieden wie zuvor und one daß er's wußte, ging er mit schnelleren Schritten die Höhe hinab.

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Friz Kolin war der einzige Sohn eines Bauern im Dorf, der früher nicht für sonderlich vermögend gegolten, aber sich nichtsdestoweniger durch eine besondere, anspruchsvolle Art seines Auftretens, durch eine gewisse Energie seines Wesens bei den übrigen Bewohnern des Ortes wenn vielleicht auch nicht Achtung,

so doch eine eigene Geltung erworben hatte. Man erinnerte sich noch recht gut, wie vor einigen Jaren, als er den Neubau seines Geschäftes begonnen, ein alter, schmuziger Jude aus der Gegend von Breisach  , wo solche in besonders großer Zal ihr Wesen treiben, häufig bei ihm Einkehr gehalten, und daß dieser aus dem kolin­schen Gut kein Geld heraustrug, wol aber manchen harten Franken, den der Eigner desselben gegen hohen Zins zur Weiterfürung seines Baues von ihm entlehnen mußte, darin zurückließ, darüber war man einig, und nicht wenige sprachen damals geheim oder offen aus, daß Vater Kolin durch die Leichtfertigkeit, mit welchen er den lezteren one hinreichendes Vermögen begonnen, sich noch zugrunde richten werde. Da war mit einemmale eine Aenderung eingetreten. Denn Kolin hatte nicht allein seinen Bau zu Ende gefürt, one daß man den Juden Abraham Simson wärend der lezten Zeit desselben bei ihm hätte aus- und eingehen sehen, son­dern mannigfache andere Umstände ließen es auch klar zutage treten, daß in seinem Besizstand sich eine ganz wesentliche Ent­wickelung zum Besseren vollzogen haben mußte; ja, es wurden kaum noch Zweifel gehegt, daß er in den par Jaren, die seit dem großen Kriege verflossen, ein wolhabender Mann geworden sei. Nun war es freilich unter den Nachbarn und Umwohnenden kein Geheimnis, daß er mit anderen auf den näher gelegenen Schlacht­feldern, wohin er dem Zuge der Soldaten gefolgt, unter ver­wundeten und toten Kriegern des feindlichen Heeres, diese plün­dernd und beraubend, reiche Ausbeute gehalten, und niemand unter seinen fanatischen Landsleuten, denen jeglicher Frevel an den lezteren beinahe wie verdienstvolle Tat für's Vaterland" erschien, dachte daran, ihm deswegen einen Vorwurf zu machen,

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wenn es der Holzbauer dem Friz, seinem Sohne, gegenüber beinahe getan hatte, so war dies eben eine ganz außerordentlich seltene Abweichung von der allgemeinen Meinung, er hatte eben sehr strenge Begriffe von Recht und Unrecht, seine Schrullen", wie man sagte, und zudem war er droben im Münstertal zu Haus, bei den" Melkern  ", die bei ihren einsamen Herden und Ställen sich nicht viel um die Welt kümmern und aus der alten" Zeit in die neue", wo der verhaßte" Prüß" das Land regiert, hinüberleben, als hätte sich zwischen heut und gestern nichts er­eignet. Wenn man es dem Peter Kolin also auch garnicht vers übelte, daß er den gefallenen feindlichen Soldaten die Taschen und Tornister geleert, so schien es doch schwer begreiflich, daß er auf diesem Wege allein zu dem Wolstand, dessen er sich gegenwärtig erfreute, gelangt sein sollte und man suchte nach anderen Er­klärungen dafür, raunte, daß sein damals in der Armee stehender Sohn im Kriege unverhofft zu vielem Gelde gekommen sei, sprach von einer reichen Erbschaft und dergleichen mehr.

Man würde nun aber falsch geurteilt haben, wenn man es etwa der Rücksicht auf das schöne Erbe, welches demgemäß dem einzigen Sohne Kolin's dereinst zufallen mußte, zugeschrieben hätte, daß die Tochter des ebenfalls vermögenden Traubenwirtes diesen in deutlicher Weise vor den übrigen jungen Männern des Ortes auszeichnete; es war vielmehr sein Aeußeres, dem er diesen Vorzug, den er bei ihr vor anderen genoß, zu danken hatte. Etwa von gleicher Größe wie sie selbst, zeigte er eine gewisse Bierlichkeit und Beweglichkeit und gefälligere Umgangsformen, als sie sonst bei den Dorfburschen gemeinhin anzutreffen waren. Biel­leicht hatte man darin nicht so sehr eine Folge seines Dienstes in der Armee, den ja andere mit ihm zugleich durchgemacht hatten, und bei welch' lezterer er sich wärend des Kriegs den Rang eines Unterlieutenants erworben, als vielmehr seines mehr­järigen Aufenthalts auf dem Lyzeum der nächsten Stadt, wohin ihn sein Vater, als er die Dorfschule noch nicht völlig absolvirt, besserer Ausbildung wegen getan, und des dort genossenen ge­wälteren Umgangs zu erkennen. Sein Gesicht war leicht gebräunt und wies regelmäßige, nicht sehr scharf gezeichnete Züge auf; der Ausdruck desselben gab ihm in Verbindung mit dem blonden, über der Stirn stets sorgfältig glatt gefämten Har und seiner straffen Haltung einen gewissen vornehmen Anstrich. Dieser Um­stand war es denn, wie gesagt, auch nur, welcher ihn in den Augen der durch ihren Aufenthalt in der Hauptstadt an feinere Lebensformen gewöhnten Helene Hegmar besondere Beachtung finden ließ, und ihm war es zuzuschreiben, wenn sie im öffent­lichen geselligen Verkehr seine Annäherung an sie lieber sah, als die der anderen, von denen sie, teils aus einer gewissen Scheu, die sie vor der ihnen fast fremd Gewordenen, vornehm Auftre­tenden empfanden, teils weil man meinte, daß ein so sehr in die Gewohnheiten und Manieren der feinen Welt" eingelebtes Mädchen doch nur sehr wenig zu nüzlichem Schalten und Walten

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